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Curtius, Ernst: Alterthum und Gegenwart. Gesammelte Reden und Vorträge. Bd. 1. Berlin, 1875.

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Die öffentliche Pflege von Wissenschaft und Kunst.
Auslande gegenüber als die würdigsten Vertreter ihrer Staaten
und wurden zu den wichtigsten Gesandtschaften benutzt. Den
Thebanern erklärte Epaminondas, wenn sie Athen den Vor¬
rang in Griechenland streitig machen wollten, so müßten sie
auch die Propyläen der Akropolis an den Aufgang der Kadmea
versetzen. König Philipp ließ die Gebeine des Linos nach
Makedonien bringen, um seine Herrschaftsansprüche dadurch
zu begründen, daß er seine Heimath als den Ursitz hellenischer
Poesie in Erinnerung brachte, und von Alexander sagte man,
daß er mehr durch Aristoteles als durch Philipp die Macht
empfangen habe die Welt zu überwinden.

Daß in der Bildung der Bürger die Macht der Staaten
ruhe, war die allgemeine Ansicht, aber die Bildung wurde sehr
verschieden aufgefaßt. Denn diejenigen Staaten, welche alles
Gewicht auf unveränderte Fortdauer der überlieferten Satzungen
legten, mußten auch die gesammte Erziehung darauf einrichten
und Alles fernhalten, was die Jugend in der unbedingten
Hingabe an das Bestehende irre machen könnte. In Athen
dachte man zu hoch von der geistigen Bildung, um sie als
Staatsmittel im Sinne einer conservativen Politik zu verwen¬
den, und man dachte vom Staate zu hoch, um seinen Be¬
stand von einer Verkümmerung der menschlichen Natur ab¬
hängig machen zu wollen. Athen ist der erste Staat, welcher
es gewagt hat, die freie Ausbildung des Menschen als die
beste Vorbereitung des Bürgers anzusehen, und indem man
sich dabei auf den angeborenen Lerneifer verließ sowie auf
die Macht der Ueberlieferung, durch welche die leibliche und
geistige Jugendbildung geregelt war, enthielt man sich von
Staatswegen jedes Eingriffs in eine Angelegenheit, welche man
als eine häusliche angesehen wissen wollte. Darum gab es
keinen Schulzwang, keinen öffentlich anerkannten Lehrplan oder
Lehrstand, und das solonische Unterrichtsgesetz beruhte im
Wesentlichen auf dem Satze, daß, während in den übrigen
Staaten Verpflegung der Eltern als unbedingte Pflicht der
Kinder gesetzlich anerkannt war, dies in Athen ausdrücklich
auf diejenigen beschränkt wurde, welche ihren Kindern die ge¬

Die öffentliche Pflege von Wiſſenſchaft und Kunſt.
Auslande gegenüber als die würdigſten Vertreter ihrer Staaten
und wurden zu den wichtigſten Geſandtſchaften benutzt. Den
Thebanern erklärte Epaminondas, wenn ſie Athen den Vor¬
rang in Griechenland ſtreitig machen wollten, ſo müßten ſie
auch die Propyläen der Akropolis an den Aufgang der Kadmea
verſetzen. König Philipp ließ die Gebeine des Linos nach
Makedonien bringen, um ſeine Herrſchaftsanſprüche dadurch
zu begründen, daß er ſeine Heimath als den Urſitz helleniſcher
Poeſie in Erinnerung brachte, und von Alexander ſagte man,
daß er mehr durch Ariſtoteles als durch Philipp die Macht
empfangen habe die Welt zu überwinden.

Daß in der Bildung der Bürger die Macht der Staaten
ruhe, war die allgemeine Anſicht, aber die Bildung wurde ſehr
verſchieden aufgefaßt. Denn diejenigen Staaten, welche alles
Gewicht auf unveränderte Fortdauer der überlieferten Satzungen
legten, mußten auch die geſammte Erziehung darauf einrichten
und Alles fernhalten, was die Jugend in der unbedingten
Hingabe an das Beſtehende irre machen könnte. In Athen
dachte man zu hoch von der geiſtigen Bildung, um ſie als
Staatsmittel im Sinne einer conſervativen Politik zu verwen¬
den, und man dachte vom Staate zu hoch, um ſeinen Be¬
ſtand von einer Verkümmerung der menſchlichen Natur ab¬
hängig machen zu wollen. Athen iſt der erſte Staat, welcher
es gewagt hat, die freie Ausbildung des Menſchen als die
beſte Vorbereitung des Bürgers anzuſehen, und indem man
ſich dabei auf den angeborenen Lerneifer verließ ſowie auf
die Macht der Ueberlieferung, durch welche die leibliche und
geiſtige Jugendbildung geregelt war, enthielt man ſich von
Staatswegen jedes Eingriffs in eine Angelegenheit, welche man
als eine häusliche angeſehen wiſſen wollte. Darum gab es
keinen Schulzwang, keinen öffentlich anerkannten Lehrplan oder
Lehrſtand, und das ſoloniſche Unterrichtsgeſetz beruhte im
Weſentlichen auf dem Satze, daß, während in den übrigen
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[118/0134] Die öffentliche Pflege von Wiſſenſchaft und Kunſt. Auslande gegenüber als die würdigſten Vertreter ihrer Staaten und wurden zu den wichtigſten Geſandtſchaften benutzt. Den Thebanern erklärte Epaminondas, wenn ſie Athen den Vor¬ rang in Griechenland ſtreitig machen wollten, ſo müßten ſie auch die Propyläen der Akropolis an den Aufgang der Kadmea verſetzen. König Philipp ließ die Gebeine des Linos nach Makedonien bringen, um ſeine Herrſchaftsanſprüche dadurch zu begründen, daß er ſeine Heimath als den Urſitz helleniſcher Poeſie in Erinnerung brachte, und von Alexander ſagte man, daß er mehr durch Ariſtoteles als durch Philipp die Macht empfangen habe die Welt zu überwinden. Daß in der Bildung der Bürger die Macht der Staaten ruhe, war die allgemeine Anſicht, aber die Bildung wurde ſehr verſchieden aufgefaßt. Denn diejenigen Staaten, welche alles Gewicht auf unveränderte Fortdauer der überlieferten Satzungen legten, mußten auch die geſammte Erziehung darauf einrichten und Alles fernhalten, was die Jugend in der unbedingten Hingabe an das Beſtehende irre machen könnte. In Athen dachte man zu hoch von der geiſtigen Bildung, um ſie als Staatsmittel im Sinne einer conſervativen Politik zu verwen¬ den, und man dachte vom Staate zu hoch, um ſeinen Be¬ ſtand von einer Verkümmerung der menſchlichen Natur ab¬ hängig machen zu wollen. Athen iſt der erſte Staat, welcher es gewagt hat, die freie Ausbildung des Menſchen als die beſte Vorbereitung des Bürgers anzuſehen, und indem man ſich dabei auf den angeborenen Lerneifer verließ ſowie auf die Macht der Ueberlieferung, durch welche die leibliche und geiſtige Jugendbildung geregelt war, enthielt man ſich von Staatswegen jedes Eingriffs in eine Angelegenheit, welche man als eine häusliche angeſehen wiſſen wollte. Darum gab es keinen Schulzwang, keinen öffentlich anerkannten Lehrplan oder Lehrſtand, und das ſoloniſche Unterrichtsgeſetz beruhte im Weſentlichen auf dem Satze, daß, während in den übrigen Staaten Verpflegung der Eltern als unbedingte Pflicht der Kinder geſetzlich anerkannt war, dies in Athen ausdrücklich auf diejenigen beſchränkt wurde, welche ihren Kindern die ge¬

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Zitationshilfe: Curtius, Ernst: Alterthum und Gegenwart. Gesammelte Reden und Vorträge. Bd. 1. Berlin, 1875, S. 118. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/curtius_alterthum01_1875/134>, abgerufen am 28.11.2024.