Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Conradi, Hermann: Adam Mensch. Leipzig, [1889].

Bild:
<< vorherige Seite

schwerer. Hedwig zog den zurückgeglittenen Aermel
bis zum Gelenk herunter und sah zu Adam empor,
erschreckt und doch zugleich fragend, erwartend --
abweisend und doch zugleich normal verwundert, un-
willkürlich aufreizend.

Aus dem Salon klang buntes, sich gegenseitig ver-
hakendes Stimmengewirr. Aber wie ferne, dumpfe,
monotone Brandung dünkte es Adam. Die Situation
nahm ihn ganz hin. Jetzt allerdings schnellte die Stimme
Oettingers scharf, zackig, hart in der Höhe. Dann
sprach Lydia auch lauter, auch artikulirter.

Adam hatte nach der rechten Hand Hedwigs ge-
hascht, sie hatte sie ihm mit zufahrender Heftigkeit
entzogen. Und doch neigte sie jetzt den Kopf ein
Wenig. Ein schmales Stück des weißen, glänzenden
Halses wurde sichtbar.

Da packte es Adam. Es rüttelte und schüttelte an
ihm, schlug ihm die Zähne in die Nerven. Er wußte
nicht, wie es so jäh, so bezwingend über ihn kam. Der
Wein hatte sein Blut aufgejagt, hatte zuckende, von
unten herauf bohrende Flammen hineingeschmissen.
Er war seiner nicht mehr mächtig. Es flimmerte
ihm roth vor den Augen. Er beugte sich nieder,
sog sich eine Sekunde lang fest an diesem weißen,
glänzenden Halse und lallte Fräulein Irmer im
nächsten Augenblicke ein heißes, leidenschaftliches
"-- Hedwig!" in's Ohr.

Jetzt fuhr die Dame auf. Ihr Gesicht war
weiß, die Augen starr, groß aufgerissen, ohne Pol.

Durch den Salon kugelte sich gerade ein lautes

ſchwerer. Hedwig zog den zurückgeglittenen Aermel
bis zum Gelenk herunter und ſah zu Adam empor,
erſchreckt und doch zugleich fragend, erwartend —
abweiſend und doch zugleich normal verwundert, un-
willkürlich aufreizend.

Aus dem Salon klang buntes, ſich gegenſeitig ver-
hakendes Stimmengewirr. Aber wie ferne, dumpfe,
monotone Brandung dünkte es Adam. Die Situation
nahm ihn ganz hin. Jetzt allerdings ſchnellte die Stimme
Oettingers ſcharf, zackig, hart in der Höhe. Dann
ſprach Lydia auch lauter, auch artikulirter.

Adam hatte nach der rechten Hand Hedwigs ge-
haſcht, ſie hatte ſie ihm mit zufahrender Heftigkeit
entzogen. Und doch neigte ſie jetzt den Kopf ein
Wenig. Ein ſchmales Stück des weißen, glänzenden
Halſes wurde ſichtbar.

Da packte es Adam. Es rüttelte und ſchüttelte an
ihm, ſchlug ihm die Zähne in die Nerven. Er wußte
nicht, wie es ſo jäh, ſo bezwingend über ihn kam. Der
Wein hatte ſein Blut aufgejagt, hatte zuckende, von
unten herauf bohrende Flammen hineingeſchmiſſen.
Er war ſeiner nicht mehr mächtig. Es flimmerte
ihm roth vor den Augen. Er beugte ſich nieder,
ſog ſich eine Sekunde lang feſt an dieſem weißen,
glänzenden Halſe und lallte Fräulein Irmer im
nächſten Augenblicke ein heißes, leidenſchaftliches
„— Hedwig!“ in's Ohr.

Jetzt fuhr die Dame auf. Ihr Geſicht war
weiß, die Augen ſtarr, groß aufgeriſſen, ohne Pol.

Durch den Salon kugelte ſich gerade ein lautes

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0083" n="75"/>
&#x017F;chwerer. Hedwig zog den zurückgeglittenen Aermel<lb/>
bis zum Gelenk herunter und &#x017F;ah zu Adam empor,<lb/>
er&#x017F;chreckt und doch zugleich fragend, erwartend &#x2014;<lb/>
abwei&#x017F;end und doch zugleich normal verwundert, un-<lb/>
willkürlich aufreizend.</p><lb/>
        <p>Aus dem Salon klang buntes, &#x017F;ich gegen&#x017F;eitig ver-<lb/>
hakendes Stimmengewirr. Aber wie ferne, dumpfe,<lb/>
monotone Brandung dünkte es Adam. Die Situation<lb/>
nahm ihn ganz hin. Jetzt allerdings &#x017F;chnellte die Stimme<lb/>
Oettingers &#x017F;charf, zackig, hart in der Höhe. Dann<lb/>
&#x017F;prach Lydia auch lauter, auch artikulirter.</p><lb/>
        <p>Adam hatte nach der rechten Hand Hedwigs ge-<lb/>
ha&#x017F;cht, &#x017F;ie hatte &#x017F;ie ihm mit zufahrender Heftigkeit<lb/>
entzogen. Und doch neigte &#x017F;ie jetzt den Kopf ein<lb/>
Wenig. Ein &#x017F;chmales Stück des weißen, glänzenden<lb/>
Hal&#x017F;es wurde &#x017F;ichtbar.</p><lb/>
        <p>Da packte es Adam. Es rüttelte und &#x017F;chüttelte an<lb/>
ihm, &#x017F;chlug ihm die Zähne in die Nerven. Er wußte<lb/>
nicht, wie es &#x017F;o jäh, &#x017F;o bezwingend über ihn kam. Der<lb/>
Wein hatte &#x017F;ein Blut aufgejagt, hatte zuckende, von<lb/>
unten herauf bohrende Flammen hineinge&#x017F;chmi&#x017F;&#x017F;en.<lb/>
Er war &#x017F;einer nicht mehr mächtig. Es flimmerte<lb/>
ihm roth vor den Augen. Er beugte &#x017F;ich nieder,<lb/>
&#x017F;og &#x017F;ich eine Sekunde lang fe&#x017F;t an die&#x017F;em weißen,<lb/>
glänzenden Hal&#x017F;e und lallte Fräulein Irmer im<lb/>
näch&#x017F;ten Augenblicke ein heißes, leiden&#x017F;chaftliches<lb/>
&#x201E;&#x2014; Hedwig!&#x201C; in's Ohr.</p><lb/>
        <p>Jetzt fuhr die Dame auf. Ihr Ge&#x017F;icht war<lb/>
weiß, die Augen &#x017F;tarr, groß aufgeri&#x017F;&#x017F;en, ohne Pol.</p><lb/>
        <p>Durch den Salon kugelte &#x017F;ich gerade ein lautes<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[75/0083] ſchwerer. Hedwig zog den zurückgeglittenen Aermel bis zum Gelenk herunter und ſah zu Adam empor, erſchreckt und doch zugleich fragend, erwartend — abweiſend und doch zugleich normal verwundert, un- willkürlich aufreizend. Aus dem Salon klang buntes, ſich gegenſeitig ver- hakendes Stimmengewirr. Aber wie ferne, dumpfe, monotone Brandung dünkte es Adam. Die Situation nahm ihn ganz hin. Jetzt allerdings ſchnellte die Stimme Oettingers ſcharf, zackig, hart in der Höhe. Dann ſprach Lydia auch lauter, auch artikulirter. Adam hatte nach der rechten Hand Hedwigs ge- haſcht, ſie hatte ſie ihm mit zufahrender Heftigkeit entzogen. Und doch neigte ſie jetzt den Kopf ein Wenig. Ein ſchmales Stück des weißen, glänzenden Halſes wurde ſichtbar. Da packte es Adam. Es rüttelte und ſchüttelte an ihm, ſchlug ihm die Zähne in die Nerven. Er wußte nicht, wie es ſo jäh, ſo bezwingend über ihn kam. Der Wein hatte ſein Blut aufgejagt, hatte zuckende, von unten herauf bohrende Flammen hineingeſchmiſſen. Er war ſeiner nicht mehr mächtig. Es flimmerte ihm roth vor den Augen. Er beugte ſich nieder, ſog ſich eine Sekunde lang feſt an dieſem weißen, glänzenden Halſe und lallte Fräulein Irmer im nächſten Augenblicke ein heißes, leidenſchaftliches „— Hedwig!“ in's Ohr. Jetzt fuhr die Dame auf. Ihr Geſicht war weiß, die Augen ſtarr, groß aufgeriſſen, ohne Pol. Durch den Salon kugelte ſich gerade ein lautes

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/conradi_adam_1889
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/conradi_adam_1889/83
Zitationshilfe: Conradi, Hermann: Adam Mensch. Leipzig, [1889], S. 75. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/conradi_adam_1889/83>, abgerufen am 28.04.2024.