Cramer, Johann Friedrich Heinrich: Ueber die Nachahmung Jesu. Ein Erbauungsbuch für Christen. Dresden, 1792.LIII. Betrachtung. unserm verderbten Herzen zu fürchten, welches seineschwache Seite hat, in welchem die Sünde wohnt, und das uns so leichte verführt. Denn wo ist der Fromme, der nicht zu seiner eigenen Demüthigung sagen müßte: Jn meinem Fleische wohnet nichts Gu- tes. Wollen habe ich wohl, aber vollbringen das Gute, finde ich nicht. Denn das Gute, das ich will, das thue ich nicht, sondern das Böse, das ich nicht will, das thue ich.*) Entstehen daher in uns böse Gedanken, (und das kann Niemand hindern;) so müssen wir sie gleich anfangs unterdrücken, und in der Geburt ersticken, damit sie nicht in Worte und Thaten ausbrechen. Denn wer sich an bösen Ge- danken ergötzt, sie wissentlich in der Seele erhält und nährt, dem geht es wie Jacobus spricht: Wenn die Lust empfangen hat, gebiehret sie die Sünde; die Sünde aber, wenn sie vollendet ist, gebiehret sie den Tod.**) Stets will ich also auf mich selbst auf- merksam seyn, und über mein eigen Herz wachen, da- mit nicht böse Gedanken und strafbare Wünsche in mir entstehen, damit meine Neigungen nicht ausar- ten, und meine Leidenschaften nie zu heftig werden. Sehe ich, daß die bösen verführerischen Beyspiele an- derer einen schädlichen Eindruck auf mich machen; so will ich sie fliehen, und wenn ich das nicht ganz kann, so will ich wenigstens allen vertrauten Umgang mit solchen *) Röm. 7, 18. 19. **) Jacob. 1, 15.
LIII. Betrachtung. unſerm verderbten Herzen zu fürchten, welches ſeineſchwache Seite hat, in welchem die Sünde wohnt, und das uns ſo leichte verführt. Denn wo iſt der Fromme, der nicht zu ſeiner eigenen Demüthigung ſagen müßte: Jn meinem Fleiſche wohnet nichts Gu- tes. Wollen habe ich wohl, aber vollbringen das Gute, finde ich nicht. Denn das Gute, das ich will, das thue ich nicht, ſondern das Böſe, das ich nicht will, das thue ich.*) Entſtehen daher in uns böſe Gedanken, (und das kann Niemand hindern;) ſo müſſen wir ſie gleich anfangs unterdrücken, und in der Geburt erſticken, damit ſie nicht in Worte und Thaten ausbrechen. Denn wer ſich an böſen Ge- danken ergötzt, ſie wiſſentlich in der Seele erhält und nährt, dem geht es wie Jacobus ſpricht: Wenn die Luſt empfangen hat, gebiehret ſie die Sünde; die Sünde aber, wenn ſie vollendet iſt, gebiehret ſie den Tod.**) Stets will ich alſo auf mich ſelbſt auf- merkſam ſeyn, und über mein eigen Herz wachen, da- mit nicht böſe Gedanken und ſtrafbare Wünſche in mir entſtehen, damit meine Neigungen nicht ausar- ten, und meine Leidenſchaften nie zu heftig werden. Sehe ich, daß die böſen verführeriſchen Beyſpiele an- derer einen ſchädlichen Eindruck auf mich machen; ſo will ich ſie fliehen, und wenn ich das nicht ganz kann, ſo will ich wenigſtens allen vertrauten Umgang mit ſolchen *) Röm. 7, 18. 19. **) Jacob. 1, 15.
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LIII. Betrachtung.
unſerm verderbten Herzen zu fürchten, welches ſeine
ſchwache Seite hat, in welchem die Sünde wohnt,
und das uns ſo leichte verführt. Denn wo iſt der
Fromme, der nicht zu ſeiner eigenen Demüthigung
ſagen müßte: Jn meinem Fleiſche wohnet nichts Gu-
tes. Wollen habe ich wohl, aber vollbringen das
Gute, finde ich nicht. Denn das Gute, das ich will,
das thue ich nicht, ſondern das Böſe, das ich nicht
will, das thue ich. *) Entſtehen daher in uns böſe
Gedanken, (und das kann Niemand hindern;) ſo
müſſen wir ſie gleich anfangs unterdrücken, und in
der Geburt erſticken, damit ſie nicht in Worte und
Thaten ausbrechen. Denn wer ſich an böſen Ge-
danken ergötzt, ſie wiſſentlich in der Seele erhält und
nährt, dem geht es wie Jacobus ſpricht: Wenn die
Luſt empfangen hat, gebiehret ſie die Sünde; die
Sünde aber, wenn ſie vollendet iſt, gebiehret ſie den
Tod. **) Stets will ich alſo auf mich ſelbſt auf-
merkſam ſeyn, und über mein eigen Herz wachen, da-
mit nicht böſe Gedanken und ſtrafbare Wünſche in
mir entſtehen, damit meine Neigungen nicht ausar-
ten, und meine Leidenſchaften nie zu heftig werden.
Sehe ich, daß die böſen verführeriſchen Beyſpiele an-
derer einen ſchädlichen Eindruck auf mich machen; ſo
will ich ſie fliehen, und wenn ich das nicht ganz kann,
ſo will ich wenigſtens allen vertrauten Umgang mit
ſolchen
*) Röm. 7, 18. 19.
**) Jacob. 1, 15.
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