So war es also nicht die Vernunft, wo- durch die Abgötterey vom Throne gestürzt werden konnte. Wie sie nicht durch sie eingeführt wor- den war, so konnte sie auch nicht dadurch geheilt werden. Es giebt Jrrthümer, in welche wir verfallen, indem wir die Vernunft gebrauchen; man verwirrt sich, weil man ihre Kräfte zu hef- tig anstrengt. Allein die Abgötterey war durch eine ganz entgegengesezte Ausschweifung eingeris- sen, indem der Mensch seine Vernunft ganz un- terdrückt hatte, und sich von den Sinnen beherr- schen ließ, die allen Dingen göttliche Eigenschaf- ten beylegten, von denen sie gerührt wurden. Dadurch wurde ihnen die Gottheit sichtbar. Die Menschen waren noch weiter in der Ausschwei- fung gegangen; sie hatten sie sogar ihren Leiden- schaften und Lastern zugeeignet. An einem so abscheulichen Jrrthume hatte die Vernunft keine Schuld; sie war nicht eine Ausschweifung, son- dern ein Umsturz der Vernunft, ein Unsinn, ei- ne Raserey. Man rede mit einem Unsinnigen vernünftig; man wird das Uebel durch weise Vorstellungen nicht heben, sondern unheilbarer machen. Man muß bis auf den Grund des Uebels dringen, das Temperament in Ordnung bringen, die verdorbnen Säfte reinigen, woraus diese un- heilbare Krankheit entspringt. Dieses war über
die
So war es alſo nicht die Vernunft, wo- durch die Abgötterey vom Throne geſtürzt werden konnte. Wie ſie nicht durch ſie eingeführt wor- den war, ſo konnte ſie auch nicht dadurch geheilt werden. Es giebt Jrrthümer, in welche wir verfallen, indem wir die Vernunft gebrauchen; man verwirrt ſich, weil man ihre Kräfte zu hef- tig anſtrengt. Allein die Abgötterey war durch eine ganz entgegengeſezte Ausſchweifung eingeriſ- ſen, indem der Menſch ſeine Vernunft ganz un- terdrückt hatte, und ſich von den Sinnen beherr- ſchen ließ, die allen Dingen göttliche Eigenſchaf- ten beylegten, von denen ſie gerührt wurden. Dadurch wurde ihnen die Gottheit ſichtbar. Die Menſchen waren noch weiter in der Ausſchwei- fung gegangen; ſie hatten ſie ſogar ihren Leiden- ſchaften und Laſtern zugeeignet. An einem ſo abſcheulichen Jrrthume hatte die Vernunft keine Schuld; ſie war nicht eine Ausſchweifung, ſon- dern ein Umſturz der Vernunft, ein Unſinn, ei- ne Raſerey. Man rede mit einem Unſinnigen vernünftig; man wird das Uebel durch weiſe Vorſtellungen nicht heben, ſondern unheilbarer machen. Man muß bis auf den Grund des Uebels dringen, das Temperament in Ordnung bringen, die verdorbnen Säfte reinigen, woraus dieſe un- heilbare Krankheit entſpringt. Dieſes war über
die
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So war es alſo nicht die Vernunft, wo-
durch die Abgötterey vom Throne geſtürzt werden
konnte. Wie ſie nicht durch ſie eingeführt wor-
den war, ſo konnte ſie auch nicht dadurch geheilt
werden. Es giebt Jrrthümer, in welche wir
verfallen, indem wir die Vernunft gebrauchen;
man verwirrt ſich, weil man ihre Kräfte zu hef-
tig anſtrengt. Allein die Abgötterey war durch
eine ganz entgegengeſezte Ausſchweifung eingeriſ-
ſen, indem der Menſch ſeine Vernunft ganz un-
terdrückt hatte, und ſich von den Sinnen beherr-
ſchen ließ, die allen Dingen göttliche Eigenſchaf-
ten beylegten, von denen ſie gerührt wurden.
Dadurch wurde ihnen die Gottheit ſichtbar. Die
Menſchen waren noch weiter in der Ausſchwei-
fung gegangen; ſie hatten ſie ſogar ihren Leiden-
ſchaften und Laſtern zugeeignet. An einem ſo
abſcheulichen Jrrthume hatte die Vernunft keine
Schuld; ſie war nicht eine Ausſchweifung, ſon-
dern ein Umſturz der Vernunft, ein Unſinn, ei-
ne Raſerey. Man rede mit einem Unſinnigen
vernünftig; man wird das Uebel durch weiſe
Vorſtellungen nicht heben, ſondern unheilbarer
machen. Man muß bis auf den Grund des Uebels
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Cramer, Johann Andreas: Andachten in Betrachtungen, Gebeten und Liedern über Gott, seine Eigenschaften und Werke. Erster Theil. Schleßwig, 1764, S. 127. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/cramer_andachten01_1764/141>, abgerufen am 24.11.2024.
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