Siebenundfunfzigste Betrachtung. Jesu Verhalten gegen Arme und Geringe.
Sirach 11, 2.
Du sollst Niemanden verachten um seines geringen An- sehns willen.
Unter den Großen und Reichen seines Zeitalters fand Jesus wenig Beyfall, und wenn sie ihm auch zum Theil nicht abgeneigt zu seyn schienen, so waren sie theils zu furchtsam, theils aus politischen Gründen zu bedenklich, sich öffentlich für ihn zu er- klären, wie man das an dem Beyspiel des Nikodemus sieht.*) Aber bey dem ärmern und geringern Thei- le der Nation war er desto beliebter; theils weil ihn diese Art Menschen wegen seines Beyfalls nicht be- neideten; theils weil er mit ihnen auf eine so liebrei- che und herablassende Art umgieng. Die Armen und Geringen waren es, denen er selbst das Evan- gelium predigte, und bey denen er auch mit seiner Leh- re mehr Eingang fand, als bey den Angesehenen und Gelehrten, und je mehr jene von ihren Lehrern und Vorstehern vernachläßiget wurden, desto mehr nahm er sich ihrer an, weil er sie als eine Heerde betrachte- te, die keinen Hirten und Anführer hatte. Von ihm kann man das sagen, was der Psalmist spricht: er
wird
*) Joh. 3, 1. 2.
Siebenundfunfzigſte Betrachtung. Jeſu Verhalten gegen Arme und Geringe.
Sirach 11, 2.
Du ſollſt Niemanden verachten um ſeines geringen An- ſehns willen.
Unter den Großen und Reichen ſeines Zeitalters fand Jeſus wenig Beyfall, und wenn ſie ihm auch zum Theil nicht abgeneigt zu ſeyn ſchienen, ſo waren ſie theils zu furchtſam, theils aus politiſchen Gründen zu bedenklich, ſich öffentlich für ihn zu er- klären, wie man das an dem Beyſpiel des Nikodemus ſieht.*) Aber bey dem ärmern und geringern Thei- le der Nation war er deſto beliebter; theils weil ihn dieſe Art Menſchen wegen ſeines Beyfalls nicht be- neideten; theils weil er mit ihnen auf eine ſo liebrei- che und herablaſſende Art umgieng. Die Armen und Geringen waren es, denen er ſelbſt das Evan- gelium predigte, und bey denen er auch mit ſeiner Leh- re mehr Eingang fand, als bey den Angeſehenen und Gelehrten, und je mehr jene von ihren Lehrern und Vorſtehern vernachläßiget wurden, deſto mehr nahm er ſich ihrer an, weil er ſie als eine Heerde betrachte- te, die keinen Hirten und Anführer hatte. Von ihm kann man das ſagen, was der Pſalmiſt ſpricht: er
wird
*) Joh. 3, 1. 2.
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Siebenundfunfzigſte Betrachtung.
Jeſu Verhalten gegen Arme und Geringe.
Sirach 11, 2.
Du ſollſt Niemanden verachten um ſeines geringen An-
ſehns willen.
Unter den Großen und Reichen ſeines Zeitalters
fand Jeſus wenig Beyfall, und wenn ſie ihm
auch zum Theil nicht abgeneigt zu ſeyn ſchienen, ſo
waren ſie theils zu furchtſam, theils aus politiſchen
Gründen zu bedenklich, ſich öffentlich für ihn zu er-
klären, wie man das an dem Beyſpiel des Nikodemus
ſieht. *) Aber bey dem ärmern und geringern Thei-
le der Nation war er deſto beliebter; theils weil ihn
dieſe Art Menſchen wegen ſeines Beyfalls nicht be-
neideten; theils weil er mit ihnen auf eine ſo liebrei-
che und herablaſſende Art umgieng. Die Armen
und Geringen waren es, denen er ſelbſt das Evan-
gelium predigte, und bey denen er auch mit ſeiner Leh-
re mehr Eingang fand, als bey den Angeſehenen und
Gelehrten, und je mehr jene von ihren Lehrern und
Vorſtehern vernachläßiget wurden, deſto mehr nahm
er ſich ihrer an, weil er ſie als eine Heerde betrachte-
te, die keinen Hirten und Anführer hatte. Von ihm
kann man das ſagen, was der Pſalmiſt ſpricht: er
wird
*) Joh. 3, 1. 2.
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Cramer, Johann Friedrich Heinrich: Ueber die Nachahmung Jesu. Ein Erbauungsbuch für Christen. Dresden, 1792, S. 376. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/cramer_nachahmung_1792/402>, abgerufen am 27.11.2024.
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