Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Cramer, Johann Andreas: Andachten in Betrachtungen, Gebeten und Liedern über Gott, seine Eigenschaften und Werke. Erster Theil. Schleßwig, 1764.

Bild:
<< vorherige Seite

Eben so wenig kann das einzige selbstständi-
ge und unabhängige Wesen aufhören zu seyn.
Die Ursache, warum ein Wesen aufhört, muß
entweder in ihm selbst, oder in einem andern We-
sen liegen. Es muß aufhören, entweder weil
seine eigne Kraft zur beständigen Fortdauer nicht
zureicht, oder weil sein Daseyn von einer andern
ihm überlegnen Kraft aufgehoben und zernichtet
wird. Kann aber die wesentliche Kraft des ein-
zigen selbstständigen Wesens zur beständigen Fort-
dauer erschöpft werden, oder könnte es selbststän-
dig, unabhängig, ununterworfen seyn, wenn es
eine ihm überlegne Gewalt außer ihm gäbe? Gott
ist also ewig nicht allein ohne ein wirkliches Ende,
sondern es muß sich auch ein mögliches Ende des-
selben nicht einmal ohne Widerspruch denken
lassen.

Gott ist das einzige nothwendige Wesen;
das Wesen, das nicht anders seyn kann, als es
ist und seyn wird. Was ist denn unwidersprech-
licher, als der Schluß: Dasjenige, was nicht
anders beschaffen seyn kann, als es beschaffen ist,
kann auch keinen Anfang und kein Ende haben;
in dem kann auch keine Veränderung und Ab-
wechslung möglich seyn? Denn dazu gehört die

Mög-

Eben ſo wenig kann das einzige ſelbſtſtändi-
ge und unabhängige Weſen aufhören zu ſeyn.
Die Urſache, warum ein Weſen aufhört, muß
entweder in ihm ſelbſt, oder in einem andern We-
ſen liegen. Es muß aufhören, entweder weil
ſeine eigne Kraft zur beſtändigen Fortdauer nicht
zureicht, oder weil ſein Daſeyn von einer andern
ihm überlegnen Kraft aufgehoben und zernichtet
wird. Kann aber die weſentliche Kraft des ein-
zigen ſelbſtſtändigen Weſens zur beſtändigen Fort-
dauer erſchöpft werden, oder könnte es ſelbſtſtän-
dig, unabhängig, ununterworfen ſeyn, wenn es
eine ihm überlegne Gewalt außer ihm gäbe? Gott
iſt alſo ewig nicht allein ohne ein wirkliches Ende,
ſondern es muß ſich auch ein mögliches Ende deſ-
ſelben nicht einmal ohne Widerſpruch denken
laſſen.

Gott iſt das einzige nothwendige Weſen;
das Weſen, das nicht anders ſeyn kann, als es
iſt und ſeyn wird. Was iſt denn unwiderſprech-
licher, als der Schluß: Dasjenige, was nicht
anders beſchaffen ſeyn kann, als es beſchaffen iſt,
kann auch keinen Anfang und kein Ende haben;
in dem kann auch keine Veränderung und Ab-
wechslung möglich ſeyn? Denn dazu gehört die

Mög-
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0410" n="396"/>
        <p>Eben &#x017F;o wenig kann das einzige &#x017F;elb&#x017F;t&#x017F;tändi-<lb/>
ge und unabhängige We&#x017F;en aufhören zu &#x017F;eyn.<lb/>
Die Ur&#x017F;ache, warum ein We&#x017F;en aufhört, muß<lb/>
entweder in ihm &#x017F;elb&#x017F;t, oder in einem andern We-<lb/>
&#x017F;en liegen. Es muß aufhören, entweder weil<lb/>
&#x017F;eine eigne Kraft zur be&#x017F;tändigen Fortdauer nicht<lb/>
zureicht, oder weil &#x017F;ein Da&#x017F;eyn von einer andern<lb/>
ihm überlegnen Kraft aufgehoben und zernichtet<lb/>
wird. Kann aber die we&#x017F;entliche Kraft des ein-<lb/>
zigen &#x017F;elb&#x017F;t&#x017F;tändigen We&#x017F;ens zur be&#x017F;tändigen Fort-<lb/>
dauer er&#x017F;chöpft werden, oder könnte es &#x017F;elb&#x017F;t&#x017F;tän-<lb/>
dig, unabhängig, ununterworfen &#x017F;eyn, wenn es<lb/>
eine ihm überlegne Gewalt außer ihm gäbe? Gott<lb/>
i&#x017F;t al&#x017F;o ewig nicht allein ohne ein wirkliches Ende,<lb/>
&#x017F;ondern es muß &#x017F;ich auch ein mögliches Ende de&#x017F;-<lb/>
&#x017F;elben nicht einmal ohne Wider&#x017F;pruch denken<lb/>
la&#x017F;&#x017F;en.</p><lb/>
        <p>Gott i&#x017F;t das einzige nothwendige We&#x017F;en;<lb/>
das We&#x017F;en, das nicht anders &#x017F;eyn kann, als es<lb/>
i&#x017F;t und &#x017F;eyn wird. Was i&#x017F;t denn unwider&#x017F;prech-<lb/>
licher, als der Schluß: Dasjenige, was nicht<lb/>
anders be&#x017F;chaffen &#x017F;eyn kann, als es be&#x017F;chaffen i&#x017F;t,<lb/>
kann auch keinen Anfang und kein Ende haben;<lb/>
in dem kann auch keine Veränderung und Ab-<lb/>
wechslung möglich &#x017F;eyn? Denn dazu gehört die<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">Mög-</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[396/0410] Eben ſo wenig kann das einzige ſelbſtſtändi- ge und unabhängige Weſen aufhören zu ſeyn. Die Urſache, warum ein Weſen aufhört, muß entweder in ihm ſelbſt, oder in einem andern We- ſen liegen. Es muß aufhören, entweder weil ſeine eigne Kraft zur beſtändigen Fortdauer nicht zureicht, oder weil ſein Daſeyn von einer andern ihm überlegnen Kraft aufgehoben und zernichtet wird. Kann aber die weſentliche Kraft des ein- zigen ſelbſtſtändigen Weſens zur beſtändigen Fort- dauer erſchöpft werden, oder könnte es ſelbſtſtän- dig, unabhängig, ununterworfen ſeyn, wenn es eine ihm überlegne Gewalt außer ihm gäbe? Gott iſt alſo ewig nicht allein ohne ein wirkliches Ende, ſondern es muß ſich auch ein mögliches Ende deſ- ſelben nicht einmal ohne Widerſpruch denken laſſen. Gott iſt das einzige nothwendige Weſen; das Weſen, das nicht anders ſeyn kann, als es iſt und ſeyn wird. Was iſt denn unwiderſprech- licher, als der Schluß: Dasjenige, was nicht anders beſchaffen ſeyn kann, als es beſchaffen iſt, kann auch keinen Anfang und kein Ende haben; in dem kann auch keine Veränderung und Ab- wechslung möglich ſeyn? Denn dazu gehört die Mög-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Matthias Boenig, Yannic Bracke, Benjamin Fiechter, Susanne Haaf, Linda Kirsten, Xi Zhang: Arbeitsschritte im Digitalisierungsworkflow: Vorbereitung der Bildvorlagen für die Textdigitalisierung; Bearbeitung, Konvertierung und ggf. Nachstrukturierung der durch die Grepect GmbH bereitgestellten Texttranskription
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Linda Kirsten, Frauke Thielert, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Erbauungsschriften zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/cramer_andachten01_1764
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/cramer_andachten01_1764/410
Zitationshilfe: Cramer, Johann Andreas: Andachten in Betrachtungen, Gebeten und Liedern über Gott, seine Eigenschaften und Werke. Erster Theil. Schleßwig, 1764, S. 396. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/cramer_andachten01_1764/410>, abgerufen am 17.06.2024.