Cramer, Johann Andreas: Andachten in Betrachtungen, Gebeten und Liedern über Gott, seine Eigenschaften und Werke. Erster Theil. Schleßwig, 1764.nothwendiger und bedeutender Theil des Ganzen sey. Wie könnte ich glauben, daß ein Unwissen- der, der weder denken, noch seine Gedanken or- dentlich und nach sichern Regeln ausdrücken kann, der Verfasser dieses Werkes seyn, daß er alle Worte desselben, wie sie ihm einfielen, ohne et- was dabey zu denken, hingeschrieben haben, und doch durch ein bloßes Spiel ein so schönes, scharf- sinniges und gedankenvolles Buch daraus ent- standen seyn sollte? Alles dieses kann ich nicht glauben, wenn ich meiner Vernunft mächtig bin; nur der Wahnsinnige kann vorgeben, Widersprü- che, oder Sätze von unendlicher Unwahrschein- lichkeit zu glauben. Und müßte ich nicht noch viel wahnsinniger seyn, wenn ich dieses von dem Ge- bäude, das mich durch seine Größe, Ordnung und Schönheit in eine unendlich größre Verwun- derung sezt, als der königlichste Pallast, oder von dem so weisheitvollen Buche der Schöpfung glauben wollte? Etwas ist, und zwar so, daß es nicht im- Weise
nothwendiger und bedeutender Theil des Ganzen ſey. Wie könnte ich glauben, daß ein Unwiſſen- der, der weder denken, noch ſeine Gedanken or- dentlich und nach ſichern Regeln ausdrücken kann, der Verfaſſer dieſes Werkes ſeyn, daß er alle Worte deſſelben, wie ſie ihm einfielen, ohne et- was dabey zu denken, hingeſchrieben haben, und doch durch ein bloßes Spiel ein ſo ſchönes, ſcharf- ſinniges und gedankenvolles Buch daraus ent- ſtanden ſeyn ſollte? Alles dieſes kann ich nicht glauben, wenn ich meiner Vernunft mächtig bin; nur der Wahnſinnige kann vorgeben, Widerſprü- che, oder Sätze von unendlicher Unwahrſchein- lichkeit zu glauben. Und müßte ich nicht noch viel wahnſinniger ſeyn, wenn ich dieſes von dem Ge- bäude, das mich durch ſeine Größe, Ordnung und Schönheit in eine unendlich größre Verwun- derung ſezt, als der königlichſte Pallaſt, oder von dem ſo weisheitvollen Buche der Schöpfung glauben wollte? Etwas iſt, und zwar ſo, daß es nicht im- Weiſe
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0157" n="143"/><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> nothwendiger und bedeutender Theil des Ganzen<lb/> ſey. Wie könnte ich glauben, daß ein Unwiſſen-<lb/> der, der weder denken, noch ſeine Gedanken or-<lb/> dentlich und nach ſichern Regeln ausdrücken kann,<lb/> der Verfaſſer dieſes Werkes ſeyn, daß er alle<lb/> Worte deſſelben, wie ſie ihm einfielen, ohne et-<lb/> was dabey zu denken, hingeſchrieben haben, und<lb/> doch durch ein bloßes Spiel ein ſo ſchönes, ſcharf-<lb/> ſinniges und gedankenvolles Buch daraus ent-<lb/> ſtanden ſeyn ſollte? Alles dieſes kann ich nicht<lb/> glauben, wenn ich meiner Vernunft mächtig bin;<lb/> nur der Wahnſinnige kann vorgeben, Widerſprü-<lb/> che, oder Sätze von unendlicher Unwahrſchein-<lb/> lichkeit zu glauben. Und müßte ich nicht noch viel<lb/> wahnſinniger ſeyn, wenn ich dieſes von dem Ge-<lb/> bäude, das mich durch ſeine Größe, Ordnung<lb/> und Schönheit in eine unendlich größre Verwun-<lb/> derung ſezt, als der königlichſte Pallaſt, oder<lb/> von dem ſo weisheitvollen Buche der Schöpfung<lb/> glauben wollte?</p><lb/> <p>Etwas iſt, und zwar ſo, daß es nicht im-<lb/> mer geweſen iſt. Die Dauer ſeines Daſeyns,<lb/> das ſchon vergangen iſt, kann gemeſſen; der An-<lb/> fang deſſelben kann angegeben werden; alſo iſt<lb/> etwas allezeit geweſen; etwas, das keinen An-<lb/> fang gehabt hat; etwas, deſſen Dauer auf keine<lb/> <fw place="bottom" type="catch">Weiſe</fw><lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [143/0157]
nothwendiger und bedeutender Theil des Ganzen
ſey. Wie könnte ich glauben, daß ein Unwiſſen-
der, der weder denken, noch ſeine Gedanken or-
dentlich und nach ſichern Regeln ausdrücken kann,
der Verfaſſer dieſes Werkes ſeyn, daß er alle
Worte deſſelben, wie ſie ihm einfielen, ohne et-
was dabey zu denken, hingeſchrieben haben, und
doch durch ein bloßes Spiel ein ſo ſchönes, ſcharf-
ſinniges und gedankenvolles Buch daraus ent-
ſtanden ſeyn ſollte? Alles dieſes kann ich nicht
glauben, wenn ich meiner Vernunft mächtig bin;
nur der Wahnſinnige kann vorgeben, Widerſprü-
che, oder Sätze von unendlicher Unwahrſchein-
lichkeit zu glauben. Und müßte ich nicht noch viel
wahnſinniger ſeyn, wenn ich dieſes von dem Ge-
bäude, das mich durch ſeine Größe, Ordnung
und Schönheit in eine unendlich größre Verwun-
derung ſezt, als der königlichſte Pallaſt, oder
von dem ſo weisheitvollen Buche der Schöpfung
glauben wollte?
Etwas iſt, und zwar ſo, daß es nicht im-
mer geweſen iſt. Die Dauer ſeines Daſeyns,
das ſchon vergangen iſt, kann gemeſſen; der An-
fang deſſelben kann angegeben werden; alſo iſt
etwas allezeit geweſen; etwas, das keinen An-
fang gehabt hat; etwas, deſſen Dauer auf keine
Weiſe
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Matthias Boenig, Yannic Bracke, Benjamin Fiechter, Susanne Haaf, Linda Kirsten, Xi Zhang:
Arbeitsschritte im Digitalisierungsworkflow: Vorbereitung der Bildvorlagen für die Textdigitalisierung; Bearbeitung, Konvertierung und ggf. Nachstrukturierung der durch die Grepect GmbH bereitgestellten Texttranskription
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Linda Kirsten, Frauke Thielert, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern:
Aufbau eines Korpus historischer Erbauungsschriften zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |