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Curtius, Ernst: Alterthum und Gegenwart. Gesammelte Reden und Vorträge. Bd. 1. Berlin, 1875.

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Der Wettkampf.
begeisterten Uebung ihrer Seelen- und Körperkräfte. Denn
um ihre Götter zu ehren, glaubten sie nicht nur die Erstlings¬
früchte der Felder, die kräftigsten Thiere ihrer Heerden, son¬
dern vor Allem die Blüthe der Jugend in ihrer Gesundheit
und Kraft den Göttern darstellen zu müssen, und zwar nicht
bloß in feierlichen Aufzügen, in festlichen Tänzen, sondern auch
in freudigem Wettkampfe sollten ihre Jünglinge zeigen, daß
sie die reichlich empfangenen Gottesgaben zu voller Entwicke¬
lung zu fördern nicht träge gewesen seien. So sind die Wett¬
kämpfe ein Opfer des Danks, dessen die Götter sich freuen.

Darum sind alle regelmäßigen Wettkämpfe, die wir in
geschichtlicher Zeit nachweisen können, an Götterfeste geknüpft;
ihre Schauplätze sind ursprünglich die Tempelhöfe, die eigent¬
lichen Zuschauer die Götter. Ihnen wird ja Alles verdankt,
was zum Wettkampfe befähigt, die Spannkraft der Muskeln,
die im Laufe ausdauernde Brust, die Harmonie der Glieder,
die Stimme des Gesangs wie die geistbeseelte Rede -- was
also immer an Ehre und Gewinn dadurch erworben wird,
gebührt von Rechtswegen der Gottheit. Der Mensch hat neben
ihr keinen Anspruch. Die gewonnenen Dreifüße werden also
zum dauernden Schmucke um das Haus des Gottes aufge¬
stellt, und wer den goldenen Siegespreis, den er mühevoll
genug errungen hat, etwa heimtragen wollte, der würde dem
Gotte das Seine nehmen, er würde der Strafe des Tempel¬
raubes verfallen, und die Gemeinde, welche ihn schützen wollte,
müßte aus der Genossenschaft des gottesdienstlichen Vereins
ausgestoßen werden.

Je deutlicher sich die Hellenen in ihrem Volksbewußtsein
von den Barbaren unterscheiden lernten, um so lauterer und
eigenthümlicher haben sie die Idee des Wettkampfes entwickelt,
und diejenigen unter ihnen, welche jenen Gegensatz am kräf¬
tigsten darzustellen berufen waren, die Dorier, haben am ent¬
schiedensten dahin gewirkt, jede Rücksicht auf Eigennutz und
alle unreinen Beimischungen zu entfernen. Die Werthpreise
verschwinden, damit Keiner, den schnöder Gewinn anlockt, an
den heiligen Schauspielen sich betheilige. Der Kranz von

Der Wettkampf.
begeiſterten Uebung ihrer Seelen- und Körperkräfte. Denn
um ihre Götter zu ehren, glaubten ſie nicht nur die Erſtlings¬
früchte der Felder, die kräftigſten Thiere ihrer Heerden, ſon¬
dern vor Allem die Blüthe der Jugend in ihrer Geſundheit
und Kraft den Göttern darſtellen zu müſſen, und zwar nicht
bloß in feierlichen Aufzügen, in feſtlichen Tänzen, ſondern auch
in freudigem Wettkampfe ſollten ihre Jünglinge zeigen, daß
ſie die reichlich empfangenen Gottesgaben zu voller Entwicke¬
lung zu fördern nicht träge geweſen ſeien. So ſind die Wett¬
kämpfe ein Opfer des Danks, deſſen die Götter ſich freuen.

Darum ſind alle regelmäßigen Wettkämpfe, die wir in
geſchichtlicher Zeit nachweiſen können, an Götterfeſte geknüpft;
ihre Schauplätze ſind urſprünglich die Tempelhöfe, die eigent¬
lichen Zuſchauer die Götter. Ihnen wird ja Alles verdankt,
was zum Wettkampfe befähigt, die Spannkraft der Muskeln,
die im Laufe ausdauernde Bruſt, die Harmonie der Glieder,
die Stimme des Geſangs wie die geiſtbeſeelte Rede — was
alſo immer an Ehre und Gewinn dadurch erworben wird,
gebührt von Rechtswegen der Gottheit. Der Menſch hat neben
ihr keinen Anſpruch. Die gewonnenen Dreifüße werden alſo
zum dauernden Schmucke um das Haus des Gottes aufge¬
ſtellt, und wer den goldenen Siegespreis, den er mühevoll
genug errungen hat, etwa heimtragen wollte, der würde dem
Gotte das Seine nehmen, er würde der Strafe des Tempel¬
raubes verfallen, und die Gemeinde, welche ihn ſchützen wollte,
müßte aus der Genoſſenſchaft des gottesdienſtlichen Vereins
ausgeſtoßen werden.

Je deutlicher ſich die Hellenen in ihrem Volksbewußtſein
von den Barbaren unterſcheiden lernten, um ſo lauterer und
eigenthümlicher haben ſie die Idee des Wettkampfes entwickelt,
und diejenigen unter ihnen, welche jenen Gegenſatz am kräf¬
tigſten darzuſtellen berufen waren, die Dorier, haben am ent¬
ſchiedenſten dahin gewirkt, jede Rückſicht auf Eigennutz und
alle unreinen Beimiſchungen zu entfernen. Die Werthpreiſe
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[141/0157] Der Wettkampf. begeiſterten Uebung ihrer Seelen- und Körperkräfte. Denn um ihre Götter zu ehren, glaubten ſie nicht nur die Erſtlings¬ früchte der Felder, die kräftigſten Thiere ihrer Heerden, ſon¬ dern vor Allem die Blüthe der Jugend in ihrer Geſundheit und Kraft den Göttern darſtellen zu müſſen, und zwar nicht bloß in feierlichen Aufzügen, in feſtlichen Tänzen, ſondern auch in freudigem Wettkampfe ſollten ihre Jünglinge zeigen, daß ſie die reichlich empfangenen Gottesgaben zu voller Entwicke¬ lung zu fördern nicht träge geweſen ſeien. So ſind die Wett¬ kämpfe ein Opfer des Danks, deſſen die Götter ſich freuen. Darum ſind alle regelmäßigen Wettkämpfe, die wir in geſchichtlicher Zeit nachweiſen können, an Götterfeſte geknüpft; ihre Schauplätze ſind urſprünglich die Tempelhöfe, die eigent¬ lichen Zuſchauer die Götter. Ihnen wird ja Alles verdankt, was zum Wettkampfe befähigt, die Spannkraft der Muskeln, die im Laufe ausdauernde Bruſt, die Harmonie der Glieder, die Stimme des Geſangs wie die geiſtbeſeelte Rede — was alſo immer an Ehre und Gewinn dadurch erworben wird, gebührt von Rechtswegen der Gottheit. Der Menſch hat neben ihr keinen Anſpruch. Die gewonnenen Dreifüße werden alſo zum dauernden Schmucke um das Haus des Gottes aufge¬ ſtellt, und wer den goldenen Siegespreis, den er mühevoll genug errungen hat, etwa heimtragen wollte, der würde dem Gotte das Seine nehmen, er würde der Strafe des Tempel¬ raubes verfallen, und die Gemeinde, welche ihn ſchützen wollte, müßte aus der Genoſſenſchaft des gottesdienſtlichen Vereins ausgeſtoßen werden. Je deutlicher ſich die Hellenen in ihrem Volksbewußtſein von den Barbaren unterſcheiden lernten, um ſo lauterer und eigenthümlicher haben ſie die Idee des Wettkampfes entwickelt, und diejenigen unter ihnen, welche jenen Gegenſatz am kräf¬ tigſten darzuſtellen berufen waren, die Dorier, haben am ent¬ ſchiedenſten dahin gewirkt, jede Rückſicht auf Eigennutz und alle unreinen Beimiſchungen zu entfernen. Die Werthpreiſe verſchwinden, damit Keiner, den ſchnöder Gewinn anlockt, an den heiligen Schauſpielen ſich betheilige. Der Kranz von

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Zitationshilfe: Curtius, Ernst: Alterthum und Gegenwart. Gesammelte Reden und Vorträge. Bd. 1. Berlin, 1875, S. 141. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/curtius_alterthum01_1875/157>, abgerufen am 18.05.2024.