Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Cramer, Johann Andreas: Andachten in Betrachtungen, Gebeten und Liedern über Gott, seine Eigenschaften und Werke. Erster Theil. Schleßwig, 1764.

Bild:
<< vorherige Seite


Und wenn ich Ewigkeiten über ihn nach-
denke, so ist er viel zu erhaben, als daß ich ihn
jemals mit meinen Vorstellungen erreichen kann.
Diese Wahrheit soll mich demüthigen, aber nicht
niederschlagen; sie soll mich nicht abschrecken,
sondern aufmuntern, immer mehr von ihm zu
lernen. Meine Erkenntnisse werden immer unter
die Hoheit seines Wesens erniedrigt bleiben; aber
eben deswegen können sie immer richtiger, deut-
licher, ausgebreiteter und vollkommner werden;
ich kann ohne Aufhören in seiner Erkenntniß
wachsen; folglich steht mir in der Betrachtung
seiner Unendlichkeit eine unerschöpfliche Quelle
von Glückseeligkeit und Freude offen.

Aber woher kann ich Gott erkennen? Giebt
es ein helles und zuverläßiges Licht, welches uns
den Weg zu seiner Erkenntniß zeigt? Oder sind
wir vielleicht der Gefahr unterworfen, daß wir
ihn suchen und nicht finden? Das sey ferne, zu
glauben, daß er uns einen zu seiner Erkenntniß
fähigen Verstand gegeben und doch die hinläng-
lichen Mittel derselben verweigert hätte. Nein
er hat sich uns, ob er gleich seinem innern Wesen
und der Unendlichkeit seiner Vollkommenheiten
nach ein verborgner Gott ist, in seinen Werken
offenbaret; er hat, so groß und herrlich ist seine

Güte


Und wenn ich Ewigkeiten über ihn nach-
denke, ſo iſt er viel zu erhaben, als daß ich ihn
jemals mit meinen Vorſtellungen erreichen kann.
Dieſe Wahrheit ſoll mich demüthigen, aber nicht
niederſchlagen; ſie ſoll mich nicht abſchrecken,
ſondern aufmuntern, immer mehr von ihm zu
lernen. Meine Erkenntniſſe werden immer unter
die Hoheit ſeines Weſens erniedrigt bleiben; aber
eben deswegen können ſie immer richtiger, deut-
licher, ausgebreiteter und vollkommner werden;
ich kann ohne Aufhören in ſeiner Erkenntniß
wachſen; folglich ſteht mir in der Betrachtung
ſeiner Unendlichkeit eine unerſchöpfliche Quelle
von Glückſeeligkeit und Freude offen.

Aber woher kann ich Gott erkennen? Giebt
es ein helles und zuverläßiges Licht, welches uns
den Weg zu ſeiner Erkenntniß zeigt? Oder ſind
wir vielleicht der Gefahr unterworfen, daß wir
ihn ſuchen und nicht finden? Das ſey ferne, zu
glauben, daß er uns einen zu ſeiner Erkenntniß
fähigen Verſtand gegeben und doch die hinläng-
lichen Mittel derſelben verweigert hätte. Nein
er hat ſich uns, ob er gleich ſeinem innern Weſen
und der Unendlichkeit ſeiner Vollkommenheiten
nach ein verborgner Gott iſt, in ſeinen Werken
offenbaret; er hat, ſo groß und herrlich iſt ſeine

Güte
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0077" n="63"/>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        <p>Und wenn ich Ewigkeiten über ihn nach-<lb/>
denke, &#x017F;o i&#x017F;t er viel zu erhaben, als daß ich ihn<lb/>
jemals mit meinen Vor&#x017F;tellungen erreichen kann.<lb/>
Die&#x017F;e Wahrheit &#x017F;oll mich demüthigen, aber nicht<lb/>
nieder&#x017F;chlagen; &#x017F;ie &#x017F;oll mich nicht ab&#x017F;chrecken,<lb/>
&#x017F;ondern aufmuntern, immer mehr von ihm zu<lb/>
lernen. Meine Erkenntni&#x017F;&#x017F;e werden immer unter<lb/>
die Hoheit &#x017F;eines We&#x017F;ens erniedrigt bleiben; aber<lb/>
eben deswegen können &#x017F;ie immer richtiger, deut-<lb/>
licher, ausgebreiteter und vollkommner werden;<lb/>
ich kann ohne Aufhören in &#x017F;einer Erkenntniß<lb/>
wach&#x017F;en; folglich &#x017F;teht mir in der Betrachtung<lb/>
&#x017F;einer Unendlichkeit eine uner&#x017F;chöpfliche Quelle<lb/>
von Glück&#x017F;eeligkeit und Freude offen.</p><lb/>
        <p>Aber woher kann ich Gott erkennen? Giebt<lb/>
es ein helles und zuverläßiges Licht, welches uns<lb/>
den Weg zu &#x017F;einer Erkenntniß zeigt? Oder &#x017F;ind<lb/>
wir vielleicht der Gefahr unterworfen, daß wir<lb/>
ihn &#x017F;uchen und nicht finden? Das &#x017F;ey ferne, zu<lb/>
glauben, daß er uns einen zu &#x017F;einer Erkenntniß<lb/>
fähigen Ver&#x017F;tand gegeben und doch die hinläng-<lb/>
lichen Mittel der&#x017F;elben verweigert hätte. Nein<lb/>
er hat &#x017F;ich uns, ob er gleich &#x017F;einem innern We&#x017F;en<lb/>
und der Unendlichkeit &#x017F;einer Vollkommenheiten<lb/>
nach ein verborgner Gott i&#x017F;t, in &#x017F;einen Werken<lb/>
offenbaret; er hat, &#x017F;o groß und herrlich i&#x017F;t &#x017F;eine<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">Güte</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[63/0077] Und wenn ich Ewigkeiten über ihn nach- denke, ſo iſt er viel zu erhaben, als daß ich ihn jemals mit meinen Vorſtellungen erreichen kann. Dieſe Wahrheit ſoll mich demüthigen, aber nicht niederſchlagen; ſie ſoll mich nicht abſchrecken, ſondern aufmuntern, immer mehr von ihm zu lernen. Meine Erkenntniſſe werden immer unter die Hoheit ſeines Weſens erniedrigt bleiben; aber eben deswegen können ſie immer richtiger, deut- licher, ausgebreiteter und vollkommner werden; ich kann ohne Aufhören in ſeiner Erkenntniß wachſen; folglich ſteht mir in der Betrachtung ſeiner Unendlichkeit eine unerſchöpfliche Quelle von Glückſeeligkeit und Freude offen. Aber woher kann ich Gott erkennen? Giebt es ein helles und zuverläßiges Licht, welches uns den Weg zu ſeiner Erkenntniß zeigt? Oder ſind wir vielleicht der Gefahr unterworfen, daß wir ihn ſuchen und nicht finden? Das ſey ferne, zu glauben, daß er uns einen zu ſeiner Erkenntniß fähigen Verſtand gegeben und doch die hinläng- lichen Mittel derſelben verweigert hätte. Nein er hat ſich uns, ob er gleich ſeinem innern Weſen und der Unendlichkeit ſeiner Vollkommenheiten nach ein verborgner Gott iſt, in ſeinen Werken offenbaret; er hat, ſo groß und herrlich iſt ſeine Güte

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Matthias Boenig, Yannic Bracke, Benjamin Fiechter, Susanne Haaf, Linda Kirsten, Xi Zhang: Arbeitsschritte im Digitalisierungsworkflow: Vorbereitung der Bildvorlagen für die Textdigitalisierung; Bearbeitung, Konvertierung und ggf. Nachstrukturierung der durch die Grepect GmbH bereitgestellten Texttranskription
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Linda Kirsten, Frauke Thielert, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Erbauungsschriften zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/cramer_andachten01_1764
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/cramer_andachten01_1764/77
Zitationshilfe: Cramer, Johann Andreas: Andachten in Betrachtungen, Gebeten und Liedern über Gott, seine Eigenschaften und Werke. Erster Theil. Schleßwig, 1764, S. 63. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/cramer_andachten01_1764/77>, abgerufen am 25.11.2024.