Cramer, Johann Friedrich Heinrich: Ueber die Nachahmung Jesu. Ein Erbauungsbuch für Christen. Dresden, 1792.LIX. Betrachtung. kannst, und versage ihnen nie die Achtung und Liebe,die du ihnen schon als Menschen schuldig bist. Daß du oft in Fälle kommen kannst, wo du bey den Er- weisungen der Menschenliebe deine Glaubensgenos- sen vorziehen, und wo du die Ermahnung befolgen mußt: Laßt uns Gutes thun an jedermann, aller- meist aber an den Glaubensgenossen,*) das versteht sich von selbst; aber nie darfst du deswegen Jeman- den von den Erweisungen der Wohlthätigkeit und Dienstfertigkeit ausschliessen, weil er nicht dein Re- ligionsverwandter ist. Schätzen mußt du allemal die Wohlthat der wahren Religion; und du wür- dest dich sehr versündigen, wenn du dagegen gleich- gültig seyn, und sie aus irdischen Absichten verläug- nen wolltest. Aber nie bist du berechtiget, andre Religionsverwandte zu hassen und zu beleidigen; du mußt ihnen vielmehr Gerechtigkeit wiederfahren las- sen, ihnen helfen und beystehen, so bald sie deiner Hülfe bedürfen. Gott liebt alle Menschen, thut ih- nen allen Gutes; Jesus ist für alle gestorben, will ihnen allen helfen, also ist es auch Pflicht für dich, einem jeden deiner Mitmenschen zu dienen, er sey ein Heyde oder Muhamedaner, er sey Jude oder Christ, er sey ein Protestant oder ein Catholik. Kannst du die Jrrenden durch rechtmäßige Mittel und durch gründliche Belehrungen gewinnen, so ist es gut; aber nie mußt du sie wegen ihrer Religionsmeynungen ver- achten *) Gal. 6, 10.
LIX. Betrachtung. kannſt, und verſage ihnen nie die Achtung und Liebe,die du ihnen ſchon als Menſchen ſchuldig biſt. Daß du oft in Fälle kommen kannſt, wo du bey den Er- weiſungen der Menſchenliebe deine Glaubensgenoſ- ſen vorziehen, und wo du die Ermahnung befolgen mußt: Laßt uns Gutes thun an jedermann, aller- meiſt aber an den Glaubensgenoſſen,*) das verſteht ſich von ſelbſt; aber nie darfſt du deswegen Jeman- den von den Erweiſungen der Wohlthätigkeit und Dienſtfertigkeit ausſchlieſſen, weil er nicht dein Re- ligionsverwandter iſt. Schätzen mußt du allemal die Wohlthat der wahren Religion; und du wür- deſt dich ſehr verſündigen, wenn du dagegen gleich- gültig ſeyn, und ſie aus irdiſchen Abſichten verläug- nen wollteſt. Aber nie biſt du berechtiget, andre Religionsverwandte zu haſſen und zu beleidigen; du mußt ihnen vielmehr Gerechtigkeit wiederfahren laſ- ſen, ihnen helfen und beyſtehen, ſo bald ſie deiner Hülfe bedürfen. Gott liebt alle Menſchen, thut ih- nen allen Gutes; Jeſus iſt für alle geſtorben, will ihnen allen helfen, alſo iſt es auch Pflicht für dich, einem jeden deiner Mitmenſchen zu dienen, er ſey ein Heyde oder Muhamedaner, er ſey Jude oder Chriſt, er ſey ein Proteſtant oder ein Catholik. Kannſt du die Jrrenden durch rechtmäßige Mittel und durch gründliche Belehrungen gewinnen, ſo iſt es gut; aber nie mußt du ſie wegen ihrer Religionsmeynungen ver- achten *) Gal. 6, 10.
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LIX. Betrachtung.
kannſt, und verſage ihnen nie die Achtung und Liebe,
die du ihnen ſchon als Menſchen ſchuldig biſt. Daß
du oft in Fälle kommen kannſt, wo du bey den Er-
weiſungen der Menſchenliebe deine Glaubensgenoſ-
ſen vorziehen, und wo du die Ermahnung befolgen
mußt: Laßt uns Gutes thun an jedermann, aller-
meiſt aber an den Glaubensgenoſſen, *) das verſteht
ſich von ſelbſt; aber nie darfſt du deswegen Jeman-
den von den Erweiſungen der Wohlthätigkeit und
Dienſtfertigkeit ausſchlieſſen, weil er nicht dein Re-
ligionsverwandter iſt. Schätzen mußt du allemal
die Wohlthat der wahren Religion; und du wür-
deſt dich ſehr verſündigen, wenn du dagegen gleich-
gültig ſeyn, und ſie aus irdiſchen Abſichten verläug-
nen wollteſt. Aber nie biſt du berechtiget, andre
Religionsverwandte zu haſſen und zu beleidigen; du
mußt ihnen vielmehr Gerechtigkeit wiederfahren laſ-
ſen, ihnen helfen und beyſtehen, ſo bald ſie deiner
Hülfe bedürfen. Gott liebt alle Menſchen, thut ih-
nen allen Gutes; Jeſus iſt für alle geſtorben, will
ihnen allen helfen, alſo iſt es auch Pflicht für dich,
einem jeden deiner Mitmenſchen zu dienen, er ſey ein
Heyde oder Muhamedaner, er ſey Jude oder Chriſt,
er ſey ein Proteſtant oder ein Catholik. Kannſt du
die Jrrenden durch rechtmäßige Mittel und durch
gründliche Belehrungen gewinnen, ſo iſt es gut; aber
nie mußt du ſie wegen ihrer Religionsmeynungen ver-
achten
*) Gal. 6, 10.
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