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Cramer, Johann Friedrich Heinrich: Ueber die Nachahmung Jesu. Ein Erbauungsbuch für Christen. Dresden, 1792.

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I. Betrachtung.
ihrer übrigen Tugenden verehrungswürdig sind. So
oft wir also an sonst guten Menschen einige Fehler
finden, so wollen wir sie zwar mit christlicher Nach-
sicht entschuldigen, wir wollen sie zu rechter Zeit und
mit weiser Klugheit darauf aufmerksam machen, aber
sie sollen auch für uns eine Warnung seyn, und uns
zur beständigen Wachsamkeit über uns selbst ermun-
tern. Ueberhaupt aber müssen wir uns hüten, daß
wir nicht durch den leeren Schein der Frömmigkeit
hintergangen werden. Denn auch der Heuchler kann
sich oft eine Zeitlang sehr verstellen, so daß ihn nicht
selten der unerfahrne Christ, aus Mangel an Einsicht,
oder aus einer gewissen natürlichen Gutherzigkeit,
für ein Muster der Frömmigkeit hält. Wählt er
sich nun einen solchen Heuchler zum Führer, so ge-
räth er einem Treulosen in die Hände, der ihn entwe-
der auch verführt, und zum Heuchler bildet, oder ihn
so argwöhnisch macht, daß er von Stund an auch dem
besten Christen nicht mehr traut, sondern an der Recht-
schaffenheit eines jeden ängstlich zweifelt.

Prüfe also ja, mein Christ! mit großer Sorg-
falt einen jeden, der dein Freund und Führer werden
soll; laß dich nicht durch den äußern Schein bethö-
ren; lerne recht genau seine ganze Gesinnung, seine
Art zu denken und zu handeln, kennen, ehe du ihm dein
Vertrauen schenkest. Hast du ihn aber durchgängig
rechtschaffen erfunden, stimmen die Gesinnungen sei-

nes
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I. Betrachtung.
ihrer übrigen Tugenden verehrungswürdig ſind. So
oft wir alſo an ſonſt guten Menſchen einige Fehler
finden, ſo wollen wir ſie zwar mit chriſtlicher Nach-
ſicht entſchuldigen, wir wollen ſie zu rechter Zeit und
mit weiſer Klugheit darauf aufmerkſam machen, aber
ſie ſollen auch für uns eine Warnung ſeyn, und uns
zur beſtändigen Wachſamkeit über uns ſelbſt ermun-
tern. Ueberhaupt aber müſſen wir uns hüten, daß
wir nicht durch den leeren Schein der Frömmigkeit
hintergangen werden. Denn auch der Heuchler kann
ſich oft eine Zeitlang ſehr verſtellen, ſo daß ihn nicht
ſelten der unerfahrne Chriſt, aus Mangel an Einſicht,
oder aus einer gewiſſen natürlichen Gutherzigkeit,
für ein Muſter der Frömmigkeit hält. Wählt er
ſich nun einen ſolchen Heuchler zum Führer, ſo ge-
räth er einem Treuloſen in die Hände, der ihn entwe-
der auch verführt, und zum Heuchler bildet, oder ihn
ſo argwöhniſch macht, daß er von Stund an auch dem
beſten Chriſten nicht mehr traut, ſondern an der Recht-
ſchaffenheit eines jeden ängſtlich zweifelt.

Prüfe alſo ja, mein Chriſt! mit großer Sorg-
falt einen jeden, der dein Freund und Führer werden
ſoll; laß dich nicht durch den äußern Schein bethö-
ren; lerne recht genau ſeine ganze Geſinnung, ſeine
Art zu denken und zu handeln, kennen, ehe du ihm dein
Vertrauen ſchenkeſt. Haſt du ihn aber durchgängig
rechtſchaffen erfunden, ſtimmen die Geſinnungen ſei-

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[7/0033] I. Betrachtung. ihrer übrigen Tugenden verehrungswürdig ſind. So oft wir alſo an ſonſt guten Menſchen einige Fehler finden, ſo wollen wir ſie zwar mit chriſtlicher Nach- ſicht entſchuldigen, wir wollen ſie zu rechter Zeit und mit weiſer Klugheit darauf aufmerkſam machen, aber ſie ſollen auch für uns eine Warnung ſeyn, und uns zur beſtändigen Wachſamkeit über uns ſelbſt ermun- tern. Ueberhaupt aber müſſen wir uns hüten, daß wir nicht durch den leeren Schein der Frömmigkeit hintergangen werden. Denn auch der Heuchler kann ſich oft eine Zeitlang ſehr verſtellen, ſo daß ihn nicht ſelten der unerfahrne Chriſt, aus Mangel an Einſicht, oder aus einer gewiſſen natürlichen Gutherzigkeit, für ein Muſter der Frömmigkeit hält. Wählt er ſich nun einen ſolchen Heuchler zum Führer, ſo ge- räth er einem Treuloſen in die Hände, der ihn entwe- der auch verführt, und zum Heuchler bildet, oder ihn ſo argwöhniſch macht, daß er von Stund an auch dem beſten Chriſten nicht mehr traut, ſondern an der Recht- ſchaffenheit eines jeden ängſtlich zweifelt. Prüfe alſo ja, mein Chriſt! mit großer Sorg- falt einen jeden, der dein Freund und Führer werden ſoll; laß dich nicht durch den äußern Schein bethö- ren; lerne recht genau ſeine ganze Geſinnung, ſeine Art zu denken und zu handeln, kennen, ehe du ihm dein Vertrauen ſchenkeſt. Haſt du ihn aber durchgängig rechtſchaffen erfunden, ſtimmen die Geſinnungen ſei- nes A 4

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Zitationshilfe: Cramer, Johann Friedrich Heinrich: Ueber die Nachahmung Jesu. Ein Erbauungsbuch für Christen. Dresden, 1792, S. 7. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/cramer_nachahmung_1792/33>, abgerufen am 23.11.2024.