Cramer, Johann Friedrich Heinrich: Ueber die Nachahmung Jesu. Ein Erbauungsbuch für Christen. Dresden, 1792.
LXIX. Betrachtung. zuvor, bleiben? Was hilft es uns, daß wir bey sei-nem Tische zur Gottes-und Bruderliebe ermahnet werden, wenn wir in der Folge die Sünde mehr lie- ben, als Gott, wenn wir immer, wie zuvor, fort- fahren, unsere Mitmenschen zu hassen, zu beneiden und sie anzufeinden? Was hilft es uns, daß das Abendmahl viel gute Eindrücke auf uns macht, wenn sie bald nach der Feyer dieser Handlung wieder ver- schwinden, ohne daß eine Spur davon übrig bleibt? Nein, der jedesmalige Genuß des Abendmahls ver- pflichtet uns zu größerer Treue in der Nachah- mung Jesu, und nur dann, wenn wir dieser Ver- pflichtung mit anhaltendem Eifer nachkommen, nur dann können wir erst gewiß wissen, daß wirs würdig genossen haben. Entsagen wir beym Genuß des Abendmahls von neuem der Sünde, die uns noch im- mer anklebt, so müssen wir auch anhaltend wider die- selbe kämpfen, und besonders den Fehlern entgegen arbeiten, die wir bisher am häufigsten begangen, die die meiste Gewalt über uns erlangt hatten, und die uns durch die tägliche Gewohnheit so natürlich geworden waren. Stets müssen wir an jenen Aus- spruch gedenken: es trete ab von der Ungerechtig- keit, wer den Namen Christi nennet.*) Denn sich für einen Schüler Jesu ausgeben, und doch dabey der Sünde und dem Laster dienen, das ist ein Widerspruch, das läßt sich beysammen durchaus nicht *) 2 Timoth. 2, 19.
LXIX. Betrachtung. zuvor, bleiben? Was hilft es uns, daß wir bey ſei-nem Tiſche zur Gottes-und Bruderliebe ermahnet werden, wenn wir in der Folge die Sünde mehr lie- ben, als Gott, wenn wir immer, wie zuvor, fort- fahren, unſere Mitmenſchen zu haſſen, zu beneiden und ſie anzufeinden? Was hilft es uns, daß das Abendmahl viel gute Eindrücke auf uns macht, wenn ſie bald nach der Feyer dieſer Handlung wieder ver- ſchwinden, ohne daß eine Spur davon übrig bleibt? Nein, der jedesmalige Genuß des Abendmahls ver- pflichtet uns zu größerer Treue in der Nachah- mung Jeſu, und nur dann, wenn wir dieſer Ver- pflichtung mit anhaltendem Eifer nachkommen, nur dann können wir erſt gewiß wiſſen, daß wirs würdig genoſſen haben. Entſagen wir beym Genuß des Abendmahls von neuem der Sünde, die uns noch im- mer anklebt, ſo müſſen wir auch anhaltend wider die- ſelbe kämpfen, und beſonders den Fehlern entgegen arbeiten, die wir bisher am häufigſten begangen, die die meiſte Gewalt über uns erlangt hatten, und die uns durch die tägliche Gewohnheit ſo natürlich geworden waren. Stets müſſen wir an jenen Aus- ſpruch gedenken: es trete ab von der Ungerechtig- keit, wer den Namen Chriſti nennet.*) Denn ſich für einen Schüler Jeſu ausgeben, und doch dabey der Sünde und dem Laſter dienen, das iſt ein Widerſpruch, das läßt ſich beyſammen durchaus nicht *) 2 Timoth. 2, 19.
<TEI> <text> <back> <div type="appendix" n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0476" n="450"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq">LXIX.</hi> Betrachtung.</fw><lb/> zuvor, bleiben? Was hilft es uns, daß wir bey ſei-<lb/> nem Tiſche zur Gottes-und Bruderliebe ermahnet<lb/> werden, wenn wir in der Folge die Sünde mehr lie-<lb/> ben, als Gott, wenn wir immer, wie zuvor, fort-<lb/> fahren, unſere Mitmenſchen zu haſſen, zu beneiden<lb/> und ſie anzufeinden? Was hilft es uns, daß das<lb/> Abendmahl viel gute Eindrücke auf uns macht, wenn<lb/> ſie bald nach der Feyer dieſer Handlung wieder ver-<lb/> ſchwinden, ohne daß eine Spur davon übrig bleibt?<lb/> Nein, der jedesmalige Genuß des Abendmahls <hi rendition="#fr">ver-<lb/> pflichtet uns zu größerer Treue in der Nachah-<lb/> mung Jeſu,</hi> und nur dann, wenn wir dieſer Ver-<lb/> pflichtung mit anhaltendem Eifer nachkommen, nur<lb/> dann können wir erſt gewiß wiſſen, daß wirs würdig<lb/> genoſſen haben. Entſagen wir beym Genuß des<lb/> Abendmahls von neuem der Sünde, die uns noch im-<lb/> mer anklebt, ſo müſſen wir auch anhaltend wider die-<lb/> ſelbe kämpfen, und beſonders den Fehlern entgegen<lb/> arbeiten, die wir bisher am häufigſten begangen,<lb/> die die meiſte Gewalt über uns erlangt hatten, und<lb/> die uns durch die tägliche Gewohnheit ſo natürlich<lb/> geworden waren. Stets müſſen wir an jenen Aus-<lb/> ſpruch gedenken: <hi rendition="#fr">es trete ab von der Ungerechtig-<lb/> keit, wer den Namen Chriſti nennet.</hi><note place="foot" n="*)">2 Timoth. 2, 19.</note> Denn<lb/> ſich für einen Schüler Jeſu ausgeben, und doch<lb/> dabey der Sünde und dem Laſter dienen, das iſt ein<lb/> Widerſpruch, das läßt ſich beyſammen durchaus<lb/> <fw place="bottom" type="catch">nicht</fw><lb/></p> </div> </div> </back> </text> </TEI> [450/0476]
LXIX. Betrachtung.
zuvor, bleiben? Was hilft es uns, daß wir bey ſei-
nem Tiſche zur Gottes-und Bruderliebe ermahnet
werden, wenn wir in der Folge die Sünde mehr lie-
ben, als Gott, wenn wir immer, wie zuvor, fort-
fahren, unſere Mitmenſchen zu haſſen, zu beneiden
und ſie anzufeinden? Was hilft es uns, daß das
Abendmahl viel gute Eindrücke auf uns macht, wenn
ſie bald nach der Feyer dieſer Handlung wieder ver-
ſchwinden, ohne daß eine Spur davon übrig bleibt?
Nein, der jedesmalige Genuß des Abendmahls ver-
pflichtet uns zu größerer Treue in der Nachah-
mung Jeſu, und nur dann, wenn wir dieſer Ver-
pflichtung mit anhaltendem Eifer nachkommen, nur
dann können wir erſt gewiß wiſſen, daß wirs würdig
genoſſen haben. Entſagen wir beym Genuß des
Abendmahls von neuem der Sünde, die uns noch im-
mer anklebt, ſo müſſen wir auch anhaltend wider die-
ſelbe kämpfen, und beſonders den Fehlern entgegen
arbeiten, die wir bisher am häufigſten begangen,
die die meiſte Gewalt über uns erlangt hatten, und
die uns durch die tägliche Gewohnheit ſo natürlich
geworden waren. Stets müſſen wir an jenen Aus-
ſpruch gedenken: es trete ab von der Ungerechtig-
keit, wer den Namen Chriſti nennet. *) Denn
ſich für einen Schüler Jeſu ausgeben, und doch
dabey der Sünde und dem Laſter dienen, das iſt ein
Widerſpruch, das läßt ſich beyſammen durchaus
nicht
*) 2 Timoth. 2, 19.
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools
|
| URL zu diesem Werk: | https://www.deutschestextarchiv.de/cramer_nachahmung_1792 |
| URL zu dieser Seite: | https://www.deutschestextarchiv.de/cramer_nachahmung_1792/476 |
| Zitationshilfe: | Cramer, Johann Friedrich Heinrich: Ueber die Nachahmung Jesu. Ein Erbauungsbuch für Christen. Dresden, 1792, S. 450. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/cramer_nachahmung_1792/476>, abgerufen am 22.11.2024. |
