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Curtius, Ernst: Alterthum und Gegenwart. Gesammelte Reden und Vorträge. Bd. 1. Berlin, 1875.

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Arbeit und Muße.
Schwankens zwischen heiligen und profanen Zeiten, an Stelle
einer künstlichen Theilung in ganze und halbe Feiertage, war
hier ein einfacher und fester Rhythmus gegeben von Arbeit
und Ruhe, eine weise Ausgleichung zwischen den Ansprüchen
des Lebens und dem Anrechte Gottes an das Menschenherz,
und während die Hellenen ihrem Festliede die Zaubergewalt
zuschrieben, auch die Götter in den Genuß menschlicher Muße
hereinzuziehen, heiligt bei dem Volk der Theokratie Gott die
Muße der Menschen, indem er auch in der Sabbathruhe ihr
Vorbild ist.

Auf der mosaischen Stiftung ruht die Lebensordnung,
welche allen neueren Culturvölkern gemeinsam ist, befreit von
dem Charakter pharisäischer Werkheiligkeit und durch die Oster¬
weihe zu neuer Bedeutung verklärt.

Sie hat sich bewährt als eine Ordnung, welche die prak¬
tische Thätigkeit nicht beeinträchtigt, sondern die Volkskraft
erhält und steigert. Sie ist unentbehrlich, wenn das religiöse
Gesammtleben eines Volks zum Ausdruck kommen soll; sie ist
eine stete Mahnung, daß der Mensch zweien Welten angehört,
und daß er nicht ohne unersetzlichen Schaden an seiner Seele
zu nehmen, in die Unruhe des Sichtbaren aufgehen kann.
Wo diese Lebensordnung gehalten wird, ist sie der schönste
Schmuck von Stadt und Land, denn alles Schöne und Er¬
freuende beruht im Leben wie in der Kunst auf der die Be¬
wegung regelnden Ordnung und auf der rhythmischen
Gliederung des Mannigfaltigen. Darin unterscheidet sich ja
das Geistige vom Thierleben, das Beseelte von der mechani¬
schen Bewegung. Darum giebt es nichts Unschöneres als ein
wüstes Einerlei regelloser Vielgeschäftigkeit, wenn das Menschen¬
leben einem Ameisenhaufen gleicht, wo Tag aus Tag ein Alles
in ununterbrochener Hast an einander vorüberrennt.

Der richtige Wechsel von Arbeit und Muße, auf dem die
Gesundheit und Anmuth des Lebens beruht, tritt da am
sichersten ein, wo der Lebensberuf eine äußere Thätigkeit
fordert. Da regelt sich der Wechsel von selbst; jede Pause
wird als eine Wohlthat empfunden, weil sie dem Menschen die

Arbeit und Muße.
Schwankens zwiſchen heiligen und profanen Zeiten, an Stelle
einer künſtlichen Theilung in ganze und halbe Feiertage, war
hier ein einfacher und feſter Rhythmus gegeben von Arbeit
und Ruhe, eine weiſe Ausgleichung zwiſchen den Anſprüchen
des Lebens und dem Anrechte Gottes an das Menſchenherz,
und während die Hellenen ihrem Feſtliede die Zaubergewalt
zuſchrieben, auch die Götter in den Genuß menſchlicher Muße
hereinzuziehen, heiligt bei dem Volk der Theokratie Gott die
Muße der Menſchen, indem er auch in der Sabbathruhe ihr
Vorbild iſt.

Auf der moſaiſchen Stiftung ruht die Lebensordnung,
welche allen neueren Culturvölkern gemeinſam iſt, befreit von
dem Charakter phariſäiſcher Werkheiligkeit und durch die Oſter¬
weihe zu neuer Bedeutung verklärt.

Sie hat ſich bewährt als eine Ordnung, welche die prak¬
tiſche Thätigkeit nicht beeinträchtigt, ſondern die Volkskraft
erhält und ſteigert. Sie iſt unentbehrlich, wenn das religiöſe
Geſammtleben eines Volks zum Ausdruck kommen ſoll; ſie iſt
eine ſtete Mahnung, daß der Menſch zweien Welten angehört,
und daß er nicht ohne unerſetzlichen Schaden an ſeiner Seele
zu nehmen, in die Unruhe des Sichtbaren aufgehen kann.
Wo dieſe Lebensordnung gehalten wird, iſt ſie der ſchönſte
Schmuck von Stadt und Land, denn alles Schöne und Er¬
freuende beruht im Leben wie in der Kunſt auf der die Be¬
wegung regelnden Ordnung und auf der rhythmiſchen
Gliederung des Mannigfaltigen. Darin unterſcheidet ſich ja
das Geiſtige vom Thierleben, das Beſeelte von der mechani¬
ſchen Bewegung. Darum giebt es nichts Unſchöneres als ein
wüſtes Einerlei regelloſer Vielgeſchäftigkeit, wenn das Menſchen¬
leben einem Ameiſenhaufen gleicht, wo Tag aus Tag ein Alles
in ununterbrochener Haſt an einander vorüberrennt.

Der richtige Wechſel von Arbeit und Muße, auf dem die
Geſundheit und Anmuth des Lebens beruht, tritt da am
ſicherſten ein, wo der Lebensberuf eine äußere Thätigkeit
fordert. Da regelt ſich der Wechſel von ſelbſt; jede Pauſe
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[157/0173] Arbeit und Muße. Schwankens zwiſchen heiligen und profanen Zeiten, an Stelle einer künſtlichen Theilung in ganze und halbe Feiertage, war hier ein einfacher und feſter Rhythmus gegeben von Arbeit und Ruhe, eine weiſe Ausgleichung zwiſchen den Anſprüchen des Lebens und dem Anrechte Gottes an das Menſchenherz, und während die Hellenen ihrem Feſtliede die Zaubergewalt zuſchrieben, auch die Götter in den Genuß menſchlicher Muße hereinzuziehen, heiligt bei dem Volk der Theokratie Gott die Muße der Menſchen, indem er auch in der Sabbathruhe ihr Vorbild iſt. Auf der moſaiſchen Stiftung ruht die Lebensordnung, welche allen neueren Culturvölkern gemeinſam iſt, befreit von dem Charakter phariſäiſcher Werkheiligkeit und durch die Oſter¬ weihe zu neuer Bedeutung verklärt. Sie hat ſich bewährt als eine Ordnung, welche die prak¬ tiſche Thätigkeit nicht beeinträchtigt, ſondern die Volkskraft erhält und ſteigert. Sie iſt unentbehrlich, wenn das religiöſe Geſammtleben eines Volks zum Ausdruck kommen ſoll; ſie iſt eine ſtete Mahnung, daß der Menſch zweien Welten angehört, und daß er nicht ohne unerſetzlichen Schaden an ſeiner Seele zu nehmen, in die Unruhe des Sichtbaren aufgehen kann. Wo dieſe Lebensordnung gehalten wird, iſt ſie der ſchönſte Schmuck von Stadt und Land, denn alles Schöne und Er¬ freuende beruht im Leben wie in der Kunſt auf der die Be¬ wegung regelnden Ordnung und auf der rhythmiſchen Gliederung des Mannigfaltigen. Darin unterſcheidet ſich ja das Geiſtige vom Thierleben, das Beſeelte von der mechani¬ ſchen Bewegung. Darum giebt es nichts Unſchöneres als ein wüſtes Einerlei regelloſer Vielgeſchäftigkeit, wenn das Menſchen¬ leben einem Ameiſenhaufen gleicht, wo Tag aus Tag ein Alles in ununterbrochener Haſt an einander vorüberrennt. Der richtige Wechſel von Arbeit und Muße, auf dem die Geſundheit und Anmuth des Lebens beruht, tritt da am ſicherſten ein, wo der Lebensberuf eine äußere Thätigkeit fordert. Da regelt ſich der Wechſel von ſelbſt; jede Pauſe wird als eine Wohlthat empfunden, weil ſie dem Menſchen die

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Zitationshilfe: Curtius, Ernst: Alterthum und Gegenwart. Gesammelte Reden und Vorträge. Bd. 1. Berlin, 1875, S. 157. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/curtius_alterthum01_1875/173>, abgerufen am 04.12.2024.