Cramer, Johann Friedrich Heinrich: Ueber die Nachahmung Jesu. Ein Erbauungsbuch für Christen. Dresden, 1792.LXII. Betrachtung. schickte sich in Zeiten zu demselben an, lernte es vonder rechten Seite beurtheilen, und sammelte Muth und Stärke zur Ertragung desselben. Auf diese Art benahm er ihm viel von dem Befremdenden und Erschreckenden, das ein ganz unerwarteter Ueberfall für ihn gehabt hätte; denn er betrachtete seine Leiden als Veranstaltungen seines himmlischen Vaters, und als ein Mittel, die großen Absichten bey seiner Sen- dung auszuführen, als Leiden, die er selbst freywil- lig übernahm. Rührend ist es, wenn ich mir Je- sum so denke, wie er sich dazu recht feyerlich anschick- te, wie er von seinen Lieben den zärtlichsten Abschied nahm, wie er durch die Stiftung des Abendmahls sein Andenken überhaupt, und das Andenken seines blutigen Versöhnungstodes insbesondre verewigte. Sein Leiden überfiel ihn also nicht unvorbereitet, es befremdete und verwirrte ihn nicht; und wenn er auch gleich als Mensch die ganze Last desselben fühlte, so drückte es ihn doch nicht zu Boden, und machte ihn nicht muthlos. Wir finden auch nicht, daß die Vorstellung von seinem Leiden seine gewöhnliche Hei- terkeit und Gemüthsruhe gestört, oder ihn in der Ausführung des ihm aufgetragenen Werks verdros- sen gemacht habe. Wir hören ihn vielmehr von den ihm bevorstehenden widrigen Ereignissen mit Gelas- senheit und stillem Geiste reden, und sehen ihn so lan- ge zum Besten der Menschen arbeiten, besonders in den
LXII. Betrachtung. ſchickte ſich in Zeiten zu demſelben an, lernte es vonder rechten Seite beurtheilen, und ſammelte Muth und Stärke zur Ertragung deſſelben. Auf dieſe Art benahm er ihm viel von dem Befremdenden und Erſchreckenden, das ein ganz unerwarteter Ueberfall für ihn gehabt hätte; denn er betrachtete ſeine Leiden als Veranſtaltungen ſeines himmliſchen Vaters, und als ein Mittel, die großen Abſichten bey ſeiner Sen- dung auszuführen, als Leiden, die er ſelbſt freywil- lig übernahm. Rührend iſt es, wenn ich mir Je- ſum ſo denke, wie er ſich dazu recht feyerlich anſchick- te, wie er von ſeinen Lieben den zärtlichſten Abſchied nahm, wie er durch die Stiftung des Abendmahls ſein Andenken überhaupt, und das Andenken ſeines blutigen Verſöhnungstodes insbeſondre verewigte. Sein Leiden überfiel ihn alſo nicht unvorbereitet, es befremdete und verwirrte ihn nicht; und wenn er auch gleich als Menſch die ganze Laſt deſſelben fühlte, ſo drückte es ihn doch nicht zu Boden, und machte ihn nicht muthlos. Wir finden auch nicht, daß die Vorſtellung von ſeinem Leiden ſeine gewöhnliche Hei- terkeit und Gemüthsruhe geſtört, oder ihn in der Ausführung des ihm aufgetragenen Werks verdroſ- ſen gemacht habe. Wir hören ihn vielmehr von den ihm bevorſtehenden widrigen Ereigniſſen mit Gelaſ- ſenheit und ſtillem Geiſte reden, und ſehen ihn ſo lan- ge zum Beſten der Menſchen arbeiten, beſonders in den
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LXII. Betrachtung.
ſchickte ſich in Zeiten zu demſelben an, lernte es von
der rechten Seite beurtheilen, und ſammelte Muth
und Stärke zur Ertragung deſſelben. Auf dieſe
Art benahm er ihm viel von dem Befremdenden und
Erſchreckenden, das ein ganz unerwarteter Ueberfall
für ihn gehabt hätte; denn er betrachtete ſeine Leiden
als Veranſtaltungen ſeines himmliſchen Vaters, und
als ein Mittel, die großen Abſichten bey ſeiner Sen-
dung auszuführen, als Leiden, die er ſelbſt freywil-
lig übernahm. Rührend iſt es, wenn ich mir Je-
ſum ſo denke, wie er ſich dazu recht feyerlich anſchick-
te, wie er von ſeinen Lieben den zärtlichſten Abſchied
nahm, wie er durch die Stiftung des Abendmahls
ſein Andenken überhaupt, und das Andenken ſeines
blutigen Verſöhnungstodes insbeſondre verewigte.
Sein Leiden überfiel ihn alſo nicht unvorbereitet, es
befremdete und verwirrte ihn nicht; und wenn er
auch gleich als Menſch die ganze Laſt deſſelben fühlte,
ſo drückte es ihn doch nicht zu Boden, und machte
ihn nicht muthlos. Wir finden auch nicht, daß die
Vorſtellung von ſeinem Leiden ſeine gewöhnliche Hei-
terkeit und Gemüthsruhe geſtört, oder ihn in der
Ausführung des ihm aufgetragenen Werks verdroſ-
ſen gemacht habe. Wir hören ihn vielmehr von den
ihm bevorſtehenden widrigen Ereigniſſen mit Gelaſ-
ſenheit und ſtillem Geiſte reden, und ſehen ihn ſo lan-
ge zum Beſten der Menſchen arbeiten, beſonders in
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