Kunstsammlungen, ihre Geschichte und ihre Bestimmung.
Theil seiner Schätze wieder abgeben; Athen, Rhodus, Klein¬ asien wurden gebrandschatzt. In langen Reihen standen die Götter der alten Welt vor den Palastfronten und in den Hallen; die öffentlichen Bäder waren Museen, in der Sophien¬ kirche kamen über 420 Statuen zusammen, Herkunft und Be¬ deutung der geschichtlichen Denkmäler wurde durch Inschriften angegeben und ein eigenes Hofamt sorgte für die Sammlungen, welche das Herrschaftsgeschmeide der neuen Weltstadt waren.
Indessen schien es, als ob die Kunstwerke des Alterthums nur deshalb in Rom und Byzanz angehäuft worden wären, um bei den Feuersbrünsten und andern Katastrophen, denen die Großstädte vorzugsweise ausgesetzt waren, massenweise unterzugehen. Neue Stadtquartiere erhoben sich über dem Schutte, der die alte Herrlichkeit bedeckte, und wo sich hier und da etwas auf der Oberfläche erhalten hatte, waren die Augen der Menschen gehalten; man sah nichts, man wußte nichts zu erkennen und zu würdigen.
Es sollte aber durch jene Schuttdecke nicht für immer die alte Welt von der Gegenwart getrennt bleiben. Nachdem schon mehrfach eine Ahnung von der versunkenen Wunder¬ welt und eine Sehnsucht nach ihren Schätzen sich angemeldet hatte, kam endlich ein Trieb von unwiderstehlicher Kraft zum Durchbruch, welcher den Menschen keine Ruhe ließ, bis die auseinander gerissenen Hälften der Menschheit wieder zusam¬ men kamen. An Stelle gleichgültiger Beschränktheit trat ein Wissensdurst, dem kein Genüge zu schaffen war; die Augen öffneten sich für das, an dem man stumpfsinnig vorbeigegangen war. Auch das Ferne suchte man auf, und als Cyriacus, der erste aller wissenschaftlichen Reisenden jener Zeit (um 1430), gefragt wurde, weshalb er sich doch mit Inschriften und Denk¬ mälern abquäle, antwortete er: "um die Todten aufzuwecken." Nicht das ästhetische Interesse war maßgebend, sondern das historische; darum war auch der kleinste Ueberrest von Be¬ deutung und je weniger erhalten war, je mehr Alles hervor¬ gesucht und zusammengebracht werden mußte, um so lebhafter steigerte sich der Sammeleifer.
Kunſtſammlungen, ihre Geſchichte und ihre Beſtimmung.
Theil ſeiner Schätze wieder abgeben; Athen, Rhodus, Klein¬ aſien wurden gebrandſchatzt. In langen Reihen ſtanden die Götter der alten Welt vor den Palaſtfronten und in den Hallen; die öffentlichen Bäder waren Muſeen, in der Sophien¬ kirche kamen über 420 Statuen zuſammen, Herkunft und Be¬ deutung der geſchichtlichen Denkmäler wurde durch Inſchriften angegeben und ein eigenes Hofamt ſorgte für die Sammlungen, welche das Herrſchaftsgeſchmeide der neuen Weltſtadt waren.
Indeſſen ſchien es, als ob die Kunſtwerke des Alterthums nur deshalb in Rom und Byzanz angehäuft worden wären, um bei den Feuersbrünſten und andern Kataſtrophen, denen die Großſtädte vorzugsweiſe ausgeſetzt waren, maſſenweiſe unterzugehen. Neue Stadtquartiere erhoben ſich über dem Schutte, der die alte Herrlichkeit bedeckte, und wo ſich hier und da etwas auf der Oberfläche erhalten hatte, waren die Augen der Menſchen gehalten; man ſah nichts, man wußte nichts zu erkennen und zu würdigen.
Es ſollte aber durch jene Schuttdecke nicht für immer die alte Welt von der Gegenwart getrennt bleiben. Nachdem ſchon mehrfach eine Ahnung von der verſunkenen Wunder¬ welt und eine Sehnſucht nach ihren Schätzen ſich angemeldet hatte, kam endlich ein Trieb von unwiderſtehlicher Kraft zum Durchbruch, welcher den Menſchen keine Ruhe ließ, bis die auseinander geriſſenen Hälften der Menſchheit wieder zuſam¬ men kamen. An Stelle gleichgültiger Beſchränktheit trat ein Wiſſensdurſt, dem kein Genüge zu ſchaffen war; die Augen öffneten ſich für das, an dem man ſtumpfſinnig vorbeigegangen war. Auch das Ferne ſuchte man auf, und als Cyriacus, der erſte aller wiſſenſchaftlichen Reiſenden jener Zeit (um 1430), gefragt wurde, weshalb er ſich doch mit Inſchriften und Denk¬ mälern abquäle, antwortete er: »um die Todten aufzuwecken.« Nicht das äſthetiſche Intereſſe war maßgebend, ſondern das hiſtoriſche; darum war auch der kleinſte Ueberreſt von Be¬ deutung und je weniger erhalten war, je mehr Alles hervor¬ geſucht und zuſammengebracht werden mußte, um ſo lebhafter ſteigerte ſich der Sammeleifer.
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Kunſtſammlungen, ihre Geſchichte und ihre Beſtimmung.
Theil ſeiner Schätze wieder abgeben; Athen, Rhodus, Klein¬
aſien wurden gebrandſchatzt. In langen Reihen ſtanden die
Götter der alten Welt vor den Palaſtfronten und in den
Hallen; die öffentlichen Bäder waren Muſeen, in der Sophien¬
kirche kamen über 420 Statuen zuſammen, Herkunft und Be¬
deutung der geſchichtlichen Denkmäler wurde durch Inſchriften
angegeben und ein eigenes Hofamt ſorgte für die Sammlungen,
welche das Herrſchaftsgeſchmeide der neuen Weltſtadt waren.
Indeſſen ſchien es, als ob die Kunſtwerke des Alterthums
nur deshalb in Rom und Byzanz angehäuft worden wären,
um bei den Feuersbrünſten und andern Kataſtrophen, denen
die Großſtädte vorzugsweiſe ausgeſetzt waren, maſſenweiſe
unterzugehen. Neue Stadtquartiere erhoben ſich über dem
Schutte, der die alte Herrlichkeit bedeckte, und wo ſich hier
und da etwas auf der Oberfläche erhalten hatte, waren die
Augen der Menſchen gehalten; man ſah nichts, man wußte
nichts zu erkennen und zu würdigen.
Es ſollte aber durch jene Schuttdecke nicht für immer die
alte Welt von der Gegenwart getrennt bleiben. Nachdem
ſchon mehrfach eine Ahnung von der verſunkenen Wunder¬
welt und eine Sehnſucht nach ihren Schätzen ſich angemeldet
hatte, kam endlich ein Trieb von unwiderſtehlicher Kraft zum
Durchbruch, welcher den Menſchen keine Ruhe ließ, bis die
auseinander geriſſenen Hälften der Menſchheit wieder zuſam¬
men kamen. An Stelle gleichgültiger Beſchränktheit trat ein
Wiſſensdurſt, dem kein Genüge zu ſchaffen war; die Augen
öffneten ſich für das, an dem man ſtumpfſinnig vorbeigegangen
war. Auch das Ferne ſuchte man auf, und als Cyriacus,
der erſte aller wiſſenſchaftlichen Reiſenden jener Zeit (um 1430),
gefragt wurde, weshalb er ſich doch mit Inſchriften und Denk¬
mälern abquäle, antwortete er: »um die Todten aufzuwecken.«
Nicht das äſthetiſche Intereſſe war maßgebend, ſondern das
hiſtoriſche; darum war auch der kleinſte Ueberreſt von Be¬
deutung und je weniger erhalten war, je mehr Alles hervor¬
geſucht und zuſammengebracht werden mußte, um ſo lebhafter
ſteigerte ſich der Sammeleifer.
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Curtius, Ernst: Alterthum und Gegenwart. Gesammelte Reden und Vorträge. Bd. 1. Berlin, 1875, S. 105. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/curtius_alterthum01_1875/121>, abgerufen am 03.07.2024.
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