Cramer, Johann Friedrich Heinrich: Ueber die Nachahmung Jesu. Ein Erbauungsbuch für Christen. Dresden, 1792.XVI. Betrachtung. durch die Pharisäer gewahr wurde; er betete für sei-ne Apostel, deren Angst und Liebe er voraus sahe,*) damit sie keiner Versuchung unterliegen möchten; er betete desto öfterer und desto inbrünstiger, je näher er seinem Leiden kam.**) Ja wir finden, daß er mit- ten im Unterrichte, während der Verrichtung seiner Wunderwerke einen Stillestand machte, seine Au- gen gen Himmel hob, und einen innbrünstigen Seuf- zer zu Gott abschickte, und war ihm oder den Sei- nigen irgend eine gute That gelungen, so lobte er Gott im Gebete dafür. Freylich wollte er durch sei- ne Gebete nicht den Lauf der Natur ändern; aber er erbat sich doch durch dieses Gespräch des Herzens mit Gott Unterwerfung und Gelassenheit, so wie kindliche Genehmigung aller Führungen Gottes; er erbat sich Segen und Fortgang bey allen seinen Un- ternehmungen, er bat, daß ihn Gott nicht ohne Trost, nicht ohne Beystand lassen möchte. Ob nun gleich Jesus Christus oft und viel betete, so versäum- te er doch deßwegen nicht seine Berufsgeschäfte; weil er wohl wußte, daß ein thätiges arbeitsames Leben einen größern Werth habe, als alle äußere Religi- onsübungen, und daß man beydes verbinden müsse, Beten und Arbeiten, ohne eins vom andern zu tren- nen. So oft er betete, war seine ganze Seele von den Empfindungen der Andacht und Ehrfurcht durch- drungen. *) Luc. 22, 32. **) Luc. 22, 44. G 2
XVI. Betrachtung. durch die Phariſäer gewahr wurde; er betete für ſei-ne Apoſtel, deren Angſt und Liebe er voraus ſahe,*) damit ſie keiner Verſuchung unterliegen möchten; er betete deſto öfterer und deſto inbrünſtiger, je näher er ſeinem Leiden kam.**) Ja wir finden, daß er mit- ten im Unterrichte, während der Verrichtung ſeiner Wunderwerke einen Stilleſtand machte, ſeine Au- gen gen Himmel hob, und einen innbrünſtigen Seuf- zer zu Gott abſchickte, und war ihm oder den Sei- nigen irgend eine gute That gelungen, ſo lobte er Gott im Gebete dafür. Freylich wollte er durch ſei- ne Gebete nicht den Lauf der Natur ändern; aber er erbat ſich doch durch dieſes Geſpräch des Herzens mit Gott Unterwerfung und Gelaſſenheit, ſo wie kindliche Genehmigung aller Führungen Gottes; er erbat ſich Segen und Fortgang bey allen ſeinen Un- ternehmungen, er bat, daß ihn Gott nicht ohne Troſt, nicht ohne Beyſtand laſſen möchte. Ob nun gleich Jeſus Chriſtus oft und viel betete, ſo verſäum- te er doch deßwegen nicht ſeine Berufsgeſchäfte; weil er wohl wußte, daß ein thätiges arbeitſames Leben einen größern Werth habe, als alle äußere Religi- onsübungen, und daß man beydes verbinden müſſe, Beten und Arbeiten, ohne eins vom andern zu tren- nen. So oft er betete, war ſeine ganze Seele von den Empfindungen der Andacht und Ehrfurcht durch- drungen. *) Luc. 22, 32. **) Luc. 22, 44. G 2
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XVI. Betrachtung.
durch die Phariſäer gewahr wurde; er betete für ſei-
ne Apoſtel, deren Angſt und Liebe er voraus ſahe, *)
damit ſie keiner Verſuchung unterliegen möchten; er
betete deſto öfterer und deſto inbrünſtiger, je näher
er ſeinem Leiden kam. **) Ja wir finden, daß er mit-
ten im Unterrichte, während der Verrichtung ſeiner
Wunderwerke einen Stilleſtand machte, ſeine Au-
gen gen Himmel hob, und einen innbrünſtigen Seuf-
zer zu Gott abſchickte, und war ihm oder den Sei-
nigen irgend eine gute That gelungen, ſo lobte er
Gott im Gebete dafür. Freylich wollte er durch ſei-
ne Gebete nicht den Lauf der Natur ändern; aber
er erbat ſich doch durch dieſes Geſpräch des Herzens
mit Gott Unterwerfung und Gelaſſenheit, ſo wie
kindliche Genehmigung aller Führungen Gottes; er
erbat ſich Segen und Fortgang bey allen ſeinen Un-
ternehmungen, er bat, daß ihn Gott nicht ohne
Troſt, nicht ohne Beyſtand laſſen möchte. Ob nun
gleich Jeſus Chriſtus oft und viel betete, ſo verſäum-
te er doch deßwegen nicht ſeine Berufsgeſchäfte; weil
er wohl wußte, daß ein thätiges arbeitſames Leben
einen größern Werth habe, als alle äußere Religi-
onsübungen, und daß man beydes verbinden müſſe,
Beten und Arbeiten, ohne eins vom andern zu tren-
nen. So oft er betete, war ſeine ganze Seele von
den Empfindungen der Andacht und Ehrfurcht durch-
drungen.
*) Luc. 22, 32.
**) Luc. 22, 44.
G 2
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