hütet worden sei. Die Geschichte lehrt uns das Gegentheil. Sie zeigt uns, daß die Menschen von jeher geneigt gewesen sind, auf den vollen Besitz jenes Gutes zu verzichten und daß sie in ihrem Scharfsinne unerschöpflich gewesen sind, um für die inneren Entschlüsse äußere Bestimmungen ausfindig zu machen und die Freiheit des Willens, welche keine Macht der Welt uns entreißen kann, in künstlicher Weise sich selbst zu beschränken.
Es ist natürlich, daß wir von diesen beiden widersprechen¬ den Richtungen des menschlichen Geistes mit Vorliebe die erstere verfolgen, welche sich in seiner fortschreitenden Macht¬ erweiterung und Selbstbefreiung bezeugt; um so lehrreicher aber erscheint es für die Kenntniß des Menschen und seiner Geschichte, auch den Zug zur Unfreiheit, welcher durch die Menschen und Völker geht, nach seinen Gründen und in seinen Erscheinungsformen zu beachten.
Der Grund desselben ist ein zwiefacher. Einmal lebt in jedem Menschenherzen das tief begründete Gefühl, daß der schlimmste Feind unseres Glücks der Zweifel sei und nichts mehr unser Gemüth verstimme und unsere Kräfte lähme, als ein Zustand der Unklarheit und Unschlüssigkeit. Darum ist der Märtyrer, der für seine Ueberzeugung Verfolgung und Tod leidet, unendlich glücklicher, als der, welcher ohne An¬ fechtung sein Leben lang zwischen rechts und links mit matter Seele hin und her schwankt. Diesem quälenden Zustande durch freie Selbstentscheidung ein Ende zu machen, dazu be¬ darf es eines Aufwandes von sittlicher Kraft, welchem sich die menschliche Trägheit gern entzieht. Sie schiebt die Wahl von sich, um damit die Qual los zu werden; sie giebt einen kost¬ baren Besitz hin, um die daran haftenden Verpflichtungen nicht zu übernehmen, sie sucht nach äußeren Bestimmungsgründen, um sich die inneren zu ersparen.
Es giebt aber auch einen edleren Grund, welcher den Menschen zu einer freiwilligen Beschränkung seiner persön¬ lichen Freiheit veranlaßt. Er liegt in der Erkenntniß, daß nicht bloß sein äußeres Handeln innerhalb gesetzlicher Schranken
Die Unfreiheit der alten Welt.
hütet worden ſei. Die Geſchichte lehrt uns das Gegentheil. Sie zeigt uns, daß die Menſchen von jeher geneigt geweſen ſind, auf den vollen Beſitz jenes Gutes zu verzichten und daß ſie in ihrem Scharfſinne unerſchöpflich geweſen ſind, um für die inneren Entſchlüſſe äußere Beſtimmungen ausfindig zu machen und die Freiheit des Willens, welche keine Macht der Welt uns entreißen kann, in künſtlicher Weiſe ſich ſelbſt zu beſchränken.
Es iſt natürlich, daß wir von dieſen beiden widerſprechen¬ den Richtungen des menſchlichen Geiſtes mit Vorliebe die erſtere verfolgen, welche ſich in ſeiner fortſchreitenden Macht¬ erweiterung und Selbſtbefreiung bezeugt; um ſo lehrreicher aber erſcheint es für die Kenntniß des Menſchen und ſeiner Geſchichte, auch den Zug zur Unfreiheit, welcher durch die Menſchen und Völker geht, nach ſeinen Gründen und in ſeinen Erſcheinungsformen zu beachten.
Der Grund deſſelben iſt ein zwiefacher. Einmal lebt in jedem Menſchenherzen das tief begründete Gefühl, daß der ſchlimmſte Feind unſeres Glücks der Zweifel ſei und nichts mehr unſer Gemüth verſtimme und unſere Kräfte lähme, als ein Zuſtand der Unklarheit und Unſchlüſſigkeit. Darum iſt der Märtyrer, der für ſeine Ueberzeugung Verfolgung und Tod leidet, unendlich glücklicher, als der, welcher ohne An¬ fechtung ſein Leben lang zwiſchen rechts und links mit matter Seele hin und her ſchwankt. Dieſem quälenden Zuſtande durch freie Selbſtentſcheidung ein Ende zu machen, dazu be¬ darf es eines Aufwandes von ſittlicher Kraft, welchem ſich die menſchliche Trägheit gern entzieht. Sie ſchiebt die Wahl von ſich, um damit die Qual los zu werden; ſie giebt einen koſt¬ baren Beſitz hin, um die daran haftenden Verpflichtungen nicht zu übernehmen, ſie ſucht nach äußeren Beſtimmungsgründen, um ſich die inneren zu erſparen.
Es giebt aber auch einen edleren Grund, welcher den Menſchen zu einer freiwilligen Beſchränkung ſeiner perſön¬ lichen Freiheit veranlaßt. Er liegt in der Erkenntniß, daß nicht bloß ſein äußeres Handeln innerhalb geſetzlicher Schranken
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Die Unfreiheit der alten Welt.
hütet worden ſei. Die Geſchichte lehrt uns das Gegentheil.
Sie zeigt uns, daß die Menſchen von jeher geneigt geweſen
ſind, auf den vollen Beſitz jenes Gutes zu verzichten und daß
ſie in ihrem Scharfſinne unerſchöpflich geweſen ſind, um für
die inneren Entſchlüſſe äußere Beſtimmungen ausfindig zu
machen und die Freiheit des Willens, welche keine Macht der
Welt uns entreißen kann, in künſtlicher Weiſe ſich ſelbſt zu
beſchränken.
Es iſt natürlich, daß wir von dieſen beiden widerſprechen¬
den Richtungen des menſchlichen Geiſtes mit Vorliebe die
erſtere verfolgen, welche ſich in ſeiner fortſchreitenden Macht¬
erweiterung und Selbſtbefreiung bezeugt; um ſo lehrreicher
aber erſcheint es für die Kenntniß des Menſchen und ſeiner
Geſchichte, auch den Zug zur Unfreiheit, welcher durch die
Menſchen und Völker geht, nach ſeinen Gründen und in ſeinen
Erſcheinungsformen zu beachten.
Der Grund deſſelben iſt ein zwiefacher. Einmal lebt in
jedem Menſchenherzen das tief begründete Gefühl, daß der
ſchlimmſte Feind unſeres Glücks der Zweifel ſei und nichts
mehr unſer Gemüth verſtimme und unſere Kräfte lähme, als
ein Zuſtand der Unklarheit und Unſchlüſſigkeit. Darum iſt
der Märtyrer, der für ſeine Ueberzeugung Verfolgung und
Tod leidet, unendlich glücklicher, als der, welcher ohne An¬
fechtung ſein Leben lang zwiſchen rechts und links mit matter
Seele hin und her ſchwankt. Dieſem quälenden Zuſtande
durch freie Selbſtentſcheidung ein Ende zu machen, dazu be¬
darf es eines Aufwandes von ſittlicher Kraft, welchem ſich die
menſchliche Trägheit gern entzieht. Sie ſchiebt die Wahl von
ſich, um damit die Qual los zu werden; ſie giebt einen koſt¬
baren Beſitz hin, um die daran haftenden Verpflichtungen nicht
zu übernehmen, ſie ſucht nach äußeren Beſtimmungsgründen,
um ſich die inneren zu erſparen.
Es giebt aber auch einen edleren Grund, welcher den
Menſchen zu einer freiwilligen Beſchränkung ſeiner perſön¬
lichen Freiheit veranlaßt. Er liegt in der Erkenntniß, daß
nicht bloß ſein äußeres Handeln innerhalb geſetzlicher Schranken
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Curtius, Ernst: Alterthum und Gegenwart. Gesammelte Reden und Vorträge. Bd. 1. Berlin, 1875, S. 164. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/curtius_alterthum01_1875/180>, abgerufen am 22.07.2024.
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