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Cramer, Johann Andreas: Andachten in Betrachtungen, Gebeten und Liedern über Gott, seine Eigenschaften und Werke. Erster Theil. Schleßwig, 1764.

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nothwendige Wesen, von dem alles ist, sollte ei-
ne blinde unverständige Ursache seyn, die ihre
Thätigkeit ohne Absicht, ohne Regel und Ent-
wurf geäußert hätte! Kann man sich eine grössere
Thorheit denken als eine solche allen Sinnen und al-
ler Erfahrung so sehr widersprechende Einbildung?

Entweder die erste, nothwendige, ewige
und selbstständige Ursache aller Dinge ist ein ver-
ständiges Wesen, welches nach Absichten und
Regeln in allen seinen Handlungen verfährt,
oder wir müßten wider unsre Sinne und Erfah-
rungen, wider die ganze innerliche Einrichtung
unsers Verstandes annehmen, daß alle einzelnen
Dinge und Elemente, aus denen die Welt be-
steht, Verstand hätten, sich ihrer selbst bewußt
wären, und mit Ueberlegung und Wahl wirkten.
Die Sonne müßte beschlossen haben, keine andre
Bewegung, Lage und Figur, und Beschaffenheit
zu haben, als diejenige, welche mit den Wirkun-
gen und Absichten übereinkömmt, die dadurch er-
reicht werden. Eben dieses müßte von dem
Lichte, der Luft, dem Feuer, dem Wasser, dem
ganzen Erdboden und allen seinen verschiednen
Theilen behauptet werden. Man müßte noch
mehr annehmen und glauben, alle diese körperli-
chen Dinge kennten einander, hätten sich mit

einan-

nothwendige Weſen, von dem alles iſt, ſollte ei-
ne blinde unverſtändige Urſache ſeyn, die ihre
Thätigkeit ohne Abſicht, ohne Regel und Ent-
wurf geäußert hätte! Kann man ſich eine gröſſere
Thorheit denken als eine ſolche allen Sinnen und al-
ler Erfahrung ſo ſehr widerſprechende Einbildung?

Entweder die erſte, nothwendige, ewige
und ſelbſtſtändige Urſache aller Dinge iſt ein ver-
ſtändiges Weſen, welches nach Abſichten und
Regeln in allen ſeinen Handlungen verfährt,
oder wir müßten wider unſre Sinne und Erfah-
rungen, wider die ganze innerliche Einrichtung
unſers Verſtandes annehmen, daß alle einzelnen
Dinge und Elemente, aus denen die Welt be-
ſteht, Verſtand hätten, ſich ihrer ſelbſt bewußt
wären, und mit Ueberlegung und Wahl wirkten.
Die Sonne müßte beſchloſſen haben, keine andre
Bewegung, Lage und Figur, und Beſchaffenheit
zu haben, als diejenige, welche mit den Wirkun-
gen und Abſichten übereinkömmt, die dadurch er-
reicht werden. Eben dieſes müßte von dem
Lichte, der Luft, dem Feuer, dem Waſſer, dem
ganzen Erdboden und allen ſeinen verſchiednen
Theilen behauptet werden. Man müßte noch
mehr annehmen und glauben, alle dieſe körperli-
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[192/0206] nothwendige Weſen, von dem alles iſt, ſollte ei- ne blinde unverſtändige Urſache ſeyn, die ihre Thätigkeit ohne Abſicht, ohne Regel und Ent- wurf geäußert hätte! Kann man ſich eine gröſſere Thorheit denken als eine ſolche allen Sinnen und al- ler Erfahrung ſo ſehr widerſprechende Einbildung? Entweder die erſte, nothwendige, ewige und ſelbſtſtändige Urſache aller Dinge iſt ein ver- ſtändiges Weſen, welches nach Abſichten und Regeln in allen ſeinen Handlungen verfährt, oder wir müßten wider unſre Sinne und Erfah- rungen, wider die ganze innerliche Einrichtung unſers Verſtandes annehmen, daß alle einzelnen Dinge und Elemente, aus denen die Welt be- ſteht, Verſtand hätten, ſich ihrer ſelbſt bewußt wären, und mit Ueberlegung und Wahl wirkten. Die Sonne müßte beſchloſſen haben, keine andre Bewegung, Lage und Figur, und Beſchaffenheit zu haben, als diejenige, welche mit den Wirkun- gen und Abſichten übereinkömmt, die dadurch er- reicht werden. Eben dieſes müßte von dem Lichte, der Luft, dem Feuer, dem Waſſer, dem ganzen Erdboden und allen ſeinen verſchiednen Theilen behauptet werden. Man müßte noch mehr annehmen und glauben, alle dieſe körperli- chen Dinge kennten einander, hätten ſich mit einan-

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Zitationshilfe: Cramer, Johann Andreas: Andachten in Betrachtungen, Gebeten und Liedern über Gott, seine Eigenschaften und Werke. Erster Theil. Schleßwig, 1764, S. 192. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/cramer_andachten01_1764/206>, abgerufen am 21.11.2024.