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Cramer, Johann Andreas: Andachten in Betrachtungen, Gebeten und Liedern über Gott, seine Eigenschaften und Werke. Erster Theil. Schleßwig, 1764.

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Natur ergründen könnte. Allein wie viele muß
ich nicht entdecken, wenn ich nur sehen, wenn
ich nur einige Aufmerksamkeit brauchen will.
Jch kenne die Natur des Lichtes nicht. Jst es
ein flüßiges Wesen, welches uns und die ganze
Erde umströmt, und um von uns empfunden zu
werden, nur durch die Sonne oder andre flam-
mende Körper erschüttert werden darf? Oder ist
es das Feuer selbst, das uns durch den Ausfluß
seiner unendlich feinen Theile in einer gewissen
Entfernung von uns mit einem sanften Schim-
mer erleuchtet, wie es uns in einem kleinern Ab-
stande verbrennen würde, wenn seine Theile dich-
ter bey einander wären, und deswegen mit einer
grössern Heftigkeit wirkten? Alles das weiß ich
nicht. Aber warum hat es eine so unbegreifliche
Geschwindigkeit und Beweglichkeit auf alle Sei-
ten, als daß unzählbare Gegenstände auf einmal
unzählbaren Augen sichtbar werden möchten?
Jst der Flug seiner Stralen nicht darum so schnell,
damit wir in Geschwindigkeit auch die allereut-
ferntesten Körper wahrnehmen können? Warum
sind die Theile desselben so unendlich fein, als in
der Absicht, auch in den unaussprechlich kleinen
Augen die Bilder der Dinge sichtbar zu machen,
die sie sehen müssen, um ihre Bestimmung zu erfül-
len? Warum sind sie nicht dichter beysammen,

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Natur ergründen könnte. Allein wie viele muß
ich nicht entdecken, wenn ich nur ſehen, wenn
ich nur einige Aufmerkſamkeit brauchen will.
Jch kenne die Natur des Lichtes nicht. Jſt es
ein flüßiges Weſen, welches uns und die ganze
Erde umſtrömt, und um von uns empfunden zu
werden, nur durch die Sonne oder andre flam-
mende Körper erſchüttert werden darf? Oder iſt
es das Feuer ſelbſt, das uns durch den Ausfluß
ſeiner unendlich feinen Theile in einer gewiſſen
Entfernung von uns mit einem ſanften Schim-
mer erleuchtet, wie es uns in einem kleinern Ab-
ſtande verbrennen würde, wenn ſeine Theile dich-
ter bey einander wären, und deswegen mit einer
gröſſern Heftigkeit wirkten? Alles das weiß ich
nicht. Aber warum hat es eine ſo unbegreifliche
Geſchwindigkeit und Beweglichkeit auf alle Sei-
ten, als daß unzählbare Gegenſtände auf einmal
unzählbaren Augen ſichtbar werden möchten?
Jſt der Flug ſeiner Stralen nicht darum ſo ſchnell,
damit wir in Geſchwindigkeit auch die allereut-
fernteſten Körper wahrnehmen können? Warum
ſind die Theile deſſelben ſo unendlich fein, als in
der Abſicht, auch in den unausſprechlich kleinen
Augen die Bilder der Dinge ſichtbar zu machen,
die ſie ſehen müſſen, um ihre Beſtimmung zu erfül-
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[185/0199] Natur ergründen könnte. Allein wie viele muß ich nicht entdecken, wenn ich nur ſehen, wenn ich nur einige Aufmerkſamkeit brauchen will. Jch kenne die Natur des Lichtes nicht. Jſt es ein flüßiges Weſen, welches uns und die ganze Erde umſtrömt, und um von uns empfunden zu werden, nur durch die Sonne oder andre flam- mende Körper erſchüttert werden darf? Oder iſt es das Feuer ſelbſt, das uns durch den Ausfluß ſeiner unendlich feinen Theile in einer gewiſſen Entfernung von uns mit einem ſanften Schim- mer erleuchtet, wie es uns in einem kleinern Ab- ſtande verbrennen würde, wenn ſeine Theile dich- ter bey einander wären, und deswegen mit einer gröſſern Heftigkeit wirkten? Alles das weiß ich nicht. Aber warum hat es eine ſo unbegreifliche Geſchwindigkeit und Beweglichkeit auf alle Sei- ten, als daß unzählbare Gegenſtände auf einmal unzählbaren Augen ſichtbar werden möchten? Jſt der Flug ſeiner Stralen nicht darum ſo ſchnell, damit wir in Geſchwindigkeit auch die allereut- fernteſten Körper wahrnehmen können? Warum ſind die Theile deſſelben ſo unendlich fein, als in der Abſicht, auch in den unausſprechlich kleinen Augen die Bilder der Dinge ſichtbar zu machen, die ſie ſehen müſſen, um ihre Beſtimmung zu erfül- len? Warum ſind ſie nicht dichter beyſammen, ſon- M 5

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Zitationshilfe: Cramer, Johann Andreas: Andachten in Betrachtungen, Gebeten und Liedern über Gott, seine Eigenschaften und Werke. Erster Theil. Schleßwig, 1764, S. 185. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/cramer_andachten01_1764/199>, abgerufen am 29.08.2024.