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Curtius, Ernst: Alterthum und Gegenwart. Gesammelte Reden und Vorträge. Bd. 1. Berlin, 1875.

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Kunstsammlungen, ihre Geschichte und ihre Bestimmung.
"Monumenten des Marius," von dem "sosischen Apollon." Es
war die höchste Befriedigung des römischen Großen, wenn er
ein neu gebautes Heiligthum dem Volke öffnen konnte, und
Lucullus bat sich vom Mummius korinthische Statuen aus,
um seinen Fortunatempel zu decoriren: nach der Eröffnung
wollte er sie zurückgeben; er that es aber nicht und der gro߬
gesinnte Mummius fragte nicht weiter darnach.

So behandelte man die Bildwerke als ein Spielzeug der
Eitelkeit, aber bald knüpfte sich daran eine ernstere Bedeutung
als man beabsichtigt hatte. Im Tempelhofe des Apollo So¬
sianus standen Niobe und ihre Kinder, in des Domitius Nep¬
tunustempel der Zug der Seegötter von Skopas. Solche
Werke ließen sich nicht gleichgültig ansehen; die spielend be¬
gonnene Beschäftigung mit der alten Kunst offenbarte eine
allmählich umbildende Kraft. Der spröde Römersinn schlug
in eine leidenschaftliche Kunstliebhaberei um, welche epidemisch
um sich griff. Damit gingen auch die Traditionen der Re¬
publik allmählich unter. Rom wurde selbst eine hellenistische
Stadt und bedurfte nun ebenso wie einst Antiochien und Alex¬
andrien und Pergamos hellenischer Denkmäler, um seine Ge¬
schichte zu ergänzen und den Hintergrund, welcher der Gegen¬
wart fehlte, künstlich zu ersetzen. Nun mußte man, um die
neue Zeit zu charakterisiren, die griechische Kunstwelt in viel
ausgedehnterem Maße ausbeuten; es war jetzt ein Staats¬
interesse, und da man doch nicht mit roher Gewalt die Griechen¬
städte plündern wollte, so war es für Octavian ein großer
Gewinn, daß Kleopatra ihm vorgearbeitet hatte. Denn was
mit Gewalt nach Alexandrien entführt worden war, trug man
kein Bedenken nach Rom zu bringen.

Nun begann eine neue und mannigfaltige Reihe kunst¬
sinniger Stiftungen, eins der wichtigsten Kennzeichen der Cä¬
sarenzeit, die Vorbereitung einer neuen Ordnung der Staats¬
gesellschaft und doch an alte Sitte sich anschließend. Denn
wie die Feldherren der Republik, so gelobte Julius Cäsar am
Tage von Pharsalos der Stammmutter Venus, so Octavian
bei Philippi einen Tempel dem "Rächer Mars." Diese Stif¬

Kunſtſammlungen, ihre Geſchichte und ihre Beſtimmung.
»Monumenten des Marius,« von dem »ſoſiſchen Apollon.« Es
war die höchſte Befriedigung des römiſchen Großen, wenn er
ein neu gebautes Heiligthum dem Volke öffnen konnte, und
Lucullus bat ſich vom Mummius korinthiſche Statuen aus,
um ſeinen Fortunatempel zu decoriren: nach der Eröffnung
wollte er ſie zurückgeben; er that es aber nicht und der gro߬
geſinnte Mummius fragte nicht weiter darnach.

So behandelte man die Bildwerke als ein Spielzeug der
Eitelkeit, aber bald knüpfte ſich daran eine ernſtere Bedeutung
als man beabſichtigt hatte. Im Tempelhofe des Apollo So¬
ſianus ſtanden Niobe und ihre Kinder, in des Domitius Nep¬
tunustempel der Zug der Seegötter von Skopas. Solche
Werke ließen ſich nicht gleichgültig anſehen; die ſpielend be¬
gonnene Beſchäftigung mit der alten Kunſt offenbarte eine
allmählich umbildende Kraft. Der ſpröde Römerſinn ſchlug
in eine leidenſchaftliche Kunſtliebhaberei um, welche epidemiſch
um ſich griff. Damit gingen auch die Traditionen der Re¬
publik allmählich unter. Rom wurde ſelbſt eine helleniſtiſche
Stadt und bedurfte nun ebenſo wie einſt Antiochien und Alex¬
andrien und Pergamos helleniſcher Denkmäler, um ſeine Ge¬
ſchichte zu ergänzen und den Hintergrund, welcher der Gegen¬
wart fehlte, künſtlich zu erſetzen. Nun mußte man, um die
neue Zeit zu charakteriſiren, die griechiſche Kunſtwelt in viel
ausgedehnterem Maße ausbeuten; es war jetzt ein Staats¬
intereſſe, und da man doch nicht mit roher Gewalt die Griechen¬
ſtädte plündern wollte, ſo war es für Octavian ein großer
Gewinn, daß Kleopatra ihm vorgearbeitet hatte. Denn was
mit Gewalt nach Alexandrien entführt worden war, trug man
kein Bedenken nach Rom zu bringen.

Nun begann eine neue und mannigfaltige Reihe kunſt¬
ſinniger Stiftungen, eins der wichtigſten Kennzeichen der Cä¬
ſarenzeit, die Vorbereitung einer neuen Ordnung der Staats¬
geſellſchaft und doch an alte Sitte ſich anſchließend. Denn
wie die Feldherren der Republik, ſo gelobte Julius Cäſar am
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[102/0118] Kunſtſammlungen, ihre Geſchichte und ihre Beſtimmung. »Monumenten des Marius,« von dem »ſoſiſchen Apollon.« Es war die höchſte Befriedigung des römiſchen Großen, wenn er ein neu gebautes Heiligthum dem Volke öffnen konnte, und Lucullus bat ſich vom Mummius korinthiſche Statuen aus, um ſeinen Fortunatempel zu decoriren: nach der Eröffnung wollte er ſie zurückgeben; er that es aber nicht und der gro߬ geſinnte Mummius fragte nicht weiter darnach. So behandelte man die Bildwerke als ein Spielzeug der Eitelkeit, aber bald knüpfte ſich daran eine ernſtere Bedeutung als man beabſichtigt hatte. Im Tempelhofe des Apollo So¬ ſianus ſtanden Niobe und ihre Kinder, in des Domitius Nep¬ tunustempel der Zug der Seegötter von Skopas. Solche Werke ließen ſich nicht gleichgültig anſehen; die ſpielend be¬ gonnene Beſchäftigung mit der alten Kunſt offenbarte eine allmählich umbildende Kraft. Der ſpröde Römerſinn ſchlug in eine leidenſchaftliche Kunſtliebhaberei um, welche epidemiſch um ſich griff. Damit gingen auch die Traditionen der Re¬ publik allmählich unter. Rom wurde ſelbſt eine helleniſtiſche Stadt und bedurfte nun ebenſo wie einſt Antiochien und Alex¬ andrien und Pergamos helleniſcher Denkmäler, um ſeine Ge¬ ſchichte zu ergänzen und den Hintergrund, welcher der Gegen¬ wart fehlte, künſtlich zu erſetzen. Nun mußte man, um die neue Zeit zu charakteriſiren, die griechiſche Kunſtwelt in viel ausgedehnterem Maße ausbeuten; es war jetzt ein Staats¬ intereſſe, und da man doch nicht mit roher Gewalt die Griechen¬ ſtädte plündern wollte, ſo war es für Octavian ein großer Gewinn, daß Kleopatra ihm vorgearbeitet hatte. Denn was mit Gewalt nach Alexandrien entführt worden war, trug man kein Bedenken nach Rom zu bringen. Nun begann eine neue und mannigfaltige Reihe kunſt¬ ſinniger Stiftungen, eins der wichtigſten Kennzeichen der Cä¬ ſarenzeit, die Vorbereitung einer neuen Ordnung der Staats¬ geſellſchaft und doch an alte Sitte ſich anſchließend. Denn wie die Feldherren der Republik, ſo gelobte Julius Cäſar am Tage von Pharſalos der Stammmutter Venus, ſo Octavian bei Philippi einen Tempel dem »Rächer Mars.« Dieſe Stif¬

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Zitationshilfe: Curtius, Ernst: Alterthum und Gegenwart. Gesammelte Reden und Vorträge. Bd. 1. Berlin, 1875, S. 102. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/curtius_alterthum01_1875/118>, abgerufen am 29.11.2024.