Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Cramer, Johann Andreas: Andachten in Betrachtungen, Gebeten und Liedern über Gott, seine Eigenschaften und Werke. Erster Theil. Schleßwig, 1764.

Bild:
<< vorherige Seite

derte? Und wenn ich unedel genug seyn könnte,
mir alles dieses zu erlauben, würde ich nicht wi-
der meine eigne Wohlfarth wüten? Würde nicht
Feindschaft, Haß, Härte, Grausamkeit und
Grimm erzeugen und mich in unzählbare Gefah-
ren stürzen? Würde ich mich nicht immer mit
Feinden und Betrügern umringt sehen, die,
wenn ich besondrer glücklicher Umstände wegen
mächtiger, als sie wäre, nur auf die Gelegen-
heit lauerten, mir Gleiches mit Gleichem zu ver-
gelten, und alle ihre Kräfte und Bemühungen
zu meinem Verderben anzuwenden? Die natür-
lichen und gewöhnlichen Folgen aller Laster wider
die Rechte und Befugnisse meiner Nebenmenschen
sind Verdruß, Misvergnügen und gemeinschaft-
liches Elend. Welch eine Wohnung der Zufrie-
denheit und Freude wäre der Erdkreis, wenn alle
Menschen gütig und liebreich gegen einander ge-
sinnet wären, und jeder sein Geschäffte daraus
machte, das Beste des andern zu befördern!
Werde ich nicht dadurch überzeugt, daß ich von
dem Urheber meiner Natur bestimmt sey, seine
Ehre und meine Glückseeligkeit durch die Hand-
lungen einer wahren Menschenliebe, der Gerech-
tigkeit, Billigkeit und Güte zu befördern; daß er
an denen, welche wider die besondre und gemein-
schaftliche Wohlfarth der Menschen streiten, ein

seinen

derte? Und wenn ich unedel genug ſeyn könnte,
mir alles dieſes zu erlauben, würde ich nicht wi-
der meine eigne Wohlfarth wüten? Würde nicht
Feindſchaft, Haß, Härte, Grauſamkeit und
Grimm erzeugen und mich in unzählbare Gefah-
ren ſtürzen? Würde ich mich nicht immer mit
Feinden und Betrügern umringt ſehen, die,
wenn ich beſondrer glücklicher Umſtände wegen
mächtiger, als ſie wäre, nur auf die Gelegen-
heit lauerten, mir Gleiches mit Gleichem zu ver-
gelten, und alle ihre Kräfte und Bemühungen
zu meinem Verderben anzuwenden? Die natür-
lichen und gewöhnlichen Folgen aller Laſter wider
die Rechte und Befugniſſe meiner Nebenmenſchen
ſind Verdruß, Misvergnügen und gemeinſchaft-
liches Elend. Welch eine Wohnung der Zufrie-
denheit und Freude wäre der Erdkreis, wenn alle
Menſchen gütig und liebreich gegen einander ge-
ſinnet wären, und jeder ſein Geſchäffte daraus
machte, das Beſte des andern zu befördern!
Werde ich nicht dadurch überzeugt, daß ich von
dem Urheber meiner Natur beſtimmt ſey, ſeine
Ehre und meine Glückſeeligkeit durch die Hand-
lungen einer wahren Menſchenliebe, der Gerech-
tigkeit, Billigkeit und Güte zu befördern; daß er
an denen, welche wider die beſondre und gemein-
ſchaftliche Wohlfarth der Menſchen ſtreiten, ein

ſeinen
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0330" n="316"/>
derte? Und wenn ich unedel genug &#x017F;eyn könnte,<lb/>
mir alles die&#x017F;es zu erlauben, würde ich nicht wi-<lb/>
der meine eigne Wohlfarth wüten? Würde nicht<lb/>
Feind&#x017F;chaft, Haß, Härte, Grau&#x017F;amkeit und<lb/>
Grimm erzeugen und mich in unzählbare Gefah-<lb/>
ren &#x017F;türzen? Würde ich mich nicht immer mit<lb/>
Feinden und Betrügern umringt &#x017F;ehen, die,<lb/>
wenn ich be&#x017F;ondrer glücklicher Um&#x017F;tände wegen<lb/>
mächtiger, als &#x017F;ie wäre, nur auf die Gelegen-<lb/>
heit lauerten, mir Gleiches mit Gleichem zu ver-<lb/>
gelten, und alle ihre Kräfte und Bemühungen<lb/>
zu meinem Verderben anzuwenden? Die natür-<lb/>
lichen und gewöhnlichen Folgen aller La&#x017F;ter wider<lb/>
die Rechte und Befugni&#x017F;&#x017F;e meiner Nebenmen&#x017F;chen<lb/>
&#x017F;ind Verdruß, Misvergnügen und gemein&#x017F;chaft-<lb/>
liches Elend. Welch eine Wohnung der Zufrie-<lb/>
denheit und Freude wäre der Erdkreis, wenn alle<lb/>
Men&#x017F;chen gütig und liebreich gegen einander ge-<lb/>
&#x017F;innet wären, und jeder &#x017F;ein Ge&#x017F;chäffte daraus<lb/>
machte, das Be&#x017F;te des andern zu befördern!<lb/>
Werde ich nicht dadurch überzeugt, daß ich von<lb/>
dem Urheber meiner Natur be&#x017F;timmt &#x017F;ey, &#x017F;eine<lb/>
Ehre und meine Glück&#x017F;eeligkeit durch die Hand-<lb/>
lungen einer wahren Men&#x017F;chenliebe, der Gerech-<lb/>
tigkeit, Billigkeit und Güte zu befördern; daß er<lb/>
an denen, welche wider die be&#x017F;ondre und gemein-<lb/>
&#x017F;chaftliche Wohlfarth der Men&#x017F;chen &#x017F;treiten, ein<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">&#x017F;einen</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[316/0330] derte? Und wenn ich unedel genug ſeyn könnte, mir alles dieſes zu erlauben, würde ich nicht wi- der meine eigne Wohlfarth wüten? Würde nicht Feindſchaft, Haß, Härte, Grauſamkeit und Grimm erzeugen und mich in unzählbare Gefah- ren ſtürzen? Würde ich mich nicht immer mit Feinden und Betrügern umringt ſehen, die, wenn ich beſondrer glücklicher Umſtände wegen mächtiger, als ſie wäre, nur auf die Gelegen- heit lauerten, mir Gleiches mit Gleichem zu ver- gelten, und alle ihre Kräfte und Bemühungen zu meinem Verderben anzuwenden? Die natür- lichen und gewöhnlichen Folgen aller Laſter wider die Rechte und Befugniſſe meiner Nebenmenſchen ſind Verdruß, Misvergnügen und gemeinſchaft- liches Elend. Welch eine Wohnung der Zufrie- denheit und Freude wäre der Erdkreis, wenn alle Menſchen gütig und liebreich gegen einander ge- ſinnet wären, und jeder ſein Geſchäffte daraus machte, das Beſte des andern zu befördern! Werde ich nicht dadurch überzeugt, daß ich von dem Urheber meiner Natur beſtimmt ſey, ſeine Ehre und meine Glückſeeligkeit durch die Hand- lungen einer wahren Menſchenliebe, der Gerech- tigkeit, Billigkeit und Güte zu befördern; daß er an denen, welche wider die beſondre und gemein- ſchaftliche Wohlfarth der Menſchen ſtreiten, ein ſeinen

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Matthias Boenig, Yannic Bracke, Benjamin Fiechter, Susanne Haaf, Linda Kirsten, Xi Zhang: Arbeitsschritte im Digitalisierungsworkflow: Vorbereitung der Bildvorlagen für die Textdigitalisierung; Bearbeitung, Konvertierung und ggf. Nachstrukturierung der durch die Grepect GmbH bereitgestellten Texttranskription
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Linda Kirsten, Frauke Thielert, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Erbauungsschriften zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/cramer_andachten01_1764
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/cramer_andachten01_1764/330
Zitationshilfe: Cramer, Johann Andreas: Andachten in Betrachtungen, Gebeten und Liedern über Gott, seine Eigenschaften und Werke. Erster Theil. Schleßwig, 1764, S. 316. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/cramer_andachten01_1764/330>, abgerufen am 22.11.2024.