Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Cramer, Johann Andreas: Andachten in Betrachtungen, Gebeten und Liedern über Gott, seine Eigenschaften und Werke. Erster Theil. Schleßwig, 1764.

Bild:
<< vorherige Seite



Werke nachgedacht und aus der Beschaffenheit
und Einrichtung derselben auf die Erkenntniß ei-
ner ewigen unendlich weisen und gütigen Ursache
aller Dinge gekommen wäre, sondern mitten in
seinen Wundern in einer völligen Unwissenheit
Gottes lebte, und sein Daseyn und seine herrli-
chen Eigenschaften nicht einmal vermuthete,
nicht die Vorstellung sowohl von dem einen als
von dem andern in ihm wirken können, ohne ihn
erst auf seine Werke aufmerksam zu machen, und
zwar eine so lebhafte, gewisse und unveränderliche
Vorstellung, daß er an der Wahrheit derselben
nicht zweifeln könnte? Dürfen wir dem Unend-
lichen dieses Vermögen nicht absprechen: So ist
die Möglichkeit, Gottes Daseyn und seine Voll-
kommenheiten aus einem unmittelbaren Unter-
richte von ihm zu erkennen, erwiesen. Ob es
wirklich einen solchen unmittelbaren Unterricht
gebe; ob die, welche versichern, Gott aus ei-
nem solchen Unterrichte zu kennen, Glauben
verdienen, dieses muß freylich aus andern Grün-
den bestätigt werden; aber wir dürfen darum
nicht läugnen, daß der Mensch überhaupt keine
gewisse und gegründete Erkenntniß von Gott ha-
ben könnte, wenn er nicht erst aus seinen Wer-
ken sein Daseyn und seine Vollkommenheiten er-
kannt hätte.

Jch
E 2



Werke nachgedacht und aus der Beſchaffenheit
und Einrichtung derſelben auf die Erkenntniß ei-
ner ewigen unendlich weiſen und gütigen Urſache
aller Dinge gekommen wäre, ſondern mitten in
ſeinen Wundern in einer völligen Unwiſſenheit
Gottes lebte, und ſein Daſeyn und ſeine herrli-
chen Eigenſchaften nicht einmal vermuthete,
nicht die Vorſtellung ſowohl von dem einen als
von dem andern in ihm wirken können, ohne ihn
erſt auf ſeine Werke aufmerkſam zu machen, und
zwar eine ſo lebhafte, gewiſſe und unveränderliche
Vorſtellung, daß er an der Wahrheit derſelben
nicht zweifeln könnte? Dürfen wir dem Unend-
lichen dieſes Vermögen nicht abſprechen: So iſt
die Möglichkeit, Gottes Daſeyn und ſeine Voll-
kommenheiten aus einem unmittelbaren Unter-
richte von ihm zu erkennen, erwieſen. Ob es
wirklich einen ſolchen unmittelbaren Unterricht
gebe; ob die, welche verſichern, Gott aus ei-
nem ſolchen Unterrichte zu kennen, Glauben
verdienen, dieſes muß freylich aus andern Grün-
den beſtätigt werden; aber wir dürfen darum
nicht läugnen, daß der Menſch überhaupt keine
gewiſſe und gegründete Erkenntniß von Gott ha-
ben könnte, wenn er nicht erſt aus ſeinen Wer-
ken ſein Daſeyn und ſeine Vollkommenheiten er-
kannt hätte.

Jch
E 2
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0081" n="67"/><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
Werke nachgedacht und aus der Be&#x017F;chaffenheit<lb/>
und Einrichtung der&#x017F;elben auf die Erkenntniß ei-<lb/>
ner ewigen unendlich wei&#x017F;en und gütigen Ur&#x017F;ache<lb/>
aller Dinge gekommen wäre, &#x017F;ondern mitten in<lb/>
&#x017F;einen Wundern in einer völligen Unwi&#x017F;&#x017F;enheit<lb/>
Gottes lebte, und &#x017F;ein Da&#x017F;eyn und &#x017F;eine herrli-<lb/>
chen Eigen&#x017F;chaften nicht einmal vermuthete,<lb/>
nicht die Vor&#x017F;tellung &#x017F;owohl von dem einen als<lb/>
von dem andern in ihm wirken können, ohne ihn<lb/>
er&#x017F;t auf &#x017F;eine Werke aufmerk&#x017F;am zu machen, und<lb/>
zwar eine &#x017F;o lebhafte, gewi&#x017F;&#x017F;e und unveränderliche<lb/>
Vor&#x017F;tellung, daß er an der Wahrheit der&#x017F;elben<lb/>
nicht zweifeln könnte? Dürfen wir dem Unend-<lb/>
lichen die&#x017F;es Vermögen nicht ab&#x017F;prechen: So i&#x017F;t<lb/>
die Möglichkeit, Gottes Da&#x017F;eyn und &#x017F;eine Voll-<lb/>
kommenheiten aus einem unmittelbaren Unter-<lb/>
richte von ihm zu erkennen, erwie&#x017F;en. Ob es<lb/>
wirklich einen &#x017F;olchen unmittelbaren Unterricht<lb/>
gebe; ob die, welche ver&#x017F;ichern, Gott aus ei-<lb/>
nem &#x017F;olchen Unterrichte zu kennen, Glauben<lb/>
verdienen, die&#x017F;es muß freylich aus andern Grün-<lb/>
den be&#x017F;tätigt werden; aber wir dürfen darum<lb/>
nicht läugnen, daß der Men&#x017F;ch überhaupt keine<lb/>
gewi&#x017F;&#x017F;e und gegründete Erkenntniß von Gott ha-<lb/>
ben könnte, wenn er nicht er&#x017F;t aus &#x017F;einen Wer-<lb/>
ken &#x017F;ein Da&#x017F;eyn und &#x017F;eine Vollkommenheiten er-<lb/>
kannt hätte.</p><lb/>
        <fw place="bottom" type="sig">E 2</fw>
        <fw place="bottom" type="catch">Jch</fw><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[67/0081] Werke nachgedacht und aus der Beſchaffenheit und Einrichtung derſelben auf die Erkenntniß ei- ner ewigen unendlich weiſen und gütigen Urſache aller Dinge gekommen wäre, ſondern mitten in ſeinen Wundern in einer völligen Unwiſſenheit Gottes lebte, und ſein Daſeyn und ſeine herrli- chen Eigenſchaften nicht einmal vermuthete, nicht die Vorſtellung ſowohl von dem einen als von dem andern in ihm wirken können, ohne ihn erſt auf ſeine Werke aufmerkſam zu machen, und zwar eine ſo lebhafte, gewiſſe und unveränderliche Vorſtellung, daß er an der Wahrheit derſelben nicht zweifeln könnte? Dürfen wir dem Unend- lichen dieſes Vermögen nicht abſprechen: So iſt die Möglichkeit, Gottes Daſeyn und ſeine Voll- kommenheiten aus einem unmittelbaren Unter- richte von ihm zu erkennen, erwieſen. Ob es wirklich einen ſolchen unmittelbaren Unterricht gebe; ob die, welche verſichern, Gott aus ei- nem ſolchen Unterrichte zu kennen, Glauben verdienen, dieſes muß freylich aus andern Grün- den beſtätigt werden; aber wir dürfen darum nicht läugnen, daß der Menſch überhaupt keine gewiſſe und gegründete Erkenntniß von Gott ha- ben könnte, wenn er nicht erſt aus ſeinen Wer- ken ſein Daſeyn und ſeine Vollkommenheiten er- kannt hätte. Jch E 2

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Matthias Boenig, Yannic Bracke, Benjamin Fiechter, Susanne Haaf, Linda Kirsten, Xi Zhang: Arbeitsschritte im Digitalisierungsworkflow: Vorbereitung der Bildvorlagen für die Textdigitalisierung; Bearbeitung, Konvertierung und ggf. Nachstrukturierung der durch die Grepect GmbH bereitgestellten Texttranskription
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Linda Kirsten, Frauke Thielert, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Erbauungsschriften zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/cramer_andachten01_1764
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/cramer_andachten01_1764/81
Zitationshilfe: Cramer, Johann Andreas: Andachten in Betrachtungen, Gebeten und Liedern über Gott, seine Eigenschaften und Werke. Erster Theil. Schleßwig, 1764, S. 67. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/cramer_andachten01_1764/81>, abgerufen am 28.11.2024.