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Curtius, Ernst: Alterthum und Gegenwart. Gesammelte Reden und Vorträge. Bd. 1. Berlin, 1875.

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Der Wettkampf.
geblieben, eine über den einzelnen Stämmen und Staaten
schwebende Idee. Um so mehr ist die geistige Verwirklichung
derselben ein Gegenstand des Wetteifers geworden, indem von
den begabteren Stämmen jeder nach seiner Weise in Glauben
und Sitte, in Kunst und Wissenschaft das nationale Bewußt¬
sein auszubilden gestrebt hat, und was in diesem großen
Wettkampfe der Kräfte Gutes und Schönes gelungen ist, das
ist bei den Deutschen wie bei den Griechen des ganzen Vol¬
kes Gesamtbesitz geworden, und wer kann verkennen, wie viel
auch unsere Bildung, unsere Litteratur diesem Wettkampfe
verdankt.

Zur Theilnahme an diesem Wettkampfe, der uns die frische
Strömung und den Reichthum des inneren Volkslebens ver¬
bürgt, sind vor Allen die Universitäten unseres Vaterlandes
berufen; ja sie sollen diesen Kampf in seiner reinsten Form,
in seiner vollen Idealität darstellen. Nirgends sollte lebendiger
als hier der gemeinsame Besitz vaterländischer Bildung als
das theuerste Erbe, das wir von den Vätern empfangen haben,
erkannt und erfaßt werden; hier soll es mit treuen Händen
gepflegt und mit Hinblick auf das gemeinsame Ziel unver¬
drossen erweitert werden. Andererseits hat aber auch jede
einzelne der deutschen Hochschulen nach ihrer örtlichen Lage,
ihren Verhältnissen und ihrer eigenen Vergangenheit ihren be¬
sonderen Beruf, ihre eigenthümliche Bahn. Jeder ist die Frei¬
heit, jeder die Pflicht gegeben nach dem höchsten Kranze zu
ringen.

Aber ist nicht auch jede unserer Universitäten für sich be¬
rufen, ein Kampfplatz des Wetteifers zu sein? Werden nicht
die Männer, denen das Lehramt anvertraut ist, je brüderlicher
sie im Gefühle des gemeinsamen, hohen Berufs zusammen¬
stehen, um so lebendiger mit einander wetteifern in Erweckung
der Jugend, in Förderung der Wissenschaft? Ja dieser Wett¬
eifer erstreckt sich weit über die Gränze des zeitlichen Zusam¬
menlebens; denn die geistigen Genossenschaften gehen durch
Generationen hindurch, und wenn die Hellenen ihre Helden¬
gräber mit Kampfspielen ehrten, um zu zeigen, daß die Tu¬

Curtius, Alterthum. 10

Der Wettkampf.
geblieben, eine über den einzelnen Stämmen und Staaten
ſchwebende Idee. Um ſo mehr iſt die geiſtige Verwirklichung
derſelben ein Gegenſtand des Wetteifers geworden, indem von
den begabteren Stämmen jeder nach ſeiner Weiſe in Glauben
und Sitte, in Kunſt und Wiſſenſchaft das nationale Bewußt¬
ſein auszubilden geſtrebt hat, und was in dieſem großen
Wettkampfe der Kräfte Gutes und Schönes gelungen iſt, das
iſt bei den Deutſchen wie bei den Griechen des ganzen Vol¬
kes Geſamtbeſitz geworden, und wer kann verkennen, wie viel
auch unſere Bildung, unſere Litteratur dieſem Wettkampfe
verdankt.

Zur Theilnahme an dieſem Wettkampfe, der uns die friſche
Strömung und den Reichthum des inneren Volkslebens ver¬
bürgt, ſind vor Allen die Univerſitäten unſeres Vaterlandes
berufen; ja ſie ſollen dieſen Kampf in ſeiner reinſten Form,
in ſeiner vollen Idealität darſtellen. Nirgends ſollte lebendiger
als hier der gemeinſame Beſitz vaterländiſcher Bildung als
das theuerſte Erbe, das wir von den Vätern empfangen haben,
erkannt und erfaßt werden; hier ſoll es mit treuen Händen
gepflegt und mit Hinblick auf das gemeinſame Ziel unver¬
droſſen erweitert werden. Andererſeits hat aber auch jede
einzelne der deutſchen Hochſchulen nach ihrer örtlichen Lage,
ihren Verhältniſſen und ihrer eigenen Vergangenheit ihren be¬
ſonderen Beruf, ihre eigenthümliche Bahn. Jeder iſt die Frei¬
heit, jeder die Pflicht gegeben nach dem höchſten Kranze zu
ringen.

Aber iſt nicht auch jede unſerer Univerſitäten für ſich be¬
rufen, ein Kampfplatz des Wetteifers zu ſein? Werden nicht
die Männer, denen das Lehramt anvertraut iſt, je brüderlicher
ſie im Gefühle des gemeinſamen, hohen Berufs zuſammen¬
ſtehen, um ſo lebendiger mit einander wetteifern in Erweckung
der Jugend, in Förderung der Wiſſenſchaft? Ja dieſer Wett¬
eifer erſtreckt ſich weit über die Gränze des zeitlichen Zuſam¬
menlebens; denn die geiſtigen Genoſſenſchaften gehen durch
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[145/0161] Der Wettkampf. geblieben, eine über den einzelnen Stämmen und Staaten ſchwebende Idee. Um ſo mehr iſt die geiſtige Verwirklichung derſelben ein Gegenſtand des Wetteifers geworden, indem von den begabteren Stämmen jeder nach ſeiner Weiſe in Glauben und Sitte, in Kunſt und Wiſſenſchaft das nationale Bewußt¬ ſein auszubilden geſtrebt hat, und was in dieſem großen Wettkampfe der Kräfte Gutes und Schönes gelungen iſt, das iſt bei den Deutſchen wie bei den Griechen des ganzen Vol¬ kes Geſamtbeſitz geworden, und wer kann verkennen, wie viel auch unſere Bildung, unſere Litteratur dieſem Wettkampfe verdankt. Zur Theilnahme an dieſem Wettkampfe, der uns die friſche Strömung und den Reichthum des inneren Volkslebens ver¬ bürgt, ſind vor Allen die Univerſitäten unſeres Vaterlandes berufen; ja ſie ſollen dieſen Kampf in ſeiner reinſten Form, in ſeiner vollen Idealität darſtellen. Nirgends ſollte lebendiger als hier der gemeinſame Beſitz vaterländiſcher Bildung als das theuerſte Erbe, das wir von den Vätern empfangen haben, erkannt und erfaßt werden; hier ſoll es mit treuen Händen gepflegt und mit Hinblick auf das gemeinſame Ziel unver¬ droſſen erweitert werden. Andererſeits hat aber auch jede einzelne der deutſchen Hochſchulen nach ihrer örtlichen Lage, ihren Verhältniſſen und ihrer eigenen Vergangenheit ihren be¬ ſonderen Beruf, ihre eigenthümliche Bahn. Jeder iſt die Frei¬ heit, jeder die Pflicht gegeben nach dem höchſten Kranze zu ringen. Aber iſt nicht auch jede unſerer Univerſitäten für ſich be¬ rufen, ein Kampfplatz des Wetteifers zu ſein? Werden nicht die Männer, denen das Lehramt anvertraut iſt, je brüderlicher ſie im Gefühle des gemeinſamen, hohen Berufs zuſammen¬ ſtehen, um ſo lebendiger mit einander wetteifern in Erweckung der Jugend, in Förderung der Wiſſenſchaft? Ja dieſer Wett¬ eifer erſtreckt ſich weit über die Gränze des zeitlichen Zuſam¬ menlebens; denn die geiſtigen Genoſſenſchaften gehen durch Generationen hindurch, und wenn die Hellenen ihre Helden¬ gräber mit Kampfſpielen ehrten, um zu zeigen, daß die Tu¬ Curtius, Alterthum. 10

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Zitationshilfe: Curtius, Ernst: Alterthum und Gegenwart. Gesammelte Reden und Vorträge. Bd. 1. Berlin, 1875, S. 145. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/curtius_alterthum01_1875/161>, abgerufen am 18.05.2024.