stand. Ja solchem Gemüth kann nimmer der Keim unlauterer Thaten entsprießen."
Dennoch hat sich bei den Hellenen erst spät ein besonderer Stand ausgebildet, dessen Geschäft in der Muße liegt, und als er sich bildete, traten sofort mancherlei Gefahren und Uebelstände zu Tage.
Die Sophisten waren die Ersten, welche vom Wissen Pro¬ fession machten und dadurch den Grundsatz der Hellenen ver¬ läugneten, welche jede einseitige Virtuosität für eine Mißbildung hielten. Sie trennten sich zugleich vom Gemeindeleben; sie suchten sich über jede örtliche Beschränktheit zu erheben, von jeder Ueber¬ lieferung frei zu machen, Alles nach theoretischen Gesichtspunkten zurecht zu legen und zu reformiren. Wer läugnet, daß sie eine Fülle fruchtbarer Keime der Erkenntniß an das Licht gefördert haben! Aber die schöne Harmonie, die Unmittelbarkeit und frohe Sicherheit des antiken Lebens, woraus die Kunstschöpfungen der klassischen Zeit hervorgegangen sind, war dahin, und während die großen Philosophen, Sokrates, Platon, Aristoteles Alles daran setzten, mit dem Volksbewußtsein in Einklang zu bleiben, indem sie den Inhalt desselben klärten, vertieften und vielseitig verwertheten, machte die Sophistik einen Riß, welcher niemals geheilt worden ist.
Die großen Weisen von Hellas nannten ihre Wissenschaft nur "Liebe zur Weisheit," weil sie ganz aus dem unwider¬ stehlichen Drange nach Erkenntniß hervorgegangen war und keinerlei äußeren Zweck hatte. Was sie gefunden, sollte kein Standesbesitz sein; sie theilten es mit, wie die Sonne ihr Licht ausströmt, die empfänglichen Geister erhellend und er¬ wärmend. Von den Sophisten wurde die Wissenschaft, welche sich als ein Zweig am Stamme des Volkslebens bescheiden und still entwickelt hatte, zu einem Ziergewächs gemacht, welches der Eitelkeit diente, und als eine Nutzpflanze gezogen, um Ehre, Geld und Einfluß zu erlangen. Tugend und Weisheit wurde in Lehrkursen für so und so viel Minen feilgeboten.
Der gewerbmäßige Betrieb der Wissenschaft war eine Umkehr der normalen Verhältnisse und sie rächte sich an dem
Arbeit und Muße.
ſtand. Ja ſolchem Gemüth kann nimmer der Keim unlauterer Thaten entſprießen.«
Dennoch hat ſich bei den Hellenen erſt ſpät ein beſonderer Stand ausgebildet, deſſen Geſchäft in der Muße liegt, und als er ſich bildete, traten ſofort mancherlei Gefahren und Uebelſtände zu Tage.
Die Sophiſten waren die Erſten, welche vom Wiſſen Pro¬ feſſion machten und dadurch den Grundſatz der Hellenen ver¬ läugneten, welche jede einſeitige Virtuoſität für eine Mißbildung hielten. Sie trennten ſich zugleich vom Gemeindeleben; ſie ſuchten ſich über jede örtliche Beſchränktheit zu erheben, von jeder Ueber¬ lieferung frei zu machen, Alles nach theoretiſchen Geſichtspunkten zurecht zu legen und zu reformiren. Wer läugnet, daß ſie eine Fülle fruchtbarer Keime der Erkenntniß an das Licht gefördert haben! Aber die ſchöne Harmonie, die Unmittelbarkeit und frohe Sicherheit des antiken Lebens, woraus die Kunſtſchöpfungen der klaſſiſchen Zeit hervorgegangen ſind, war dahin, und während die großen Philoſophen, Sokrates, Platon, Ariſtoteles Alles daran ſetzten, mit dem Volksbewußtſein in Einklang zu bleiben, indem ſie den Inhalt deſſelben klärten, vertieften und vielſeitig verwertheten, machte die Sophiſtik einen Riß, welcher niemals geheilt worden iſt.
Die großen Weiſen von Hellas nannten ihre Wiſſenſchaft nur »Liebe zur Weisheit,« weil ſie ganz aus dem unwider¬ ſtehlichen Drange nach Erkenntniß hervorgegangen war und keinerlei äußeren Zweck hatte. Was ſie gefunden, ſollte kein Standesbeſitz ſein; ſie theilten es mit, wie die Sonne ihr Licht ausſtrömt, die empfänglichen Geiſter erhellend und er¬ wärmend. Von den Sophiſten wurde die Wiſſenſchaft, welche ſich als ein Zweig am Stamme des Volkslebens beſcheiden und ſtill entwickelt hatte, zu einem Ziergewächs gemacht, welches der Eitelkeit diente, und als eine Nutzpflanze gezogen, um Ehre, Geld und Einfluß zu erlangen. Tugend und Weisheit wurde in Lehrkurſen für ſo und ſo viel Minen feilgeboten.
Der gewerbmäßige Betrieb der Wiſſenſchaft war eine Umkehr der normalen Verhältniſſe und ſie rächte ſich an dem
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Arbeit und Muße.
ſtand. Ja ſolchem Gemüth kann nimmer der Keim unlauterer
Thaten entſprießen.«
Dennoch hat ſich bei den Hellenen erſt ſpät ein beſonderer
Stand ausgebildet, deſſen Geſchäft in der Muße liegt, und
als er ſich bildete, traten ſofort mancherlei Gefahren und
Uebelſtände zu Tage.
Die Sophiſten waren die Erſten, welche vom Wiſſen Pro¬
feſſion machten und dadurch den Grundſatz der Hellenen ver¬
läugneten, welche jede einſeitige Virtuoſität für eine Mißbildung
hielten. Sie trennten ſich zugleich vom Gemeindeleben; ſie ſuchten
ſich über jede örtliche Beſchränktheit zu erheben, von jeder Ueber¬
lieferung frei zu machen, Alles nach theoretiſchen Geſichtspunkten
zurecht zu legen und zu reformiren. Wer läugnet, daß ſie eine
Fülle fruchtbarer Keime der Erkenntniß an das Licht gefördert
haben! Aber die ſchöne Harmonie, die Unmittelbarkeit und frohe
Sicherheit des antiken Lebens, woraus die Kunſtſchöpfungen der
klaſſiſchen Zeit hervorgegangen ſind, war dahin, und während
die großen Philoſophen, Sokrates, Platon, Ariſtoteles Alles
daran ſetzten, mit dem Volksbewußtſein in Einklang zu bleiben,
indem ſie den Inhalt deſſelben klärten, vertieften und vielſeitig
verwertheten, machte die Sophiſtik einen Riß, welcher niemals
geheilt worden iſt.
Die großen Weiſen von Hellas nannten ihre Wiſſenſchaft
nur »Liebe zur Weisheit,« weil ſie ganz aus dem unwider¬
ſtehlichen Drange nach Erkenntniß hervorgegangen war und
keinerlei äußeren Zweck hatte. Was ſie gefunden, ſollte kein
Standesbeſitz ſein; ſie theilten es mit, wie die Sonne ihr
Licht ausſtrömt, die empfänglichen Geiſter erhellend und er¬
wärmend. Von den Sophiſten wurde die Wiſſenſchaft, welche
ſich als ein Zweig am Stamme des Volkslebens beſcheiden
und ſtill entwickelt hatte, zu einem Ziergewächs gemacht, welches
der Eitelkeit diente, und als eine Nutzpflanze gezogen, um
Ehre, Geld und Einfluß zu erlangen. Tugend und Weisheit
wurde in Lehrkurſen für ſo und ſo viel Minen feilgeboten.
Der gewerbmäßige Betrieb der Wiſſenſchaft war eine
Umkehr der normalen Verhältniſſe und ſie rächte ſich an dem
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Curtius, Ernst: Alterthum und Gegenwart. Gesammelte Reden und Vorträge. Bd. 1. Berlin, 1875, S. 159. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/curtius_alterthum01_1875/175>, abgerufen am 22.07.2024.
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