Curtius, Ernst: Alterthum und Gegenwart. Gesammelte Reden und Vorträge. Bd. 1. Berlin, 1875.Der Wettkampf. eifernde Thatenlust -- bei den Hellenen in größter Reinheitund vorbildlicher Bedeutung sich uns offenbart. Sollte ich Ihnen mit einem Worte ein Kennzeichen des Ein Wettkampf -- zunächst der Stämme. Zwar sehen Die hellenische Geschichte beginnt, so wie sich die Stämme Freilich treten sie nicht gleichzeitig auf. An der Ostseite Der Wettkampf. eifernde Thatenluſt — bei den Hellenen in größter Reinheitund vorbildlicher Bedeutung ſich uns offenbart. Sollte ich Ihnen mit einem Worte ein Kennzeichen des Ein Wettkampf — zunächſt der Stämme. Zwar ſehen Die helleniſche Geſchichte beginnt, ſo wie ſich die Stämme Freilich treten ſie nicht gleichzeitig auf. An der Oſtſeite <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0150" n="134"/><fw place="top" type="header">Der Wettkampf.<lb/></fw> eifernde Thatenluſt — bei den Hellenen in größter Reinheit<lb/> und vorbildlicher Bedeutung ſich uns offenbart.</p><lb/> <p>Sollte ich Ihnen mit einem Worte ein Kennzeichen des<lb/> helleniſchen Lebens angeben, durch das es ſich von dem aller<lb/> anderen Völker unterſcheidet — ich würde ſagen, es ſei der<lb/> Kranz. Ja der Kranz iſt das Wappenzeichen der Hellenen,<lb/> das Symbol ihrer eigenthümlichen Macht und Größe. Warum<lb/> erſchraken ſonſt die ſtolzen Feldherren im Gefolge des Xerxes,<lb/> als ſie hörten, daß während des Anrückens ihrer Land-<lb/> und Flottenheere die Griechen am Alpheios um Olivenkränze<lb/> ſtritten? Sie erſchraken, weil ihnen die Ahnung aufging von<lb/> einer ihnen durchaus neuen Schätzung des Lebens, von einer<lb/> Anſicht, die nicht im behaglichen Beſitze, im ruhigen Genuſſe,<lb/> ſondern im Ringen und Streben den Werth des menſchlichen<lb/> Daſeins ſuchte, und dieſer Anſicht, das fühlten ſie, müſſe eine<lb/> ganz eigene Art des Heldenthums entſprießen. Es war aber<lb/> nicht nur in Delphi und Olympia, es war überhaupt nicht<lb/> nur in den Schranken der Rennbahn, daß die Hellenen ihre<lb/> Wettkämpfe hielten; ihr ganzes Leben, wie es uns in der<lb/> Geſchichte des Volks vorliegt, war ein großer Wettkampf.</p><lb/> <p>Ein Wettkampf — zunächſt der Stämme. Zwar ſehen<lb/> wir auch in der orientaliſchen Geſchichte die verſchiedenſten<lb/> Stämme mit einander ringen; ein Volk erhebt ſich über das<lb/> andere und drängt es aus ſeiner Stelle; aber hier gilt es nur<lb/> einen beſtimmten Beſitz. Iſt dieſer gewonnen, ſo folgt das<lb/> Leben wieder den alten Gleiſen; mit Erreichung des Ziels<lb/> hört das Streben auf, und der Stämme Eigenthümlichkeit<lb/> verſchwindet.</p><lb/> <p>Die helleniſche Geſchichte beginnt, ſo wie ſich die Stämme<lb/> einander gegenübertreten; ſie beſteht weſentlich in der Wechſel¬<lb/> wirkung derſelben und ſchließt, ſo wie dieſe aufhört.</p><lb/> <p>Freilich treten ſie nicht gleichzeitig auf. An der Oſtſeite<lb/> des griechiſchen Meers erwacht das geſchichtliche Leben, in<lb/> den Küſtenländern Kleinaſiens, wo helleniſche Stämme ihrer<lb/> Kraft und ihres Berufs bewußt werden. Aber kaum haben<lb/> ſie den älteren Seevölkern die Kunſt der Schifffahrt abgelernt,<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [134/0150]
Der Wettkampf.
eifernde Thatenluſt — bei den Hellenen in größter Reinheit
und vorbildlicher Bedeutung ſich uns offenbart.
Sollte ich Ihnen mit einem Worte ein Kennzeichen des
helleniſchen Lebens angeben, durch das es ſich von dem aller
anderen Völker unterſcheidet — ich würde ſagen, es ſei der
Kranz. Ja der Kranz iſt das Wappenzeichen der Hellenen,
das Symbol ihrer eigenthümlichen Macht und Größe. Warum
erſchraken ſonſt die ſtolzen Feldherren im Gefolge des Xerxes,
als ſie hörten, daß während des Anrückens ihrer Land-
und Flottenheere die Griechen am Alpheios um Olivenkränze
ſtritten? Sie erſchraken, weil ihnen die Ahnung aufging von
einer ihnen durchaus neuen Schätzung des Lebens, von einer
Anſicht, die nicht im behaglichen Beſitze, im ruhigen Genuſſe,
ſondern im Ringen und Streben den Werth des menſchlichen
Daſeins ſuchte, und dieſer Anſicht, das fühlten ſie, müſſe eine
ganz eigene Art des Heldenthums entſprießen. Es war aber
nicht nur in Delphi und Olympia, es war überhaupt nicht
nur in den Schranken der Rennbahn, daß die Hellenen ihre
Wettkämpfe hielten; ihr ganzes Leben, wie es uns in der
Geſchichte des Volks vorliegt, war ein großer Wettkampf.
Ein Wettkampf — zunächſt der Stämme. Zwar ſehen
wir auch in der orientaliſchen Geſchichte die verſchiedenſten
Stämme mit einander ringen; ein Volk erhebt ſich über das
andere und drängt es aus ſeiner Stelle; aber hier gilt es nur
einen beſtimmten Beſitz. Iſt dieſer gewonnen, ſo folgt das
Leben wieder den alten Gleiſen; mit Erreichung des Ziels
hört das Streben auf, und der Stämme Eigenthümlichkeit
verſchwindet.
Die helleniſche Geſchichte beginnt, ſo wie ſich die Stämme
einander gegenübertreten; ſie beſteht weſentlich in der Wechſel¬
wirkung derſelben und ſchließt, ſo wie dieſe aufhört.
Freilich treten ſie nicht gleichzeitig auf. An der Oſtſeite
des griechiſchen Meers erwacht das geſchichtliche Leben, in
den Küſtenländern Kleinaſiens, wo helleniſche Stämme ihrer
Kraft und ihres Berufs bewußt werden. Aber kaum haben
ſie den älteren Seevölkern die Kunſt der Schifffahrt abgelernt,
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