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Curtius, Ernst: Alterthum und Gegenwart. Gesammelte Reden und Vorträge. Bd. 1. Berlin, 1875.

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Kunstsammlungen, ihre Geschichte und ihre Bestimmung.

Die Privatleute gingen voran. Petrarca vor Allen, Cy¬
riacus von Ancona, Poggio, der berühmte Florentiner, der
bei sieben Päpsten Staatssecretair gewesen ist, Leonardo Bruno,
Pomponius Laetus. Man sammelte kleine Antiquitäten, die
leicht zu erwerben und aufzuheben waren. Beschriebene Steine
zogen in der lesedurstigen Zeit vor Allem an, dann Büsten,
am meisten unterschriebene. Denn nun tauchten auf einmal
die Gesichter der Männer wieder auf, deren Namen und Tha¬
ten die neugefundenen Bücherrollen meldeten. Man sammelte,
um sich an großen Vorbildern zu erheben. Poggio war in
seinem Studio von Philosophenbüsten umgeben. Zur Illustra¬
tion der Geschichte suchte man möglichst vollständige Münz¬
reihen mit den Köpfen der Cäsaren, welche wie lauter Heroen
erschienen. Petrarca schenkte eine Sammlung Carl dem Vierten
in Mantua, damit er solche Vorbilder täglich vor Augen habe.

Die Studienzimmer einsamer Forscher, welche sich die
geistige Welt, in der sie lebten, auch äußerlich zu vergegen¬
wärtigen suchten, waren die ersten Museen der neueren Zeit.
Dann kamen die Fürsten Italiens; zuerst das Haus Este.
Isabelle, die Gemahlin Franz des Zweiten von Mantua,
legte, soviel bekannt, die erste Gemmensammlung an (1470);
auch von den Münzen unsrer Sammlung tragen noch manche
das Zeichen des Adlers als Zeugniß, daß sie einst der Galeria
d'Este angehört haben. Man folgte in Ferrara, in Mailand
und bald wurde ein zierliches Kästchen mit wohl erhaltenen
Anticaglien zum unentbehrlichen Bestandtheile jedes fürstlichen
Haushalts in Italien.

In größerem Stil wirkten die Mediceer in Florenz, wo
Cosmo sammelte auf Donatello's Rath und dann seine Nach¬
folger Pietro und Lorenzo. Hier wurde das Sammeln zu¬
erst wieder, wie in der Cäsarenzeit, vom Staatsinteresse aus
ins Auge gefaßt, und als einmal der Sinn erwacht war, da
öffnete sich auch der Schoß des klassischen Bodens; die Götter
der alten Welt kamen zum zweiten Male an das Licht. Bei
Porto d'Anzo entstieg Apollo jugendfrisch dem Schattenreiche;
es folgten Laokoon, der Torso, Ariadne.

Kunſtſammlungen, ihre Geſchichte und ihre Beſtimmung.

Die Privatleute gingen voran. Petrarca vor Allen, Cy¬
riacus von Ancona, Poggio, der berühmte Florentiner, der
bei ſieben Päpſten Staatsſecretair geweſen iſt, Leonardo Bruno,
Pomponius Laetus. Man ſammelte kleine Antiquitäten, die
leicht zu erwerben und aufzuheben waren. Beſchriebene Steine
zogen in der leſedurſtigen Zeit vor Allem an, dann Büſten,
am meiſten unterſchriebene. Denn nun tauchten auf einmal
die Geſichter der Männer wieder auf, deren Namen und Tha¬
ten die neugefundenen Bücherrollen meldeten. Man ſammelte,
um ſich an großen Vorbildern zu erheben. Poggio war in
ſeinem Studio von Philoſophenbüſten umgeben. Zur Illuſtra¬
tion der Geſchichte ſuchte man möglichſt vollſtändige Münz¬
reihen mit den Köpfen der Cäſaren, welche wie lauter Heroen
erſchienen. Petrarca ſchenkte eine Sammlung Carl dem Vierten
in Mantua, damit er ſolche Vorbilder täglich vor Augen habe.

Die Studienzimmer einſamer Forſcher, welche ſich die
geiſtige Welt, in der ſie lebten, auch äußerlich zu vergegen¬
wärtigen ſuchten, waren die erſten Muſeen der neueren Zeit.
Dann kamen die Fürſten Italiens; zuerſt das Haus Eſte.
Iſabelle, die Gemahlin Franz des Zweiten von Mantua,
legte, ſoviel bekannt, die erſte Gemmenſammlung an (1470);
auch von den Münzen unſrer Sammlung tragen noch manche
das Zeichen des Adlers als Zeugniß, daß ſie einſt der Galeria
d'Eſte angehört haben. Man folgte in Ferrara, in Mailand
und bald wurde ein zierliches Käſtchen mit wohl erhaltenen
Anticaglien zum unentbehrlichen Beſtandtheile jedes fürſtlichen
Haushalts in Italien.

In größerem Stil wirkten die Mediceer in Florenz, wo
Cosmo ſammelte auf Donatello's Rath und dann ſeine Nach¬
folger Pietro und Lorenzo. Hier wurde das Sammeln zu¬
erſt wieder, wie in der Cäſarenzeit, vom Staatsintereſſe aus
ins Auge gefaßt, und als einmal der Sinn erwacht war, da
öffnete ſich auch der Schoß des klaſſiſchen Bodens; die Götter
der alten Welt kamen zum zweiten Male an das Licht. Bei
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es folgten Laokoon, der Torſo, Ariadne.

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[106/0122] Kunſtſammlungen, ihre Geſchichte und ihre Beſtimmung. Die Privatleute gingen voran. Petrarca vor Allen, Cy¬ riacus von Ancona, Poggio, der berühmte Florentiner, der bei ſieben Päpſten Staatsſecretair geweſen iſt, Leonardo Bruno, Pomponius Laetus. Man ſammelte kleine Antiquitäten, die leicht zu erwerben und aufzuheben waren. Beſchriebene Steine zogen in der leſedurſtigen Zeit vor Allem an, dann Büſten, am meiſten unterſchriebene. Denn nun tauchten auf einmal die Geſichter der Männer wieder auf, deren Namen und Tha¬ ten die neugefundenen Bücherrollen meldeten. Man ſammelte, um ſich an großen Vorbildern zu erheben. Poggio war in ſeinem Studio von Philoſophenbüſten umgeben. Zur Illuſtra¬ tion der Geſchichte ſuchte man möglichſt vollſtändige Münz¬ reihen mit den Köpfen der Cäſaren, welche wie lauter Heroen erſchienen. Petrarca ſchenkte eine Sammlung Carl dem Vierten in Mantua, damit er ſolche Vorbilder täglich vor Augen habe. Die Studienzimmer einſamer Forſcher, welche ſich die geiſtige Welt, in der ſie lebten, auch äußerlich zu vergegen¬ wärtigen ſuchten, waren die erſten Muſeen der neueren Zeit. Dann kamen die Fürſten Italiens; zuerſt das Haus Eſte. Iſabelle, die Gemahlin Franz des Zweiten von Mantua, legte, ſoviel bekannt, die erſte Gemmenſammlung an (1470); auch von den Münzen unſrer Sammlung tragen noch manche das Zeichen des Adlers als Zeugniß, daß ſie einſt der Galeria d'Eſte angehört haben. Man folgte in Ferrara, in Mailand und bald wurde ein zierliches Käſtchen mit wohl erhaltenen Anticaglien zum unentbehrlichen Beſtandtheile jedes fürſtlichen Haushalts in Italien. In größerem Stil wirkten die Mediceer in Florenz, wo Cosmo ſammelte auf Donatello's Rath und dann ſeine Nach¬ folger Pietro und Lorenzo. Hier wurde das Sammeln zu¬ erſt wieder, wie in der Cäſarenzeit, vom Staatsintereſſe aus ins Auge gefaßt, und als einmal der Sinn erwacht war, da öffnete ſich auch der Schoß des klaſſiſchen Bodens; die Götter der alten Welt kamen zum zweiten Male an das Licht. Bei Porto d'Anzo entſtieg Apollo jugendfriſch dem Schattenreiche; es folgten Laokoon, der Torſo, Ariadne.

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Zitationshilfe: Curtius, Ernst: Alterthum und Gegenwart. Gesammelte Reden und Vorträge. Bd. 1. Berlin, 1875, S. 106. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/curtius_alterthum01_1875/122>, abgerufen am 29.11.2024.