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Cramer, Johann Andreas: Andachten in Betrachtungen, Gebeten und Liedern über Gott, seine Eigenschaften und Werke. Erster Theil. Schleßwig, 1764.

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für frey. Wie viel Wunderbares und Unbegreif-
liches ist nicht in meinem Willen! Jch kann ei-
nerley Handlungen bald unterlassen, bald thun;
ich habe mannichfaltige Neigungen, von denen
einige bald stärker bald schwächer sind, oder wer-
den können. Zuweilen wechseln sie mit einander
ab; zuweilen hat eine einzige die Herrschaft. Oft
ist dasjenige, was ich begehre, ein sinnliches und
gegenwärtiges Gut, und leider hat dieses gemei-
niglich die stärksten Reizungen für meinen Wil-
len. Aber zuweilen kann ich auch Güter mit star-
ker Lebhaftigkeit verlangen, welche der Zeit nach
weit von mir entfernt sind, und keine Gemein-
schaft mit meinen Sinnen haben. Jch hoffe sie;
ich fürchte das Gegentheil; ich unternehme die
beschwerlichsten Handlungen, die mir Mittel zum
künftigen Besitze dieser entfernten Güter zu seyn
scheinen; ich überwinde den Widerstand andrer
Neigungen, die mich daran hindern wollen, durch
bewegende Gründe und Aufmunterungen man-
nichfaltiger Art. Der Wille ist es, durch den
ich einen so ausgebreiteten Einfluß in die Welt
habe; der Wille ist es, durch den ich der Lust
und des Schmerzes, des Vergnügens und der
Traurigkeit, der Glückseeligkeit und der Unglück-
seeligkeit fähig bin. Ohne dieses nach Vernunft
wirkende Vermögen kennte ich weder Verlangen

noch
T 4

für frey. Wie viel Wunderbares und Unbegreif-
liches iſt nicht in meinem Willen! Jch kann ei-
nerley Handlungen bald unterlaſſen, bald thun;
ich habe mannichfaltige Neigungen, von denen
einige bald ſtärker bald ſchwächer ſind, oder wer-
den können. Zuweilen wechſeln ſie mit einander
ab; zuweilen hat eine einzige die Herrſchaft. Oft
iſt dasjenige, was ich begehre, ein ſinnliches und
gegenwärtiges Gut, und leider hat dieſes gemei-
niglich die ſtärkſten Reizungen für meinen Wil-
len. Aber zuweilen kann ich auch Güter mit ſtar-
ker Lebhaftigkeit verlangen, welche der Zeit nach
weit von mir entfernt ſind, und keine Gemein-
ſchaft mit meinen Sinnen haben. Jch hoffe ſie;
ich fürchte das Gegentheil; ich unternehme die
beſchwerlichſten Handlungen, die mir Mittel zum
künftigen Beſitze dieſer entfernten Güter zu ſeyn
ſcheinen; ich überwinde den Widerſtand andrer
Neigungen, die mich daran hindern wollen, durch
bewegende Gründe und Aufmunterungen man-
nichfaltiger Art. Der Wille iſt es, durch den
ich einen ſo ausgebreiteten Einfluß in die Welt
habe; der Wille iſt es, durch den ich der Luſt
und des Schmerzes, des Vergnügens und der
Traurigkeit, der Glückſeeligkeit und der Unglück-
ſeeligkeit fähig bin. Ohne dieſes nach Vernunft
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[295/0309] für frey. Wie viel Wunderbares und Unbegreif- liches iſt nicht in meinem Willen! Jch kann ei- nerley Handlungen bald unterlaſſen, bald thun; ich habe mannichfaltige Neigungen, von denen einige bald ſtärker bald ſchwächer ſind, oder wer- den können. Zuweilen wechſeln ſie mit einander ab; zuweilen hat eine einzige die Herrſchaft. Oft iſt dasjenige, was ich begehre, ein ſinnliches und gegenwärtiges Gut, und leider hat dieſes gemei- niglich die ſtärkſten Reizungen für meinen Wil- len. Aber zuweilen kann ich auch Güter mit ſtar- ker Lebhaftigkeit verlangen, welche der Zeit nach weit von mir entfernt ſind, und keine Gemein- ſchaft mit meinen Sinnen haben. Jch hoffe ſie; ich fürchte das Gegentheil; ich unternehme die beſchwerlichſten Handlungen, die mir Mittel zum künftigen Beſitze dieſer entfernten Güter zu ſeyn ſcheinen; ich überwinde den Widerſtand andrer Neigungen, die mich daran hindern wollen, durch bewegende Gründe und Aufmunterungen man- nichfaltiger Art. Der Wille iſt es, durch den ich einen ſo ausgebreiteten Einfluß in die Welt habe; der Wille iſt es, durch den ich der Luſt und des Schmerzes, des Vergnügens und der Traurigkeit, der Glückſeeligkeit und der Unglück- ſeeligkeit fähig bin. Ohne dieſes nach Vernunft wirkende Vermögen kennte ich weder Verlangen noch T 4

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Zitationshilfe: Cramer, Johann Andreas: Andachten in Betrachtungen, Gebeten und Liedern über Gott, seine Eigenschaften und Werke. Erster Theil. Schleßwig, 1764, S. 295. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/cramer_andachten01_1764/309>, abgerufen am 22.11.2024.