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Cramer, Johann Andreas: Andachten in Betrachtungen, Gebeten und Liedern über Gott, seine Eigenschaften und Werke. Erster Theil. Schleßwig, 1764.

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Menschen eine so unwidersprechliche Wahrheit zu
werden, daß selbst die Abgötterey sich derselben
nähern mußte. Die göttliche Natur, sagten die
Philosophen, ist so groß und erstreckt sich so weit,
daß sie nicht unter einem einzigen Namen, noch
unter einer einzigen Gestalt abgebildet werden
kann. Deswegen sollte Jupiter, Mars, Ve-
nus, Apollo, Juno, und wie alle Götter und
Göttinnen der Heiden hießen, nicht mehr als Ein
Gott seyn. Die unendlichen Eigenschaften des
Schöpfers aller Dinge sollten nur unter vielerley
Benennungen erklärt und vorgestellt werden.
Alle Fabeln von den Göttern, ihren unehrlichen
Geburtsregistern, ihren Wollüsten und Liebes-
verständnissen, ihren abscheulichen Handlungen,
ihren Geheimnissen und Festen, alle diese unge-
heuern Fabeln sollten nichts als Allegorien, sinn-
bildliche Vorstellungen seyn, worinnen die Klu-
gen des Alterthums ihre richtigen und erhabnen
Begriffe von der Gottheit verborgen hätten. Al-
lein wenn man nach der Bedeutung dieser Alle-
gorien fragte, so war die Welt, die Sonne, die
Sterne, die Luft, das Feuer, das Wasser und
die Erde, der einzige Gott. Es war immer die
Creatur und nicht der Schöpfer, welche angebe-
tet werden sollte. So schwer ist es der menschli-
chen Vernunft, wenn sie einmal die Erkenntniß

des



Menſchen eine ſo unwiderſprechliche Wahrheit zu
werden, daß ſelbſt die Abgötterey ſich derſelben
nähern mußte. Die göttliche Natur, ſagten die
Philoſophen, iſt ſo groß und erſtreckt ſich ſo weit,
daß ſie nicht unter einem einzigen Namen, noch
unter einer einzigen Geſtalt abgebildet werden
kann. Deswegen ſollte Jupiter, Mars, Ve-
nus, Apollo, Juno, und wie alle Götter und
Göttinnen der Heiden hießen, nicht mehr als Ein
Gott ſeyn. Die unendlichen Eigenſchaften des
Schöpfers aller Dinge ſollten nur unter vielerley
Benennungen erklärt und vorgeſtellt werden.
Alle Fabeln von den Göttern, ihren unehrlichen
Geburtsregiſtern, ihren Wollüſten und Liebes-
verſtändniſſen, ihren abſcheulichen Handlungen,
ihren Geheimniſſen und Feſten, alle dieſe unge-
heuern Fabeln ſollten nichts als Allegorien, ſinn-
bildliche Vorſtellungen ſeyn, worinnen die Klu-
gen des Alterthums ihre richtigen und erhabnen
Begriffe von der Gottheit verborgen hätten. Al-
lein wenn man nach der Bedeutung dieſer Alle-
gorien fragte, ſo war die Welt, die Sonne, die
Sterne, die Luft, das Feuer, das Waſſer und
die Erde, der einzige Gott. Es war immer die
Creatur und nicht der Schöpfer, welche angebe-
tet werden ſollte. So ſchwer iſt es der menſchli-
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[130/0144] Menſchen eine ſo unwiderſprechliche Wahrheit zu werden, daß ſelbſt die Abgötterey ſich derſelben nähern mußte. Die göttliche Natur, ſagten die Philoſophen, iſt ſo groß und erſtreckt ſich ſo weit, daß ſie nicht unter einem einzigen Namen, noch unter einer einzigen Geſtalt abgebildet werden kann. Deswegen ſollte Jupiter, Mars, Ve- nus, Apollo, Juno, und wie alle Götter und Göttinnen der Heiden hießen, nicht mehr als Ein Gott ſeyn. Die unendlichen Eigenſchaften des Schöpfers aller Dinge ſollten nur unter vielerley Benennungen erklärt und vorgeſtellt werden. Alle Fabeln von den Göttern, ihren unehrlichen Geburtsregiſtern, ihren Wollüſten und Liebes- verſtändniſſen, ihren abſcheulichen Handlungen, ihren Geheimniſſen und Feſten, alle dieſe unge- heuern Fabeln ſollten nichts als Allegorien, ſinn- bildliche Vorſtellungen ſeyn, worinnen die Klu- gen des Alterthums ihre richtigen und erhabnen Begriffe von der Gottheit verborgen hätten. Al- lein wenn man nach der Bedeutung dieſer Alle- gorien fragte, ſo war die Welt, die Sonne, die Sterne, die Luft, das Feuer, das Waſſer und die Erde, der einzige Gott. Es war immer die Creatur und nicht der Schöpfer, welche angebe- tet werden ſollte. So ſchwer iſt es der menſchli- chen Vernunft, wenn ſie einmal die Erkenntniß des

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Zitationshilfe: Cramer, Johann Andreas: Andachten in Betrachtungen, Gebeten und Liedern über Gott, seine Eigenschaften und Werke. Erster Theil. Schleßwig, 1764, S. 130. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/cramer_andachten01_1764/144>, abgerufen am 29.06.2024.