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Cramer, Wilhelm: Der christliche Vater wie er sein und was er thun soll. Nebst einem Anhange von Gebeten für denselben. Dülmen, 1874.

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ist ja der Herr auch bereit, größere Gnade zu ge-
ben, um siegreich in Sanftmuth und Geduld zu
bestehen. Also nur oft, immer von Neuem den
Vorsatz erneuert! Immer von Neuem um die Hülfe
der göttlichen Gnade geflehet!

Eine gute Mutter ist bei den Fehlern der Kin-
der, so sehr sie auch dieselben fortzuschaffen sucht,
doch auch duldsam und vorsichtig; sie vergißt nie,
daß es eben Kinder sind, die fehlen, und daß daher
ihre Schuld nicht so groß ist. Aber durch solche
Nachsicht läßt sie sich keineswegs bestimmen, von
einem ernsten Vorgehen gegen ihre Fehler abzu-
stehen. Nur geht sie wider dieselben mit Ruhe,
Besonnenheit und Ueberlegung vor, bald belehrend,
bald warnend, bald strafend, aber nie im Zorn.
Und je mehr sie ihre Kinder bei ihren Fehlern
mit solcher Ruhe zurechtweist oder züchtigt, desto
sicherer kommt sie zum Ziele. Die Kinder begrei-
fen es mehr und mehr, daß nur Abscheu gegen
ihre Fehler die Mutter leite; sie lernen selbst ihre
Fehler verabscheuen, so daß nicht allein die Furcht
vor Strafe, sondern auch dieser Abscheu sie vom
Bösen abhält und ihre Besserung dadurch desto ge-
sicherter ist, wie denn auf solche Art auch ihre Liebe
zur Mutter unverletzt bleibt*)

*) Es scheint uns heilsam, hier etliche Fehler besonders
hervorzuheben: An erster Stelle komme der Eigensinn, welcher bei
Kindern so gern sich geltend macht, gegen welchen eine
gute Mutter von frühester Kindheit an mit Ent-
schiedenheit auftritt. Sie gewöhnt ihr Kind an Ge-
horsam gegen ihren und des Vaters Willen. Was
einmal - freilich wohlüberlegt - gesagt und ge-
boten ist, daran wird festgehalten, das muß das Kind
thun, es gehe, wie es wolle, und müßte es auch durch
die nachdrücklichsten Strafen dazu vermocht werden.
Wehe, wenn ein Kind merkt, daß es ihm hilft, daß
es damit zum Ziele kommt, wenn es auf seinen Kopf
besteht! Der Eigensinn, dies große Uebel und Hinder-
niß alles Guten, wird in ihm groß wachsen, besonders,
wenn das Kind von Haus aus schon Neigung zu
solchem Eigensinn verräth. Leicht ist die Gefahr, sich
durch unzeitige Liebe zu schädlicher Nachgiebigkeit ver-
leiten zu lassen, bei der Mutter am größten. Daher,
christliche Mutter, sei auf der Huth! Es ist Pflicht,
da wo es sich um Brechung des Eigensinns handelt,
die natürlichen Gefühle zu überwinden. Sei versichert,
dein Kind wird's dir zur Zeit Dank wissen. Frühe
Gewöhnung an Gehorsam ist Bedingung und Bürg-
schaft für den Gehorsam gegen Gott, d. h. für ein
christliches und also auch glückliches Leben. Demnächst kommt die Eitelkeit und Putzsucht,
besonders bei Mädchen. Wie nachtheilig und verderb-
lich tritt dieser Fehler bei Erwachsenen auf. Abge-
sehen von dem Verluste an Zeit und Vermögen, welche
derselbe mit sich zu führen pflegt, wirkt er höchst ver-
derblich auf's Herz, macht, daß dasselbe in dem eiteln
Tande nichtigen Putzes aufgehe, den Sinn für Gott
und Höheres mehr und mehr einbüße, und ist leicht,
leider auch nur zu oft der Grund, daß man das
kostbare Gut der Unschuld verliere und den traurig-
sten sittlichen Verirrungen anheimfalle. Und wie oft
wird der Grund zu diesen Fehlern schon in den Jah-
ren der Kindheit - von der eigenen Mutter des
Kindes gelegt. Sie lässet das Kind mit seiner ihm
angebornen Eitelkeit hin, ja nährt und fördert dieselbe
gradezu. Oder ist es nicht reiche Nahrung für die-
selbe, wenn das Kind wahrnimmt, wie oft und mit
welcher Angelegentlichkeit die Mutter von Kleidung
und Putz spricht, wie viel Gewicht sie darauf legt,
wie viel Umstände sie dafür macht, wie sehr sie sich
darin gefällt? Oder, wenn die Mutter so viel We-
sens macht mit dem Anzuge des Kindes, so viel
Sorge und Kosten und Zeit darauf verwendet und
zwar mit einer Wichtigkeit, als sei das bei Weitem
die Hauptsache. Kein vernünftiger Mensch zweifelt, daß es Aufgabe
und Pflicht der Mutter ist, ihre Kinder auch in Be-
treff der Kleidung zur Ordnung und Reinlichkeit, ja
selbst zu einer gewissen Nettigkeit (um so zu sagen)
anzuhalten und anzuleiten. Ordnung und Reinlichkeit
in der Kleidung, ja bis zu einem gewissen Grade
etwas hübsches und Schönes im Anzuge kann einen
heilsamen Einfluß selbst auf die sittliche Verfassung
des Herzens üben, während Unordnung und Unrein-
lichkeit nur zu leicht der Unsittlichkeit Vorschub leistet.
Aber eben so sehr ist es Pflicht, alles das zu meiden,
was die Eitelkeit und Putzsucht in den Kindern
gradezu fördert. Dahin gehört, was wir eben schon
erwähnten; oder, wenn die Mutter gar so viel We-
sens mit dem Anzuge der Kinder macht, als sei das
eine Hauptsache; wenn sie so unmäßig viel Zeit und
Kosten darauf verwendet; wenn sie das Kind in sei-
nem Anzuge oder Kleidungsstücke so viel anerkennt,
erhebt und bewundert, insbesondere, wenn sie es
gradezu darauf ablegt, das Kind in ungewöhnlicher,
auffälliger Weise herauszuputzen und vor andern
Kindern auszuzeichnen, und so selbst mit ihren Kindern
Eitelkeit treibt. Heißt das nicht, das arme Kind mit
vollen regeln in das Unwesen der Eitelkeit hinein-
fahren? Wem es beschieden ist, in einer größern
Stadt zu wohnen, der findet nur zu oft Gelegenheit,
solchen Kindern zu begegnen, welche von ihren thörich-
ten Müttern also aufgeputzt sind. Man könnte sich
versucht finden zu glauben, es seien Commödianten-
kinder. Was für ein Geist wird durch solche Schau-
spieleranzüge in den Kindern genährt? Der christ-
liche
gewiß nicht. - Und wie wenig ist dabei oft
der zarten und christlichen Züchtigkeit und Scham-
haftigkeit Rechnung getragen! - O christliche Mütter,
seid doch nicht so grausam gegen eure Kinder! Nähret
doch nicht so geflissentlich das Unwesen der Eitelkeit
in ihnen - zu ihrem Verderben! Behauptet in der
Art, euere Kinder zu kleiden, bei aller Rücksicht auf
die Anforderungen des Standes doch eine gewisse Be-
scheidenheit und Mäßigung! Weiset euere Kinder
früh darauf hin, daß der wahre und schönste
Schmuck des Menschen darin bestehe, daß er ein sün-
denreines, mit christlichen Tugenden ausgestattetes
Herz habe. Wehe, wenn ihr selbst mit eueren Kindern Eitel-
keit treibet, indem ihr sie so unmäßig zieret, um vor
Andern mit ihnen zu glänzen! Heißt das nicht, das
wahre Wohl euerer Kinder, indem ihr das Uebel der
Eitelkeit in ihnen nähret, auf's Spiel setzen, um euere
Eitelkeit zu befriedrigen? heißt das nicht, der Seele
eurer Kinder schaden, um eurer Eitelkeit zu schmei-
cheln? In der That, das ist so ewas von der Art
jener Mütter, welche ihre Kinder - opfernd - in
die glühenden Arme des Moloch werfen! Kommen wir zu einem andern Fehler, der gleich-
falls in der Kinderwelt nur zu sehr vertreten ist; es
ist die Lügenhaftigkeit. Brauchen wir die Häß-
lichkeit und Verderblichkeit dieses Fehlers erst aus-
einanderzusetzen? Wahrheitsliebe und Abscheu vor
Lügen gehört wesentlich zu dem echt christlichen Geiste;
nie wird Jemand, dem es mit seinem Christenthum
aufrichtig ernst ist, sich dazu verstehen, zu lügen. So
viel Jemand sich wenig oder nichts daraus macht,
so viel zeigt er dadurch, daß es noch sehr bei ihm
fehle. Würde wohl die h. Jungfrau auch nur zur
geringsten Lüge sich verstanden haben? Eher zur
Hingabe ihres Lebens! - Dazu kommt, daß das Lü-
gen der abschüssige Weg ist zu vielen andern Fehlern.
- Also, christliche Mutter, tritt bei deinen Kindern
gegen diesen Fehler ein! Lasse das Verderben dessel-
ben nicht über selbe kommen! Kinder kommen leicht
zum Lügen und, wenn man sie damit lässet, zur ver-
derblichen Gewohnheit desselben. Also warne dein
Kind; belehre es zur Zeit über die Häßlichkeit des
Lügens. Halt streng darauf, daß es stets und in
Allem die lautere Wahrheit sage! Wo nicht, so folgt
Rüge und Strafe. Suche es, wo es wirklich oder
doch wahrscheinlich gelogen hat, zum Bekenntniß zu
bringen; bekennt es aufrichtig und mit Leid, so tritt
Milderung, vielleicht selbst Nachlaß der Strafe ein.
- Fern sei es, daß du selbst deinen Kindern das
Beispiel des Lügens gebest oder gar sie zum Lügen
anleitest und veranlassest! Gottes Segen über jedes Haus, in dem man die
Lüge haßt und meidet! Vielleicht leidet ein und anderes Kind an einer
reizbaren, heftigen Natur; es geräth leicht in
Zorn, wird aufgeregt, schimpft, flucht, tobt u. s. w.
Läßt man's damit, so wächset der Jähzorn in ihm
heran, der in der Reibe der Hauptsünden steht,
d. i. jener Fehler, welche die besonders ergiebigen
Quellen von Sünden und zwar von Sünden recht
schlimmer Art zu sein pflegen. Wie schwer wird er
überwunden, wenn er bereits im Menschen herange-
wachsen und zur andern Natur geworden ist! Und
wie störend greift er in das eigene Wohl und meist
in das Wohlsein Vieler ein! Merkst du also, christliche Mutter, daß dein Kind
an diesem Fehler leide, so säume nicht, von früh an
denselben zu zügeln und es davon zu befreien. Belehre,
ermahne, rüge, strafe - immer von Neuem nach Maß
der Heftigkeit des Fehlers. Ruhe nicht, bis es dir
mit Gottes Hülfe gelungen. - Freilich, wenn du
selbst an diesem Fehler littest, wenn das Kind, das
zum Zorne geneigt ist, vielleicht nur zu oft deine
Zornausbrüche wahrnehmen oder gar an sich erfahren
muß, wie soll dann ihm Hülfe von dir werden? Ach,
du stößest es in seinen Fehlern nur tiefer hinein,
festigst es darin. Wehe! Vielleicht hängt mit dem letzten Fehler ein anderer
zusammen - ein gewisses liebloses, selbstsüch-
tiges
Wesen. Dasselbe tritt zu Tage den Geschwistern
gegenüber: das Kind ist eigennützig, es gönnt den
Geschwistern nichts, es entzieht ihnen gern das Ihrige;
es ist ungefällig; es kränkt dieselben durch Wort und
That, kann sich mit ihnen nicht vertagen u. s. w.
Oder jenes verkehrte Wesen gibt sich kund andern
Kindern oder den Mitmenschen überhaupt gegenüber:
das Kind hat keinerlei Theilnahme für fremde Noth,
es gibt und hilft andern Kindern nicht, wo es kann,
es hadert und zankt leicht mit ihnen, schimpft sie aus,
entzweiet, rauft sich mit ihnen u. s. w. Lauter Aus-
wüchse jener Selbstsucht und Lieblosigkeit der verderb-
ten menschlichen Natur. Läßt man sie im Kinde ge-
währen, tritt man nicht dagegen ein, so wächset in
ihm jener Egoismus heran, den man heut bei so
Vielen findet, und es bleibt ohne jene Tugend, welche
zur Grundverfassung des christlichen Lebens gehört,
ohne wahre Nächstenliebe. Wie viele Ursache, ihren
Mangel in der Welt zu beklagen! Und doch ist man
ohne wahre Nächstenliebe kein rechter Christ und hat
nicht die Hoffnung des Heiles. Der Grund dieser
traurigen Erscheinung liegt nur zu oft schon im Kin-
desalter: die Mutter hat das Kind mit seinen manch-
fachen Verstößen gegen die Liebe hingelassen und es
ist nicht an Liebe gewöhnt. Christliche Mutter, halte es für einen der wichtig-
sten Punkte in der Erziehung, deine Kinder durch
Belehrung, Ermahnung, Warnung, Rüge, Strafe
und durch Gebet dahin zu bringen, daß sie Alles
meiden und ablegen, was wider die Liebe verstößt,
zunächst den Geschwistern und Hausgenossen, dann
aber überhaupt allen Menschen gegenüber. Lasse sie
an dir das Beispiel echter, herzlicher Nächstenliebe er-
fahren!

ist ja der Herr auch bereit, größere Gnade zu ge-
ben, um siegreich in Sanftmuth und Geduld zu
bestehen. Also nur oft, immer von Neuem den
Vorsatz erneuert! Immer von Neuem um die Hülfe
der göttlichen Gnade geflehet!

Eine gute Mutter ist bei den Fehlern der Kin-
der, so sehr sie auch dieselben fortzuschaffen sucht,
doch auch duldsam und vorsichtig; sie vergißt nie,
daß es eben Kinder sind, die fehlen, und daß daher
ihre Schuld nicht so groß ist. Aber durch solche
Nachsicht läßt sie sich keineswegs bestimmen, von
einem ernsten Vorgehen gegen ihre Fehler abzu-
stehen. Nur geht sie wider dieselben mit Ruhe,
Besonnenheit und Ueberlegung vor, bald belehrend,
bald warnend, bald strafend, aber nie im Zorn.
Und je mehr sie ihre Kinder bei ihren Fehlern
mit solcher Ruhe zurechtweist oder züchtigt, desto
sicherer kommt sie zum Ziele. Die Kinder begrei-
fen es mehr und mehr, daß nur Abscheu gegen
ihre Fehler die Mutter leite; sie lernen selbst ihre
Fehler verabscheuen, so daß nicht allein die Furcht
vor Strafe, sondern auch dieser Abscheu sie vom
Bösen abhält und ihre Besserung dadurch desto ge-
sicherter ist, wie denn auf solche Art auch ihre Liebe
zur Mutter unverletzt bleibt*)

*) Es scheint uns heilsam, hier etliche Fehler besonders
hervorzuheben: An erster Stelle komme der Eigensinn, welcher bei
Kindern so gern sich geltend macht, gegen welchen eine
gute Mutter von frühester Kindheit an mit Ent-
schiedenheit auftritt. Sie gewöhnt ihr Kind an Ge-
horsam gegen ihren und des Vaters Willen. Was
einmal – freilich wohlüberlegt – gesagt und ge-
boten ist, daran wird festgehalten, das muß das Kind
thun, es gehe, wie es wolle, und müßte es auch durch
die nachdrücklichsten Strafen dazu vermocht werden.
Wehe, wenn ein Kind merkt, daß es ihm hilft, daß
es damit zum Ziele kommt, wenn es auf seinen Kopf
besteht! Der Eigensinn, dies große Uebel und Hinder-
niß alles Guten, wird in ihm groß wachsen, besonders,
wenn das Kind von Haus aus schon Neigung zu
solchem Eigensinn verräth. Leicht ist die Gefahr, sich
durch unzeitige Liebe zu schädlicher Nachgiebigkeit ver-
leiten zu lassen, bei der Mutter am größten. Daher,
christliche Mutter, sei auf der Huth! Es ist Pflicht,
da wo es sich um Brechung des Eigensinns handelt,
die natürlichen Gefühle zu überwinden. Sei versichert,
dein Kind wird's dir zur Zeit Dank wissen. Frühe
Gewöhnung an Gehorsam ist Bedingung und Bürg-
schaft für den Gehorsam gegen Gott, d. h. für ein
christliches und also auch glückliches Leben. Demnächst kommt die Eitelkeit und Putzsucht,
besonders bei Mädchen. Wie nachtheilig und verderb-
lich tritt dieser Fehler bei Erwachsenen auf. Abge-
sehen von dem Verluste an Zeit und Vermögen, welche
derselbe mit sich zu führen pflegt, wirkt er höchst ver-
derblich auf's Herz, macht, daß dasselbe in dem eiteln
Tande nichtigen Putzes aufgehe, den Sinn für Gott
und Höheres mehr und mehr einbüße, und ist leicht,
leider auch nur zu oft der Grund, daß man das
kostbare Gut der Unschuld verliere und den traurig-
sten sittlichen Verirrungen anheimfalle. Und wie oft
wird der Grund zu diesen Fehlern schon in den Jah-
ren der Kindheit – von der eigenen Mutter des
Kindes gelegt. Sie lässet das Kind mit seiner ihm
angebornen Eitelkeit hin, ja nährt und fördert dieselbe
gradezu. Oder ist es nicht reiche Nahrung für die-
selbe, wenn das Kind wahrnimmt, wie oft und mit
welcher Angelegentlichkeit die Mutter von Kleidung
und Putz spricht, wie viel Gewicht sie darauf legt,
wie viel Umstände sie dafür macht, wie sehr sie sich
darin gefällt? Oder, wenn die Mutter so viel We-
sens macht mit dem Anzuge des Kindes, so viel
Sorge und Kosten und Zeit darauf verwendet und
zwar mit einer Wichtigkeit, als sei das bei Weitem
die Hauptsache. Kein vernünftiger Mensch zweifelt, daß es Aufgabe
und Pflicht der Mutter ist, ihre Kinder auch in Be-
treff der Kleidung zur Ordnung und Reinlichkeit, ja
selbst zu einer gewissen Nettigkeit (um so zu sagen)
anzuhalten und anzuleiten. Ordnung und Reinlichkeit
in der Kleidung, ja bis zu einem gewissen Grade
etwas hübsches und Schönes im Anzuge kann einen
heilsamen Einfluß selbst auf die sittliche Verfassung
des Herzens üben, während Unordnung und Unrein-
lichkeit nur zu leicht der Unsittlichkeit Vorschub leistet.
Aber eben so sehr ist es Pflicht, alles das zu meiden,
was die Eitelkeit und Putzsucht in den Kindern
gradezu fördert. Dahin gehört, was wir eben schon
erwähnten; oder, wenn die Mutter gar so viel We-
sens mit dem Anzuge der Kinder macht, als sei das
eine Hauptsache; wenn sie so unmäßig viel Zeit und
Kosten darauf verwendet; wenn sie das Kind in sei-
nem Anzuge oder Kleidungsstücke so viel anerkennt,
erhebt und bewundert, insbesondere, wenn sie es
gradezu darauf ablegt, das Kind in ungewöhnlicher,
auffälliger Weise herauszuputzen und vor andern
Kindern auszuzeichnen, und so selbst mit ihren Kindern
Eitelkeit treibt. Heißt das nicht, das arme Kind mit
vollen regeln in das Unwesen der Eitelkeit hinein-
fahren? Wem es beschieden ist, in einer größern
Stadt zu wohnen, der findet nur zu oft Gelegenheit,
solchen Kindern zu begegnen, welche von ihren thörich-
ten Müttern also aufgeputzt sind. Man könnte sich
versucht finden zu glauben, es seien Commödianten-
kinder. Was für ein Geist wird durch solche Schau-
spieleranzüge in den Kindern genährt? Der christ-
liche
gewiß nicht. – Und wie wenig ist dabei oft
der zarten und christlichen Züchtigkeit und Scham-
haftigkeit Rechnung getragen! – O christliche Mütter,
seid doch nicht so grausam gegen eure Kinder! Nähret
doch nicht so geflissentlich das Unwesen der Eitelkeit
in ihnen – zu ihrem Verderben! Behauptet in der
Art, euere Kinder zu kleiden, bei aller Rücksicht auf
die Anforderungen des Standes doch eine gewisse Be-
scheidenheit und Mäßigung! Weiset euere Kinder
früh darauf hin, daß der wahre und schönste
Schmuck des Menschen darin bestehe, daß er ein sün-
denreines, mit christlichen Tugenden ausgestattetes
Herz habe. Wehe, wenn ihr selbst mit eueren Kindern Eitel-
keit treibet, indem ihr sie so unmäßig zieret, um vor
Andern mit ihnen zu glänzen! Heißt das nicht, das
wahre Wohl euerer Kinder, indem ihr das Uebel der
Eitelkeit in ihnen nähret, auf's Spiel setzen, um euere
Eitelkeit zu befriedrigen? heißt das nicht, der Seele
eurer Kinder schaden, um eurer Eitelkeit zu schmei-
cheln? In der That, das ist so ewas von der Art
jener Mütter, welche ihre Kinder – opfernd – in
die glühenden Arme des Moloch werfen! Kommen wir zu einem andern Fehler, der gleich-
falls in der Kinderwelt nur zu sehr vertreten ist; es
ist die Lügenhaftigkeit. Brauchen wir die Häß-
lichkeit und Verderblichkeit dieses Fehlers erst aus-
einanderzusetzen? Wahrheitsliebe und Abscheu vor
Lügen gehört wesentlich zu dem echt christlichen Geiste;
nie wird Jemand, dem es mit seinem Christenthum
aufrichtig ernst ist, sich dazu verstehen, zu lügen. So
viel Jemand sich wenig oder nichts daraus macht,
so viel zeigt er dadurch, daß es noch sehr bei ihm
fehle. Würde wohl die h. Jungfrau auch nur zur
geringsten Lüge sich verstanden haben? Eher zur
Hingabe ihres Lebens! – Dazu kommt, daß das Lü-
gen der abschüssige Weg ist zu vielen andern Fehlern.
– Also, christliche Mutter, tritt bei deinen Kindern
gegen diesen Fehler ein! Lasse das Verderben dessel-
ben nicht über selbe kommen! Kinder kommen leicht
zum Lügen und, wenn man sie damit lässet, zur ver-
derblichen Gewohnheit desselben. Also warne dein
Kind; belehre es zur Zeit über die Häßlichkeit des
Lügens. Halt streng darauf, daß es stets und in
Allem die lautere Wahrheit sage! Wo nicht, so folgt
Rüge und Strafe. Suche es, wo es wirklich oder
doch wahrscheinlich gelogen hat, zum Bekenntniß zu
bringen; bekennt es aufrichtig und mit Leid, so tritt
Milderung, vielleicht selbst Nachlaß der Strafe ein.
– Fern sei es, daß du selbst deinen Kindern das
Beispiel des Lügens gebest oder gar sie zum Lügen
anleitest und veranlassest! Gottes Segen über jedes Haus, in dem man die
Lüge haßt und meidet! Vielleicht leidet ein und anderes Kind an einer
reizbaren, heftigen Natur; es geräth leicht in
Zorn, wird aufgeregt, schimpft, flucht, tobt u. s. w.
Läßt man's damit, so wächset der Jähzorn in ihm
heran, der in der Reibe der Hauptsünden steht,
d. i. jener Fehler, welche die besonders ergiebigen
Quellen von Sünden und zwar von Sünden recht
schlimmer Art zu sein pflegen. Wie schwer wird er
überwunden, wenn er bereits im Menschen herange-
wachsen und zur andern Natur geworden ist! Und
wie störend greift er in das eigene Wohl und meist
in das Wohlsein Vieler ein! Merkst du also, christliche Mutter, daß dein Kind
an diesem Fehler leide, so säume nicht, von früh an
denselben zu zügeln und es davon zu befreien. Belehre,
ermahne, rüge, strafe – immer von Neuem nach Maß
der Heftigkeit des Fehlers. Ruhe nicht, bis es dir
mit Gottes Hülfe gelungen. – Freilich, wenn du
selbst an diesem Fehler littest, wenn das Kind, das
zum Zorne geneigt ist, vielleicht nur zu oft deine
Zornausbrüche wahrnehmen oder gar an sich erfahren
muß, wie soll dann ihm Hülfe von dir werden? Ach,
du stößest es in seinen Fehlern nur tiefer hinein,
festigst es darin. Wehe! Vielleicht hängt mit dem letzten Fehler ein anderer
zusammen – ein gewisses liebloses, selbstsüch-
tiges
Wesen. Dasselbe tritt zu Tage den Geschwistern
gegenüber: das Kind ist eigennützig, es gönnt den
Geschwistern nichts, es entzieht ihnen gern das Ihrige;
es ist ungefällig; es kränkt dieselben durch Wort und
That, kann sich mit ihnen nicht vertagen u. s. w.
Oder jenes verkehrte Wesen gibt sich kund andern
Kindern oder den Mitmenschen überhaupt gegenüber:
das Kind hat keinerlei Theilnahme für fremde Noth,
es gibt und hilft andern Kindern nicht, wo es kann,
es hadert und zankt leicht mit ihnen, schimpft sie aus,
entzweiet, rauft sich mit ihnen u. s. w. Lauter Aus-
wüchse jener Selbstsucht und Lieblosigkeit der verderb-
ten menschlichen Natur. Läßt man sie im Kinde ge-
währen, tritt man nicht dagegen ein, so wächset in
ihm jener Egoismus heran, den man heut bei so
Vielen findet, und es bleibt ohne jene Tugend, welche
zur Grundverfassung des christlichen Lebens gehört,
ohne wahre Nächstenliebe. Wie viele Ursache, ihren
Mangel in der Welt zu beklagen! Und doch ist man
ohne wahre Nächstenliebe kein rechter Christ und hat
nicht die Hoffnung des Heiles. Der Grund dieser
traurigen Erscheinung liegt nur zu oft schon im Kin-
desalter: die Mutter hat das Kind mit seinen manch-
fachen Verstößen gegen die Liebe hingelassen und es
ist nicht an Liebe gewöhnt. Christliche Mutter, halte es für einen der wichtig-
sten Punkte in der Erziehung, deine Kinder durch
Belehrung, Ermahnung, Warnung, Rüge, Strafe
und durch Gebet dahin zu bringen, daß sie Alles
meiden und ablegen, was wider die Liebe verstößt,
zunächst den Geschwistern und Hausgenossen, dann
aber überhaupt allen Menschen gegenüber. Lasse sie
an dir das Beispiel echter, herzlicher Nächstenliebe er-
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[77/0288] ist ja der Herr auch bereit, größere Gnade zu ge- ben, um siegreich in Sanftmuth und Geduld zu bestehen. Also nur oft, immer von Neuem den Vorsatz erneuert! Immer von Neuem um die Hülfe der göttlichen Gnade geflehet! Eine gute Mutter ist bei den Fehlern der Kin- der, so sehr sie auch dieselben fortzuschaffen sucht, doch auch duldsam und vorsichtig; sie vergißt nie, daß es eben Kinder sind, die fehlen, und daß daher ihre Schuld nicht so groß ist. Aber durch solche Nachsicht läßt sie sich keineswegs bestimmen, von einem ernsten Vorgehen gegen ihre Fehler abzu- stehen. Nur geht sie wider dieselben mit Ruhe, Besonnenheit und Ueberlegung vor, bald belehrend, bald warnend, bald strafend, aber nie im Zorn. Und je mehr sie ihre Kinder bei ihren Fehlern mit solcher Ruhe zurechtweist oder züchtigt, desto sicherer kommt sie zum Ziele. Die Kinder begrei- fen es mehr und mehr, daß nur Abscheu gegen ihre Fehler die Mutter leite; sie lernen selbst ihre Fehler verabscheuen, so daß nicht allein die Furcht vor Strafe, sondern auch dieser Abscheu sie vom Bösen abhält und ihre Besserung dadurch desto ge- sicherter ist, wie denn auf solche Art auch ihre Liebe zur Mutter unverletzt bleibt *) *) Es scheint uns heilsam, hier etliche Fehler besonders hervorzuheben: An erster Stelle komme der Eigensinn, welcher bei Kindern so gern sich geltend macht, gegen welchen eine gute Mutter von frühester Kindheit an mit Ent- schiedenheit auftritt. Sie gewöhnt ihr Kind an Ge- horsam gegen ihren und des Vaters Willen. Was einmal – freilich wohlüberlegt – gesagt und ge- boten ist, daran wird festgehalten, das muß das Kind thun, es gehe, wie es wolle, und müßte es auch durch die nachdrücklichsten Strafen dazu vermocht werden. Wehe, wenn ein Kind merkt, daß es ihm hilft, daß es damit zum Ziele kommt, wenn es auf seinen Kopf besteht! Der Eigensinn, dies große Uebel und Hinder- niß alles Guten, wird in ihm groß wachsen, besonders, wenn das Kind von Haus aus schon Neigung zu solchem Eigensinn verräth. Leicht ist die Gefahr, sich durch unzeitige Liebe zu schädlicher Nachgiebigkeit ver- leiten zu lassen, bei der Mutter am größten. Daher, christliche Mutter, sei auf der Huth! Es ist Pflicht, da wo es sich um Brechung des Eigensinns handelt, die natürlichen Gefühle zu überwinden. Sei versichert, dein Kind wird's dir zur Zeit Dank wissen. Frühe Gewöhnung an Gehorsam ist Bedingung und Bürg- schaft für den Gehorsam gegen Gott, d. h. für ein christliches und also auch glückliches Leben. Demnächst kommt die Eitelkeit und Putzsucht, besonders bei Mädchen. Wie nachtheilig und verderb- lich tritt dieser Fehler bei Erwachsenen auf. Abge- sehen von dem Verluste an Zeit und Vermögen, welche derselbe mit sich zu führen pflegt, wirkt er höchst ver- derblich auf's Herz, macht, daß dasselbe in dem eiteln Tande nichtigen Putzes aufgehe, den Sinn für Gott und Höheres mehr und mehr einbüße, und ist leicht, leider auch nur zu oft der Grund, daß man das kostbare Gut der Unschuld verliere und den traurig- sten sittlichen Verirrungen anheimfalle. Und wie oft wird der Grund zu diesen Fehlern schon in den Jah- ren der Kindheit – von der eigenen Mutter des Kindes gelegt. Sie lässet das Kind mit seiner ihm angebornen Eitelkeit hin, ja nährt und fördert dieselbe gradezu. Oder ist es nicht reiche Nahrung für die- selbe, wenn das Kind wahrnimmt, wie oft und mit welcher Angelegentlichkeit die Mutter von Kleidung und Putz spricht, wie viel Gewicht sie darauf legt, wie viel Umstände sie dafür macht, wie sehr sie sich darin gefällt? Oder, wenn die Mutter so viel We- sens macht mit dem Anzuge des Kindes, so viel Sorge und Kosten und Zeit darauf verwendet und zwar mit einer Wichtigkeit, als sei das bei Weitem die Hauptsache. Kein vernünftiger Mensch zweifelt, daß es Aufgabe und Pflicht der Mutter ist, ihre Kinder auch in Be- treff der Kleidung zur Ordnung und Reinlichkeit, ja selbst zu einer gewissen Nettigkeit (um so zu sagen) anzuhalten und anzuleiten. Ordnung und Reinlichkeit in der Kleidung, ja bis zu einem gewissen Grade etwas hübsches und Schönes im Anzuge kann einen heilsamen Einfluß selbst auf die sittliche Verfassung des Herzens üben, während Unordnung und Unrein- lichkeit nur zu leicht der Unsittlichkeit Vorschub leistet. Aber eben so sehr ist es Pflicht, alles das zu meiden, was die Eitelkeit und Putzsucht in den Kindern gradezu fördert. Dahin gehört, was wir eben schon erwähnten; oder, wenn die Mutter gar so viel We- sens mit dem Anzuge der Kinder macht, als sei das eine Hauptsache; wenn sie so unmäßig viel Zeit und Kosten darauf verwendet; wenn sie das Kind in sei- nem Anzuge oder Kleidungsstücke so viel anerkennt, erhebt und bewundert, insbesondere, wenn sie es gradezu darauf ablegt, das Kind in ungewöhnlicher, auffälliger Weise herauszuputzen und vor andern Kindern auszuzeichnen, und so selbst mit ihren Kindern Eitelkeit treibt. Heißt das nicht, das arme Kind mit vollen regeln in das Unwesen der Eitelkeit hinein- fahren? Wem es beschieden ist, in einer größern Stadt zu wohnen, der findet nur zu oft Gelegenheit, solchen Kindern zu begegnen, welche von ihren thörich- ten Müttern also aufgeputzt sind. Man könnte sich versucht finden zu glauben, es seien Commödianten- kinder. Was für ein Geist wird durch solche Schau- spieleranzüge in den Kindern genährt? Der christ- liche gewiß nicht. – Und wie wenig ist dabei oft der zarten und christlichen Züchtigkeit und Scham- haftigkeit Rechnung getragen! – O christliche Mütter, seid doch nicht so grausam gegen eure Kinder! Nähret doch nicht so geflissentlich das Unwesen der Eitelkeit in ihnen – zu ihrem Verderben! Behauptet in der Art, euere Kinder zu kleiden, bei aller Rücksicht auf die Anforderungen des Standes doch eine gewisse Be- scheidenheit und Mäßigung! Weiset euere Kinder früh darauf hin, daß der wahre und schönste Schmuck des Menschen darin bestehe, daß er ein sün- denreines, mit christlichen Tugenden ausgestattetes Herz habe. Wehe, wenn ihr selbst mit eueren Kindern Eitel- keit treibet, indem ihr sie so unmäßig zieret, um vor Andern mit ihnen zu glänzen! Heißt das nicht, das wahre Wohl euerer Kinder, indem ihr das Uebel der Eitelkeit in ihnen nähret, auf's Spiel setzen, um euere Eitelkeit zu befriedrigen? heißt das nicht, der Seele eurer Kinder schaden, um eurer Eitelkeit zu schmei- cheln? In der That, das ist so ewas von der Art jener Mütter, welche ihre Kinder – opfernd – in die glühenden Arme des Moloch werfen! Kommen wir zu einem andern Fehler, der gleich- falls in der Kinderwelt nur zu sehr vertreten ist; es ist die Lügenhaftigkeit. Brauchen wir die Häß- lichkeit und Verderblichkeit dieses Fehlers erst aus- einanderzusetzen? Wahrheitsliebe und Abscheu vor Lügen gehört wesentlich zu dem echt christlichen Geiste; nie wird Jemand, dem es mit seinem Christenthum aufrichtig ernst ist, sich dazu verstehen, zu lügen. So viel Jemand sich wenig oder nichts daraus macht, so viel zeigt er dadurch, daß es noch sehr bei ihm fehle. Würde wohl die h. Jungfrau auch nur zur geringsten Lüge sich verstanden haben? Eher zur Hingabe ihres Lebens! – Dazu kommt, daß das Lü- gen der abschüssige Weg ist zu vielen andern Fehlern. – Also, christliche Mutter, tritt bei deinen Kindern gegen diesen Fehler ein! Lasse das Verderben dessel- ben nicht über selbe kommen! Kinder kommen leicht zum Lügen und, wenn man sie damit lässet, zur ver- derblichen Gewohnheit desselben. Also warne dein Kind; belehre es zur Zeit über die Häßlichkeit des Lügens. Halt streng darauf, daß es stets und in Allem die lautere Wahrheit sage! Wo nicht, so folgt Rüge und Strafe. Suche es, wo es wirklich oder doch wahrscheinlich gelogen hat, zum Bekenntniß zu bringen; bekennt es aufrichtig und mit Leid, so tritt Milderung, vielleicht selbst Nachlaß der Strafe ein. – Fern sei es, daß du selbst deinen Kindern das Beispiel des Lügens gebest oder gar sie zum Lügen anleitest und veranlassest! Gottes Segen über jedes Haus, in dem man die Lüge haßt und meidet! Vielleicht leidet ein und anderes Kind an einer reizbaren, heftigen Natur; es geräth leicht in Zorn, wird aufgeregt, schimpft, flucht, tobt u. s. w. Läßt man's damit, so wächset der Jähzorn in ihm heran, der in der Reibe der Hauptsünden steht, d. i. jener Fehler, welche die besonders ergiebigen Quellen von Sünden und zwar von Sünden recht schlimmer Art zu sein pflegen. Wie schwer wird er überwunden, wenn er bereits im Menschen herange- wachsen und zur andern Natur geworden ist! Und wie störend greift er in das eigene Wohl und meist in das Wohlsein Vieler ein! Merkst du also, christliche Mutter, daß dein Kind an diesem Fehler leide, so säume nicht, von früh an denselben zu zügeln und es davon zu befreien. Belehre, ermahne, rüge, strafe – immer von Neuem nach Maß der Heftigkeit des Fehlers. Ruhe nicht, bis es dir mit Gottes Hülfe gelungen. – Freilich, wenn du selbst an diesem Fehler littest, wenn das Kind, das zum Zorne geneigt ist, vielleicht nur zu oft deine Zornausbrüche wahrnehmen oder gar an sich erfahren muß, wie soll dann ihm Hülfe von dir werden? Ach, du stößest es in seinen Fehlern nur tiefer hinein, festigst es darin. Wehe! Vielleicht hängt mit dem letzten Fehler ein anderer zusammen – ein gewisses liebloses, selbstsüch- tiges Wesen. Dasselbe tritt zu Tage den Geschwistern gegenüber: das Kind ist eigennützig, es gönnt den Geschwistern nichts, es entzieht ihnen gern das Ihrige; es ist ungefällig; es kränkt dieselben durch Wort und That, kann sich mit ihnen nicht vertagen u. s. w. Oder jenes verkehrte Wesen gibt sich kund andern Kindern oder den Mitmenschen überhaupt gegenüber: das Kind hat keinerlei Theilnahme für fremde Noth, es gibt und hilft andern Kindern nicht, wo es kann, es hadert und zankt leicht mit ihnen, schimpft sie aus, entzweiet, rauft sich mit ihnen u. s. w. Lauter Aus- wüchse jener Selbstsucht und Lieblosigkeit der verderb- ten menschlichen Natur. Läßt man sie im Kinde ge- währen, tritt man nicht dagegen ein, so wächset in ihm jener Egoismus heran, den man heut bei so Vielen findet, und es bleibt ohne jene Tugend, welche zur Grundverfassung des christlichen Lebens gehört, ohne wahre Nächstenliebe. Wie viele Ursache, ihren Mangel in der Welt zu beklagen! Und doch ist man ohne wahre Nächstenliebe kein rechter Christ und hat nicht die Hoffnung des Heiles. Der Grund dieser traurigen Erscheinung liegt nur zu oft schon im Kin- desalter: die Mutter hat das Kind mit seinen manch- fachen Verstößen gegen die Liebe hingelassen und es ist nicht an Liebe gewöhnt. Christliche Mutter, halte es für einen der wichtig- sten Punkte in der Erziehung, deine Kinder durch Belehrung, Ermahnung, Warnung, Rüge, Strafe und durch Gebet dahin zu bringen, daß sie Alles meiden und ablegen, was wider die Liebe verstößt, zunächst den Geschwistern und Hausgenossen, dann aber überhaupt allen Menschen gegenüber. Lasse sie an dir das Beispiel echter, herzlicher Nächstenliebe er- fahren!

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Dieses Werk stammt vom Projekt Digitization Lifecycle am Max-Planck-Institut für Bildungsforschung.

Anmerkungen zur Transkription:

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Zitationshilfe: Cramer, Wilhelm: Der christliche Vater wie er sein und was er thun soll. Nebst einem Anhange von Gebeten für denselben. Dülmen, 1874, S. 77. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/cramer_mutter_1874/288>, abgerufen am 25.11.2024.