Cramer, Johann Friedrich Heinrich: Ueber die Nachahmung Jesu. Ein Erbauungsbuch für Christen. Dresden, 1792.XLIX. Betrachtung. Gegenwärtige wichtig, weil es mit dem Zukünftigenin Verbindung stand. Er that und litte alles, nicht um die Gunst und Bewunderung der Menschen auf Erden zu erlangen, sondern um den Beyfall seines Vaters im Himmel zu behaupten. Die Güter und Vorzüge dieses Lebens, die oft die besten Menschen blenden, konnten ihn nicht täuschen; er schätzte sie als Wohlthaten Gottes und genoß sie mit ruhigem dankbaren Herzen, aber einen höhern Werth legte er ihnen nicht bey, wollte auch nicht, daß seine Schü- ler sie auf eine übermäßige Art suchen und lieben soll- ten, daher er sie bey jeder Gelegenheit vor einer zu großen Anhänglichkeit an dieselben warnte. Wie- wohl es nicht zu leugnen ist, daß Jesus nur von seinen damaligen Jüngern eine gänzliche Verleugnung aller irdischen Güter forderte, die auch nach den damaligen Umständen sehr nöthig war, da jeder Christ stets in Gefahr schwebte, sein Vermögen zu verlieren.*) Wenigstens muß man diesen Umstand nicht überse- hen, wenn man die Aussprüche Jesu nicht mißdeuten und falsch verstehen will. Dahin gehört besonders der Fall, wo Jesus von einem reichen Jünglinge, der viel gute Anlage verrieth, und den auch der Er- löser wirklich liebte, verlangte, er sollte alle seine Güter verkaufen, das dafür gelöste Geld den Armen geben *) Matth. 10, 37-39.
XLIX. Betrachtung. Gegenwärtige wichtig, weil es mit dem Zukünftigenin Verbindung ſtand. Er that und litte alles, nicht um die Gunſt und Bewunderung der Menſchen auf Erden zu erlangen, ſondern um den Beyfall ſeines Vaters im Himmel zu behaupten. Die Güter und Vorzüge dieſes Lebens, die oft die beſten Menſchen blenden, konnten ihn nicht täuſchen; er ſchätzte ſie als Wohlthaten Gottes und genoß ſie mit ruhigem dankbaren Herzen, aber einen höhern Werth legte er ihnen nicht bey, wollte auch nicht, daß ſeine Schü- ler ſie auf eine übermäßige Art ſuchen und lieben ſoll- ten, daher er ſie bey jeder Gelegenheit vor einer zu großen Anhänglichkeit an dieſelben warnte. Wie- wohl es nicht zu leugnen iſt, daß Jeſus nur von ſeinen damaligen Jüngern eine gänzliche Verleugnung aller irdiſchen Güter forderte, die auch nach den damaligen Umſtänden ſehr nöthig war, da jeder Chriſt ſtets in Gefahr ſchwebte, ſein Vermögen zu verlieren.*) Wenigſtens muß man dieſen Umſtand nicht überſe- hen, wenn man die Ausſprüche Jeſu nicht mißdeuten und falſch verſtehen will. Dahin gehört beſonders der Fall, wo Jeſus von einem reichen Jünglinge, der viel gute Anlage verrieth, und den auch der Er- löſer wirklich liebte, verlangte, er ſollte alle ſeine Güter verkaufen, das dafür gelöſte Geld den Armen geben *) Matth. 10, 37-39.
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XLIX. Betrachtung.
Gegenwärtige wichtig, weil es mit dem Zukünftigen
in Verbindung ſtand. Er that und litte alles, nicht
um die Gunſt und Bewunderung der Menſchen auf
Erden zu erlangen, ſondern um den Beyfall ſeines
Vaters im Himmel zu behaupten. Die Güter und
Vorzüge dieſes Lebens, die oft die beſten Menſchen
blenden, konnten ihn nicht täuſchen; er ſchätzte ſie
als Wohlthaten Gottes und genoß ſie mit ruhigem
dankbaren Herzen, aber einen höhern Werth legte er
ihnen nicht bey, wollte auch nicht, daß ſeine Schü-
ler ſie auf eine übermäßige Art ſuchen und lieben ſoll-
ten, daher er ſie bey jeder Gelegenheit vor einer zu
großen Anhänglichkeit an dieſelben warnte. Wie-
wohl es nicht zu leugnen iſt, daß Jeſus nur von ſeinen
damaligen Jüngern eine gänzliche Verleugnung aller
irdiſchen Güter forderte, die auch nach den damaligen
Umſtänden ſehr nöthig war, da jeder Chriſt ſtets in
Gefahr ſchwebte, ſein Vermögen zu verlieren. *)
Wenigſtens muß man dieſen Umſtand nicht überſe-
hen, wenn man die Ausſprüche Jeſu nicht mißdeuten
und falſch verſtehen will. Dahin gehört beſonders
der Fall, wo Jeſus von einem reichen Jünglinge,
der viel gute Anlage verrieth, und den auch der Er-
löſer wirklich liebte, verlangte, er ſollte alle ſeine
Güter verkaufen, das dafür gelöſte Geld den Armen
geben
*) Matth. 10, 37-39.
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