Die öffentliche Pflege von Wissenschaft und Kunst.
Der Staat soll aber nicht bloß nach hellenistischem Vor¬ gange seine Mittel in Bewegung setzen, um der Forschung Wege zu bahnen und Stoff zu liefern. Warum sollten wir denn -- und das ist der zweite Punkt -- nur die Nachfolger der Hellenen zu Vorbildern nehmen und nicht die Hellenen selbst? Damit soll keine Verläugnung des Vaterländischen und Volksthümlichen gemeint sein, sondern die entschlossene Aneignung dessen, was im Hellenischen das echt Menschliche, das Gute und deshalb ewig Gültige ist.
Also soll der Staat, wie ich es ausdrücken möchte, zu Wissenschaft und Kunst sich öffentlich bekennen, und zwar nicht im Sinne der Höfe von Alexandreia und Pergamon, welche bei der Pflege derselben immer noch etwas Anderes im Auge hatten, fremdartige Ziele verfolgten und sich selbst verherrlichen wollten, vielmehr in dem echt hellenischen Sinne, der das Gute um seiner selbst willen liebt, in dem Sinne, der in Kunst und Wissenschaft nicht einen Luxus sieht, welcher nach Befriedigung der eigentlichen Staatsbedürfnisse auch einige Berücksichtigung verdiene, sondern die edelste Seite des Volkslebens, welche ohne schweren Schaden nicht verab¬ säumt werden dürfe, einen Quell unerschöpflicher Lebenskraft und das unentbehrliche Gegengewicht gegen das ruhelose Jagen nach Besitz und Genuß.
Das Gemüth des Volks gleicht so gut wie das des Ein¬ zelnen dem platonischen Zwiegespanne, an welchem das eine Roß in rastloser Sehnsucht nach oben steigt, während das andere dem Staube zugekehrt ist. Der Staat soll das edle Roß pflegen, ohne es in seinen Dienst nehmen oder ihm seine Bahn vorzeichnen zu wollen. Er hat keinen Grund sich vor dem freien Gedanken zu fürchten, wie es die alten Republiken thaten, wenn sie die Throne ihrer Schutzgötter wanken sahen. Wir glauben an die Wahrheit, welche durch alle Anfechtungen und Verkennungen siegreich hindurch dringen muß; wir wissen, daß Irrungen der Wissenschaft nur auf wissenschaftlichem Wege berichtigt werden können.
Die öffentliche Pflege von Wiſſenſchaft und Kunſt.
Der Staat ſoll aber nicht bloß nach helleniſtiſchem Vor¬ gange ſeine Mittel in Bewegung ſetzen, um der Forſchung Wege zu bahnen und Stoff zu liefern. Warum ſollten wir denn — und das iſt der zweite Punkt — nur die Nachfolger der Hellenen zu Vorbildern nehmen und nicht die Hellenen ſelbſt? Damit ſoll keine Verläugnung des Vaterländiſchen und Volksthümlichen gemeint ſein, ſondern die entſchloſſene Aneignung deſſen, was im Helleniſchen das echt Menſchliche, das Gute und deshalb ewig Gültige iſt.
Alſo ſoll der Staat, wie ich es ausdrücken möchte, zu Wiſſenſchaft und Kunſt ſich öffentlich bekennen, und zwar nicht im Sinne der Höfe von Alexandreia und Pergamon, welche bei der Pflege derſelben immer noch etwas Anderes im Auge hatten, fremdartige Ziele verfolgten und ſich ſelbſt verherrlichen wollten, vielmehr in dem echt helleniſchen Sinne, der das Gute um ſeiner ſelbſt willen liebt, in dem Sinne, der in Kunſt und Wiſſenſchaft nicht einen Luxus ſieht, welcher nach Befriedigung der eigentlichen Staatsbedürfniſſe auch einige Berückſichtigung verdiene, ſondern die edelſte Seite des Volkslebens, welche ohne ſchweren Schaden nicht verab¬ ſäumt werden dürfe, einen Quell unerſchöpflicher Lebenskraft und das unentbehrliche Gegengewicht gegen das ruheloſe Jagen nach Beſitz und Genuß.
Das Gemüth des Volks gleicht ſo gut wie das des Ein¬ zelnen dem platoniſchen Zwiegeſpanne, an welchem das eine Roß in raſtloſer Sehnſucht nach oben ſteigt, während das andere dem Staube zugekehrt iſt. Der Staat ſoll das edle Roß pflegen, ohne es in ſeinen Dienſt nehmen oder ihm ſeine Bahn vorzeichnen zu wollen. Er hat keinen Grund ſich vor dem freien Gedanken zu fürchten, wie es die alten Republiken thaten, wenn ſie die Throne ihrer Schutzgötter wanken ſahen. Wir glauben an die Wahrheit, welche durch alle Anfechtungen und Verkennungen ſiegreich hindurch dringen muß; wir wiſſen, daß Irrungen der Wiſſenſchaft nur auf wiſſenſchaftlichem Wege berichtigt werden können.
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Die öffentliche Pflege von Wiſſenſchaft und Kunſt.
Der Staat ſoll aber nicht bloß nach helleniſtiſchem Vor¬
gange ſeine Mittel in Bewegung ſetzen, um der Forſchung
Wege zu bahnen und Stoff zu liefern. Warum ſollten wir
denn — und das iſt der zweite Punkt — nur die Nachfolger
der Hellenen zu Vorbildern nehmen und nicht die Hellenen
ſelbſt? Damit ſoll keine Verläugnung des Vaterländiſchen
und Volksthümlichen gemeint ſein, ſondern die entſchloſſene
Aneignung deſſen, was im Helleniſchen das echt Menſchliche,
das Gute und deshalb ewig Gültige iſt.
Alſo ſoll der Staat, wie ich es ausdrücken möchte, zu
Wiſſenſchaft und Kunſt ſich öffentlich bekennen, und zwar
nicht im Sinne der Höfe von Alexandreia und Pergamon,
welche bei der Pflege derſelben immer noch etwas Anderes
im Auge hatten, fremdartige Ziele verfolgten und ſich ſelbſt
verherrlichen wollten, vielmehr in dem echt helleniſchen
Sinne, der das Gute um ſeiner ſelbſt willen liebt, in dem
Sinne, der in Kunſt und Wiſſenſchaft nicht einen Luxus ſieht,
welcher nach Befriedigung der eigentlichen Staatsbedürfniſſe
auch einige Berückſichtigung verdiene, ſondern die edelſte Seite
des Volkslebens, welche ohne ſchweren Schaden nicht verab¬
ſäumt werden dürfe, einen Quell unerſchöpflicher Lebenskraft
und das unentbehrliche Gegengewicht gegen das ruheloſe
Jagen nach Beſitz und Genuß.
Das Gemüth des Volks gleicht ſo gut wie das des Ein¬
zelnen dem platoniſchen Zwiegeſpanne, an welchem das eine
Roß in raſtloſer Sehnſucht nach oben ſteigt, während das
andere dem Staube zugekehrt iſt. Der Staat ſoll das edle
Roß pflegen, ohne es in ſeinen Dienſt nehmen oder ihm ſeine
Bahn vorzeichnen zu wollen. Er hat keinen Grund ſich vor
dem freien Gedanken zu fürchten, wie es die alten Republiken
thaten, wenn ſie die Throne ihrer Schutzgötter wanken ſahen.
Wir glauben an die Wahrheit, welche durch alle Anfechtungen
und Verkennungen ſiegreich hindurch dringen muß; wir wiſſen,
daß Irrungen der Wiſſenſchaft nur auf wiſſenſchaftlichem
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Curtius, Ernst: Alterthum und Gegenwart. Gesammelte Reden und Vorträge. Bd. 1. Berlin, 1875, S. 128. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/curtius_alterthum01_1875/144>, abgerufen am 27.11.2024.
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