Achte Betrachtung. Jesu erhabene Frömmigkeit überhaupt.
Luc. 23, 47.
Fürwahr, dieser ist ein frommer Mensch und Gottes Sohn gewesen.
Der ganze Lebenslauf Jesu, so weit er uns be- kannt ist, war ein Muster der erhabensten Frömmigkeit, deren die menschliche Natur nur fähig ist. Viele von seinen Zeitgenossen rühmten sich zwar auch der Frömmigkeit, aber leider war es nur eine eingebildete Frömmigkeit, und eine übelverstan- dene Andacht, die er oft in ihrer ganzen Blöße und Unzulänglichkeit darstellte. Er lehrte nicht nur, son- dern zeigte auch an seinem Muster, daß wahre Fröm- migkeit nichts anders, als die willige und standhafte Vollbringung des göttlichen Willens, nichts anders, als gemeinnützige Gottes- und Menschenliebe sey, und seine Tugend wurde eben dadurch so nachah- mungswürdig, weil er den Willen Gottes durchaus für sein erstes Gesetz hielt, wornach er sich beständig richtete. Jhm war es nicht genug, einzelne gute Handlungen zu verrichten, und nur bisweilen schöne Gesinnungen zu äußern; nein, bey ihm glänzte kei- ne Tugend schöner als die andere. Jhm war jede
Fürwahr, dieſer iſt ein frommer Menſch und Gottes Sohn geweſen.
Der ganze Lebenslauf Jeſu, ſo weit er uns be- kannt iſt, war ein Muſter der erhabenſten Frömmigkeit, deren die menſchliche Natur nur fähig iſt. Viele von ſeinen Zeitgenoſſen rühmten ſich zwar auch der Frömmigkeit, aber leider war es nur eine eingebildete Frömmigkeit, und eine übelverſtan- dene Andacht, die er oft in ihrer ganzen Blöße und Unzulänglichkeit darſtellte. Er lehrte nicht nur, ſon- dern zeigte auch an ſeinem Muſter, daß wahre Fröm- migkeit nichts anders, als die willige und ſtandhafte Vollbringung des göttlichen Willens, nichts anders, als gemeinnützige Gottes- und Menſchenliebe ſey, und ſeine Tugend wurde eben dadurch ſo nachah- mungswürdig, weil er den Willen Gottes durchaus für ſein erſtes Geſetz hielt, wornach er ſich beſtändig richtete. Jhm war es nicht genug, einzelne gute Handlungen zu verrichten, und nur bisweilen ſchöne Geſinnungen zu äußern; nein, bey ihm glänzte kei- ne Tugend ſchöner als die andere. Jhm war jede
Pflicht
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Achte Betrachtung.
Jeſu erhabene Frömmigkeit überhaupt.
Luc. 23, 47.
Fürwahr, dieſer iſt ein frommer Menſch und Gottes
Sohn geweſen.
Der ganze Lebenslauf Jeſu, ſo weit er uns be-
kannt iſt, war ein Muſter der erhabenſten
Frömmigkeit, deren die menſchliche Natur nur fähig
iſt. Viele von ſeinen Zeitgenoſſen rühmten ſich
zwar auch der Frömmigkeit, aber leider war es nur
eine eingebildete Frömmigkeit, und eine übelverſtan-
dene Andacht, die er oft in ihrer ganzen Blöße und
Unzulänglichkeit darſtellte. Er lehrte nicht nur, ſon-
dern zeigte auch an ſeinem Muſter, daß wahre Fröm-
migkeit nichts anders, als die willige und ſtandhafte
Vollbringung des göttlichen Willens, nichts anders,
als gemeinnützige Gottes- und Menſchenliebe ſey,
und ſeine Tugend wurde eben dadurch ſo nachah-
mungswürdig, weil er den Willen Gottes durchaus
für ſein erſtes Geſetz hielt, wornach er ſich beſtändig
richtete. Jhm war es nicht genug, einzelne gute
Handlungen zu verrichten, und nur bisweilen ſchöne
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ne Tugend ſchöner als die andere. Jhm war jede
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Cramer, Johann Friedrich Heinrich: Ueber die Nachahmung Jesu. Ein Erbauungsbuch für Christen. Dresden, 1792, S. 43. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/cramer_nachahmung_1792/69>, abgerufen am 23.11.2024.
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