Die öffentliche Pflege von Wissenschaft und Kunst.
mehr von außen gegeben, sie wollen gesucht und gefunden sein. Man fühlt, daß man nicht in die alten Gleise zurück¬ kehren könne, daß die Ansprüche überall gestiegen seien, aber wie sie erfüllen, wie den großen, idealen Aufgaben des Frie¬ dens gerecht werden?
Das ist eine Frage, die uns Alle nahe angeht, und je verschiedenere Ansichten darüber laut werden, um so mehr dürfte es der Bedeutung des Tags entsprechen, wenn wir die Beschaffenheit jener Aufgaben in Erwägung ziehen und dar¬ über nachdenken, wie weit die Erledigung derselben als eine Staatsangelegenheit zu betrachten sei. Es kann aber, wie ich glaube, an dieser Stelle nicht schicklicher darüber gehandelt werden, als wenn wir in die Vergangenheit blicken und aus der Geschichte zu lernen suchen, was an den Stätten, welche uns als leuchtende Muster vorschweben, so oft von den edelsten Friedensgütern, von Wissenschaft und Kunst, die Rede ist, auf Veranstaltung des Staats für die Pflege derselben ge¬ schehen ist.
Bei keinem Volk der Erde sind die geistigen Grund¬ lagen des Staatswohls und der Staatsmacht in gleichem Grade anerkannt worden, wie bei den Hellenen. Das ist ein Charakterzug des Volks, welchen wir durch alle Verfassungen und alle Perioden ihrer Geschichte verfolgen können. In Troizen zeigte man auf dem Markte das Musenheiligthum, bei welchem der Urkönig Pittheus selbst seine Unterthanen in den schönen Künsten unterwiesen haben sollte, und die Verab¬ säumung derselben erschien als ein solcher Frevel, daß noch Polybios die bürgerliche Zerrüttung und den Untergang einer arkadischen Stadt als die gerechte Folge derselben darstellt. Als Mytilene die Herrschaft von Lesbos an sich bringen wollte, glaubten die Bürger kein wirksameres Mittel anwenden zu können, als daß sie in den anderen Inselstädten die höheren Lehranstalten eingehen ließen. Die Einführung der homeri¬ schen Gedichte und anderer Gattungen von Kunst und Litte¬ ratur war mit den wichtigsten Epochen bürgerlicher Gesetzge¬ bung eng verflochten. Dichter und Philosophen galten dem
Die öffentliche Pflege von Wiſſenſchaft und Kunſt.
mehr von außen gegeben, ſie wollen geſucht und gefunden ſein. Man fühlt, daß man nicht in die alten Gleiſe zurück¬ kehren könne, daß die Anſprüche überall geſtiegen ſeien, aber wie ſie erfüllen, wie den großen, idealen Aufgaben des Frie¬ dens gerecht werden?
Das iſt eine Frage, die uns Alle nahe angeht, und je verſchiedenere Anſichten darüber laut werden, um ſo mehr dürfte es der Bedeutung des Tags entſprechen, wenn wir die Beſchaffenheit jener Aufgaben in Erwägung ziehen und dar¬ über nachdenken, wie weit die Erledigung derſelben als eine Staatsangelegenheit zu betrachten ſei. Es kann aber, wie ich glaube, an dieſer Stelle nicht ſchicklicher darüber gehandelt werden, als wenn wir in die Vergangenheit blicken und aus der Geſchichte zu lernen ſuchen, was an den Stätten, welche uns als leuchtende Muſter vorſchweben, ſo oft von den edelſten Friedensgütern, von Wiſſenſchaft und Kunſt, die Rede iſt, auf Veranſtaltung des Staats für die Pflege derſelben ge¬ ſchehen iſt.
Bei keinem Volk der Erde ſind die geiſtigen Grund¬ lagen des Staatswohls und der Staatsmacht in gleichem Grade anerkannt worden, wie bei den Hellenen. Das iſt ein Charakterzug des Volks, welchen wir durch alle Verfaſſungen und alle Perioden ihrer Geſchichte verfolgen können. In Troizen zeigte man auf dem Markte das Muſenheiligthum, bei welchem der Urkönig Pittheus ſelbſt ſeine Unterthanen in den ſchönen Künſten unterwieſen haben ſollte, und die Verab¬ ſäumung derſelben erſchien als ein ſolcher Frevel, daß noch Polybios die bürgerliche Zerrüttung und den Untergang einer arkadiſchen Stadt als die gerechte Folge derſelben darſtellt. Als Mytilene die Herrſchaft von Lesbos an ſich bringen wollte, glaubten die Bürger kein wirkſameres Mittel anwenden zu können, als daß ſie in den anderen Inſelſtädten die höheren Lehranſtalten eingehen ließen. Die Einführung der homeri¬ ſchen Gedichte und anderer Gattungen von Kunſt und Litte¬ ratur war mit den wichtigſten Epochen bürgerlicher Geſetzge¬ bung eng verflochten. Dichter und Philoſophen galten dem
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Die öffentliche Pflege von Wiſſenſchaft und Kunſt.
mehr von außen gegeben, ſie wollen geſucht und gefunden
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kehren könne, daß die Anſprüche überall geſtiegen ſeien, aber
wie ſie erfüllen, wie den großen, idealen Aufgaben des Frie¬
dens gerecht werden?
Das iſt eine Frage, die uns Alle nahe angeht, und je
verſchiedenere Anſichten darüber laut werden, um ſo mehr
dürfte es der Bedeutung des Tags entſprechen, wenn wir die
Beſchaffenheit jener Aufgaben in Erwägung ziehen und dar¬
über nachdenken, wie weit die Erledigung derſelben als eine
Staatsangelegenheit zu betrachten ſei. Es kann aber, wie
ich glaube, an dieſer Stelle nicht ſchicklicher darüber gehandelt
werden, als wenn wir in die Vergangenheit blicken und aus
der Geſchichte zu lernen ſuchen, was an den Stätten, welche
uns als leuchtende Muſter vorſchweben, ſo oft von den edelſten
Friedensgütern, von Wiſſenſchaft und Kunſt, die Rede iſt,
auf Veranſtaltung des Staats für die Pflege derſelben ge¬
ſchehen iſt.
Bei keinem Volk der Erde ſind die geiſtigen Grund¬
lagen des Staatswohls und der Staatsmacht in gleichem
Grade anerkannt worden, wie bei den Hellenen. Das iſt ein
Charakterzug des Volks, welchen wir durch alle Verfaſſungen
und alle Perioden ihrer Geſchichte verfolgen können. In
Troizen zeigte man auf dem Markte das Muſenheiligthum,
bei welchem der Urkönig Pittheus ſelbſt ſeine Unterthanen in
den ſchönen Künſten unterwieſen haben ſollte, und die Verab¬
ſäumung derſelben erſchien als ein ſolcher Frevel, daß noch
Polybios die bürgerliche Zerrüttung und den Untergang einer
arkadiſchen Stadt als die gerechte Folge derſelben darſtellt.
Als Mytilene die Herrſchaft von Lesbos an ſich bringen wollte,
glaubten die Bürger kein wirkſameres Mittel anwenden zu
können, als daß ſie in den anderen Inſelſtädten die höheren
Lehranſtalten eingehen ließen. Die Einführung der homeri¬
ſchen Gedichte und anderer Gattungen von Kunſt und Litte¬
ratur war mit den wichtigſten Epochen bürgerlicher Geſetzge¬
bung eng verflochten. Dichter und Philoſophen galten dem
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Curtius, Ernst: Alterthum und Gegenwart. Gesammelte Reden und Vorträge. Bd. 1. Berlin, 1875, S. 117. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/curtius_alterthum01_1875/133>, abgerufen am 03.07.2024.
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