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Cramer, Johann Andreas: Andachten in Betrachtungen, Gebeten und Liedern über Gott, seine Eigenschaften und Werke. Erster Theil. Schleßwig, 1764.

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Werke so vollkommen: Wie herrlich muß der
nicht seyn, der sie gemacht hat? Jst die Schön-
heit dessen, was er geschaffen hat, so unermeß-
lich groß, so ist der unaussprechlich grösser, der
die Schöpfung mit Einem Gedanken umspannt?
Hat die Sonne einen Glanz, den meine Augen
nicht ertragen können: So darf ich mich nicht
verwundern, daß der, der sie angezündet hat, in
einem Lichte wohnt, worinnen ihn kein Mensch
gesehen hat und sehen wird. Sollte er weniger
wunderbar seyn, als das, was seine Hand gebil-
det hat? Je wunderbarer seine Werke sind, desto
mehr muß er selbst mein Erstaunen verdienen.
Wären wir fähig ihn ganz zu fassen, so würde er
nicht Gott, oder wir würden nicht Menschen
seyn. Von diesem Gegenstande ist nichts wahr,
als was uns in ein ewiges Erstaunen sezt.

Jch stehe in der stillen Mitternacht auf,
wo die Aufmerksamkeit meines Geistes weder
durch das Geräusch der Eitelkeit außer mir, noch
durch die Unruhe der Arbeit, der Sorge und der
Leidenschaft in mir gestört wird, und verliere
mich in dem Anblicke des gestirnten Himmels,
wo nun statt einer Sonne am Tage, zehntausend
und noch mehr Sonnen in einer unermeßlichen

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C 5



Werke ſo vollkommen: Wie herrlich muß der
nicht ſeyn, der ſie gemacht hat? Jſt die Schön-
heit deſſen, was er geſchaffen hat, ſo unermeß-
lich groß, ſo iſt der unausſprechlich gröſſer, der
die Schöpfung mit Einem Gedanken umſpannt?
Hat die Sonne einen Glanz, den meine Augen
nicht ertragen können: So darf ich mich nicht
verwundern, daß der, der ſie angezündet hat, in
einem Lichte wohnt, worinnen ihn kein Menſch
geſehen hat und ſehen wird. Sollte er weniger
wunderbar ſeyn, als das, was ſeine Hand gebil-
det hat? Je wunderbarer ſeine Werke ſind, deſto
mehr muß er ſelbſt mein Erſtaunen verdienen.
Wären wir fähig ihn ganz zu faſſen, ſo würde er
nicht Gott, oder wir würden nicht Menſchen
ſeyn. Von dieſem Gegenſtande iſt nichts wahr,
als was uns in ein ewiges Erſtaunen ſezt.

Jch ſtehe in der ſtillen Mitternacht auf,
wo die Aufmerkſamkeit meines Geiſtes weder
durch das Geräuſch der Eitelkeit außer mir, noch
durch die Unruhe der Arbeit, der Sorge und der
Leidenſchaft in mir geſtört wird, und verliere
mich in dem Anblicke des geſtirnten Himmels,
wo nun ſtatt einer Sonne am Tage, zehntauſend
und noch mehr Sonnen in einer unermeßlichen

Ent-
C 5
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[41/0055] Werke ſo vollkommen: Wie herrlich muß der nicht ſeyn, der ſie gemacht hat? Jſt die Schön- heit deſſen, was er geſchaffen hat, ſo unermeß- lich groß, ſo iſt der unausſprechlich gröſſer, der die Schöpfung mit Einem Gedanken umſpannt? Hat die Sonne einen Glanz, den meine Augen nicht ertragen können: So darf ich mich nicht verwundern, daß der, der ſie angezündet hat, in einem Lichte wohnt, worinnen ihn kein Menſch geſehen hat und ſehen wird. Sollte er weniger wunderbar ſeyn, als das, was ſeine Hand gebil- det hat? Je wunderbarer ſeine Werke ſind, deſto mehr muß er ſelbſt mein Erſtaunen verdienen. Wären wir fähig ihn ganz zu faſſen, ſo würde er nicht Gott, oder wir würden nicht Menſchen ſeyn. Von dieſem Gegenſtande iſt nichts wahr, als was uns in ein ewiges Erſtaunen ſezt. Jch ſtehe in der ſtillen Mitternacht auf, wo die Aufmerkſamkeit meines Geiſtes weder durch das Geräuſch der Eitelkeit außer mir, noch durch die Unruhe der Arbeit, der Sorge und der Leidenſchaft in mir geſtört wird, und verliere mich in dem Anblicke des geſtirnten Himmels, wo nun ſtatt einer Sonne am Tage, zehntauſend und noch mehr Sonnen in einer unermeßlichen Ent- C 5

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Zitationshilfe: Cramer, Johann Andreas: Andachten in Betrachtungen, Gebeten und Liedern über Gott, seine Eigenschaften und Werke. Erster Theil. Schleßwig, 1764, S. 41. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/cramer_andachten01_1764/55>, abgerufen am 02.10.2024.