drungen.*) Alle fremden Gedanken mußten da flie- hen; er dachte an nichts, als an Gott, dem er sei- ne und aller Menschen Angelegenheiten so dringend zu empfehlen wußte. Er betete auf eine ganz unge- künstelte Art, aber auch mit kindlicher Freudigkeit und mit getrostem Vertrauen; ja man kann von ihm mit Wahrheit behaupten, er habe die Welt zuerst recht beten gelehrt.
War aber das Gebet selbst für unsern Erlöser Bedürfniß, so können wir es gewiß noch weit weni- ger entbehren. Oder gehören wir etwa zu den fre- chen Spöttern, die mit leichtsinnigem Stolze alles Ge- bet für überflüßig erklären, es als unnütze verwer- fen, und die sich desselben schämen? Oder wollen wir erst warten, bis uns die Noth zum Gebet antreibt, und bis die Trübsal uns Gott suchen lehrt, nachdem wir seiner in guten Tagen vergessen, und ihm wohl gar Hohn gesprochen hatten? Freylich gewinnt der große und erhabene Gott nichts durch unser Gebet, freylich dürfen wir ihn dadurch nicht erst mit unsern Bedürfnissen bekannt machen, denn er, unser himmli- scher Vater, weis alles, was wir bedürfen,**) ehe wir es ihm klagen; freylich bedarf er unsers Fle- hens nicht, um zum Mitleid gegen uns bewegt zu werden, denn er ist allen gütig und erbarmet sich al- ler seiner Werke.***) Aber für uns ist es Ehre
und
*) Joh. 17, 1.
**) Matth. 7, 32.
***) Ps. 145, 9.
XVI. Betrachtung.
drungen.*) Alle fremden Gedanken mußten da flie- hen; er dachte an nichts, als an Gott, dem er ſei- ne und aller Menſchen Angelegenheiten ſo dringend zu empfehlen wußte. Er betete auf eine ganz unge- künſtelte Art, aber auch mit kindlicher Freudigkeit und mit getroſtem Vertrauen; ja man kann von ihm mit Wahrheit behaupten, er habe die Welt zuerſt recht beten gelehrt.
War aber das Gebet ſelbſt für unſern Erlöſer Bedürfniß, ſo können wir es gewiß noch weit weni- ger entbehren. Oder gehören wir etwa zu den fre- chen Spöttern, die mit leichtſinnigem Stolze alles Ge- bet für überflüßig erklären, es als unnütze verwer- fen, und die ſich deſſelben ſchämen? Oder wollen wir erſt warten, bis uns die Noth zum Gebet antreibt, und bis die Trübſal uns Gott ſuchen lehrt, nachdem wir ſeiner in guten Tagen vergeſſen, und ihm wohl gar Hohn geſprochen hatten? Freylich gewinnt der große und erhabene Gott nichts durch unſer Gebet, freylich dürfen wir ihn dadurch nicht erſt mit unſern Bedürfniſſen bekannt machen, denn er, unſer himmli- ſcher Vater, weis alles, was wir bedürfen,**) ehe wir es ihm klagen; freylich bedarf er unſers Fle- hens nicht, um zum Mitleid gegen uns bewegt zu werden, denn er iſt allen gütig und erbarmet ſich al- ler ſeiner Werke.***) Aber für uns iſt es Ehre
und
*) Joh. 17, 1.
**) Matth. 7, 32.
***) Pſ. 145, 9.
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XVI. Betrachtung.
drungen. *) Alle fremden Gedanken mußten da flie-
hen; er dachte an nichts, als an Gott, dem er ſei-
ne und aller Menſchen Angelegenheiten ſo dringend
zu empfehlen wußte. Er betete auf eine ganz unge-
künſtelte Art, aber auch mit kindlicher Freudigkeit
und mit getroſtem Vertrauen; ja man kann von ihm
mit Wahrheit behaupten, er habe die Welt zuerſt
recht beten gelehrt.
War aber das Gebet ſelbſt für unſern Erlöſer
Bedürfniß, ſo können wir es gewiß noch weit weni-
ger entbehren. Oder gehören wir etwa zu den fre-
chen Spöttern, die mit leichtſinnigem Stolze alles Ge-
bet für überflüßig erklären, es als unnütze verwer-
fen, und die ſich deſſelben ſchämen? Oder wollen wir
erſt warten, bis uns die Noth zum Gebet antreibt,
und bis die Trübſal uns Gott ſuchen lehrt, nachdem
wir ſeiner in guten Tagen vergeſſen, und ihm wohl
gar Hohn geſprochen hatten? Freylich gewinnt der
große und erhabene Gott nichts durch unſer Gebet,
freylich dürfen wir ihn dadurch nicht erſt mit unſern
Bedürfniſſen bekannt machen, denn er, unſer himmli-
ſcher Vater, weis alles, was wir bedürfen, **)
ehe wir es ihm klagen; freylich bedarf er unſers Fle-
hens nicht, um zum Mitleid gegen uns bewegt zu
werden, denn er iſt allen gütig und erbarmet ſich al-
ler ſeiner Werke. ***) Aber für uns iſt es Ehre
und
*) Joh. 17, 1.
**) Matth. 7, 32.
***) Pſ. 145, 9.
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Cramer, Johann Friedrich Heinrich: Ueber die Nachahmung Jesu. Ein Erbauungsbuch für Christen. Dresden, 1792, S. 100. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/cramer_nachahmung_1792/126>, abgerufen am 16.02.2025.
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