Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Cramer, Johann Friedrich Heinrich: Ueber die Nachahmung Jesu. Ein Erbauungsbuch für Christen. Dresden, 1792.

Bild:
<< vorherige Seite

XV. Betrachtung.
ren Leidenschaften verblenden lassen! sie erklären den
für einen Gotteslästerer, dessen vornehmstes Bestre-
ben dahin gieng, Gott seinen himmlischen Vater über-
all zu verherrlichen und dessen geschäftiger Eifer für
Gottes Ehre aus allen seinen Reden und Handlun-
gen hervor leuchtete. Er wußte, daß er an der Auf-
klärung und Besserung seiner Zeitgenossen arbeiten,
und die reine Erkenntniß und Verehrung Gottes un-
ter ihnen einführen sollte. Dies war das feste Ziel,
welches er nie aus den Augen verlohr. Die Phari-
säer rühmten sich auch des Eifers für Gottes Ehre
und für die Aufrechthaltung ihrer väterlichen Religi-
on; aber wenn wir die Sache genau beurtheilen, so
finden wir, daß sie nur für ihr eignes Ansehen foch-
ten, welches durch den täglich zunehmenden Beyfall
Jesu geschwächt wurde, und daß sie sich von einem
blinden Religionseifer überall leiten ließen. Von
diesem war der menschenfreundliche Erlöser ganz ent-
fernt. Denn als seine Schüler auf der Reise nach
Jerusalem in einem Samaritanischen Flecken die Her-
berge bestellen sollten, und als sich die Samaritaner
aus Judenhaß weigerten, ihn aufzunehmen, weil sie
allen Juden, die aufs Fest nach Jerusalem reisten,
den Durchgang durch ihr Land versagten; so spra-
chen seine beyden Schüler Jacobus und Johannes,
voller Unwillen über die unanständige Behandlung ih-
res Meisters: Herr! willt du, so wollen wir sagen,

daß

XV. Betrachtung.
ren Leidenſchaften verblenden laſſen! ſie erklären den
für einen Gottesläſterer, deſſen vornehmſtes Beſtre-
ben dahin gieng, Gott ſeinen himmliſchen Vater über-
all zu verherrlichen und deſſen geſchäftiger Eifer für
Gottes Ehre aus allen ſeinen Reden und Handlun-
gen hervor leuchtete. Er wußte, daß er an der Auf-
klärung und Beſſerung ſeiner Zeitgenoſſen arbeiten,
und die reine Erkenntniß und Verehrung Gottes un-
ter ihnen einführen ſollte. Dies war das feſte Ziel,
welches er nie aus den Augen verlohr. Die Phari-
ſäer rühmten ſich auch des Eifers für Gottes Ehre
und für die Aufrechthaltung ihrer väterlichen Religi-
on; aber wenn wir die Sache genau beurtheilen, ſo
finden wir, daß ſie nur für ihr eignes Anſehen foch-
ten, welches durch den täglich zunehmenden Beyfall
Jeſu geſchwächt wurde, und daß ſie ſich von einem
blinden Religionseifer überall leiten ließen. Von
dieſem war der menſchenfreundliche Erlöſer ganz ent-
fernt. Denn als ſeine Schüler auf der Reiſe nach
Jeruſalem in einem Samaritaniſchen Flecken die Her-
berge beſtellen ſollten, und als ſich die Samaritaner
aus Judenhaß weigerten, ihn aufzunehmen, weil ſie
allen Juden, die aufs Feſt nach Jeruſalem reiſten,
den Durchgang durch ihr Land verſagten; ſo ſpra-
chen ſeine beyden Schüler Jacobus und Johannes,
voller Unwillen über die unanſtändige Behandlung ih-
res Meiſters: Herr! willt du, ſo wollen wir ſagen,

daß
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0117" n="91"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq">XV.</hi> Betrachtung.</fw><lb/>
ren Leiden&#x017F;chaften verblenden la&#x017F;&#x017F;en! &#x017F;ie erklären den<lb/>
für einen Gotteslä&#x017F;terer, de&#x017F;&#x017F;en vornehm&#x017F;tes Be&#x017F;tre-<lb/>
ben dahin gieng, Gott &#x017F;einen himmli&#x017F;chen Vater über-<lb/>
all zu verherrlichen und de&#x017F;&#x017F;en ge&#x017F;chäftiger Eifer für<lb/>
Gottes Ehre aus allen &#x017F;einen Reden und Handlun-<lb/>
gen hervor leuchtete. Er wußte, daß er an der Auf-<lb/>
klärung und Be&#x017F;&#x017F;erung &#x017F;einer Zeitgeno&#x017F;&#x017F;en arbeiten,<lb/>
und die reine Erkenntniß und Verehrung Gottes un-<lb/>
ter ihnen einführen &#x017F;ollte. Dies war das fe&#x017F;te Ziel,<lb/>
welches er nie aus den Augen verlohr. Die Phari-<lb/>
&#x017F;äer rühmten &#x017F;ich auch des Eifers für Gottes Ehre<lb/>
und für die Aufrechthaltung ihrer väterlichen Religi-<lb/>
on; aber wenn wir die Sache genau beurtheilen, &#x017F;o<lb/>
finden wir, daß &#x017F;ie nur für ihr eignes An&#x017F;ehen foch-<lb/>
ten, welches durch den täglich zunehmenden Beyfall<lb/>
Je&#x017F;u ge&#x017F;chwächt wurde, und daß &#x017F;ie &#x017F;ich von einem<lb/>
blinden Religionseifer überall leiten ließen. Von<lb/>
die&#x017F;em war der men&#x017F;chenfreundliche Erlö&#x017F;er ganz ent-<lb/>
fernt. Denn als &#x017F;eine Schüler auf der Rei&#x017F;e nach<lb/>
Jeru&#x017F;alem in einem Samaritani&#x017F;chen Flecken die Her-<lb/>
berge be&#x017F;tellen &#x017F;ollten, und als &#x017F;ich die Samaritaner<lb/>
aus Judenhaß weigerten, ihn aufzunehmen, weil &#x017F;ie<lb/>
allen Juden, die aufs Fe&#x017F;t nach Jeru&#x017F;alem rei&#x017F;ten,<lb/>
den Durchgang durch ihr Land ver&#x017F;agten; &#x017F;o &#x017F;pra-<lb/>
chen &#x017F;eine beyden Schüler Jacobus und Johannes,<lb/>
voller Unwillen über die unan&#x017F;tändige Behandlung ih-<lb/>
res Mei&#x017F;ters: <hi rendition="#fr">Herr! willt du, &#x017F;o wollen wir &#x017F;agen,</hi><lb/>
<fw place="bottom" type="catch">daß</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[91/0117] XV. Betrachtung. ren Leidenſchaften verblenden laſſen! ſie erklären den für einen Gottesläſterer, deſſen vornehmſtes Beſtre- ben dahin gieng, Gott ſeinen himmliſchen Vater über- all zu verherrlichen und deſſen geſchäftiger Eifer für Gottes Ehre aus allen ſeinen Reden und Handlun- gen hervor leuchtete. Er wußte, daß er an der Auf- klärung und Beſſerung ſeiner Zeitgenoſſen arbeiten, und die reine Erkenntniß und Verehrung Gottes un- ter ihnen einführen ſollte. Dies war das feſte Ziel, welches er nie aus den Augen verlohr. Die Phari- ſäer rühmten ſich auch des Eifers für Gottes Ehre und für die Aufrechthaltung ihrer väterlichen Religi- on; aber wenn wir die Sache genau beurtheilen, ſo finden wir, daß ſie nur für ihr eignes Anſehen foch- ten, welches durch den täglich zunehmenden Beyfall Jeſu geſchwächt wurde, und daß ſie ſich von einem blinden Religionseifer überall leiten ließen. Von dieſem war der menſchenfreundliche Erlöſer ganz ent- fernt. Denn als ſeine Schüler auf der Reiſe nach Jeruſalem in einem Samaritaniſchen Flecken die Her- berge beſtellen ſollten, und als ſich die Samaritaner aus Judenhaß weigerten, ihn aufzunehmen, weil ſie allen Juden, die aufs Feſt nach Jeruſalem reiſten, den Durchgang durch ihr Land verſagten; ſo ſpra- chen ſeine beyden Schüler Jacobus und Johannes, voller Unwillen über die unanſtändige Behandlung ih- res Meiſters: Herr! willt du, ſo wollen wir ſagen, daß

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Matthias Boenig, Yannic Bracke, Benjamin Fiechter, Susanne Haaf, Linda Kirsten, Xi Zhang: Arbeitsschritte im Digitalisierungsworkflow: Vorbereitung der Bildvorlagen für die Textdigitalisierung; Bearbeitung, Konvertierung und ggf. Nachstrukturierung der durch die Grepect GmbH bereitgestellten Texttranskription
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Linda Kirsten, Frauke Thielert, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Erbauungsschriften zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/cramer_nachahmung_1792
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/cramer_nachahmung_1792/117
Zitationshilfe: Cramer, Johann Friedrich Heinrich: Ueber die Nachahmung Jesu. Ein Erbauungsbuch für Christen. Dresden, 1792, S. 91. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/cramer_nachahmung_1792/117>, abgerufen am 23.11.2024.