Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Conradi, Hermann: Adam Mensch. Leipzig, [1889].

Bild:
<< vorherige Seite


Was hatte sie in dieser leichtsinnig phosphorescirenden
Welt zu suchen --? Nichts! Rein gar Nichts!
Vertrug sich überhaupt dieser Aufenthalt in einer
Sphäre, die ihr im Grunde absolut gleichgültig ...
ja! ja! ... ganz bestimmt! .. ganz bestimmt ab-
solut gleichgültig war -- vertrug er sich überhaupt
mit ihrer ,Weltanschauung' --? Nein! Sie that es
nur ihrem Vater zu Gefallen, wenn sie zeitweilig in
diesen Kreisen verkehrte. Ihr Vater zwang sie
allerdings nicht dazu, diesen lächerlich leeren Formen-
cultus mitzumachen. Aber er sah es im Grunde
doch ganz gern. -- gewiß! ,ideell', ,theoretisch' ver-
warf er den Humbug ... aber so "lebensklug"
war er immerhin doch noch -- schien er immerhin
doch noch zu sein, daß er sich und seiner Resignation
Nichts zu vergeben glaubte, wenn er seine Tochter
den Firlefanz bisweilen mitmachen ließ. Hedwig sagte
sich sehr klar, daß ihr Vater sich nur als Denker be-
thätigen konnte, wenn er lebte -- wollte er aber
,leben', mußte er mit gewissen Verhältnissen klug und
praktisch rechnen -- sonst konnte er eben einpacken.
Oder -- oder war sie heute Abend bloß so übel-
launig, so verstimmt, wenigstens so gleichgültig,
weil ihr Lydia unsympathisch? Weil ihr Nachbar
sie störte, dieser suffisante Doctor Mensch, der sich
ihr neulich so impertinent frech aufgedrängt hatte --?
Aber nein! Diese Welt war nicht ihre Welt -- und
sie durfte sich mit dem Bewußtsein trösten, daß sie
dieselbe nur zuweilen besuchte, um ihre eigene Welt --
selbstverständlicher zu finden.


Was hatte ſie in dieſer leichtſinnig phosphorescirenden
Welt zu ſuchen —? Nichts! Rein gar Nichts!
Vertrug ſich überhaupt dieſer Aufenthalt in einer
Sphäre, die ihr im Grunde abſolut gleichgültig …
ja! ja! ... ganz beſtimmt! .. ganz beſtimmt ab-
ſolut gleichgültig war — vertrug er ſich überhaupt
mit ihrer ‚Weltanſchauung‘ —? Nein! Sie that es
nur ihrem Vater zu Gefallen, wenn ſie zeitweilig in
dieſen Kreiſen verkehrte. Ihr Vater zwang ſie
allerdings nicht dazu, dieſen lächerlich leeren Formen-
cultus mitzumachen. Aber er ſah es im Grunde
doch ganz gern. — gewiß! ‚ideell‘, ‚theoretiſch‘ ver-
warf er den Humbug ... aber ſo „lebensklug“
war er immerhin doch noch — ſchien er immerhin
doch noch zu ſein, daß er ſich und ſeiner Reſignation
Nichts zu vergeben glaubte, wenn er ſeine Tochter
den Firlefanz bisweilen mitmachen ließ. Hedwig ſagte
ſich ſehr klar, daß ihr Vater ſich nur als Denker be-
thätigen konnte, wenn er lebte — wollte er aber
‚leben‘, mußte er mit gewiſſen Verhältniſſen klug und
praktiſch rechnen — ſonſt konnte er eben einpacken.
Oder — oder war ſie heute Abend bloß ſo übel-
launig, ſo verſtimmt, wenigſtens ſo gleichgültig,
weil ihr Lydia unſympathiſch? Weil ihr Nachbar
ſie ſtörte, dieſer ſuffiſante Doctor Menſch, der ſich
ihr neulich ſo impertinent frech aufgedrängt hatte —?
Aber nein! Dieſe Welt war nicht ihre Welt — und
ſie durfte ſich mit dem Bewußtſein tröſten, daß ſie
dieſelbe nur zuweilen beſuchte, um ihre eigene Welt —
ſelbſtverſtändlicher zu finden.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0061" n="53"/><lb/>
Was hatte &#x017F;ie in die&#x017F;er leicht&#x017F;innig phosphorescirenden<lb/>
Welt zu &#x017F;uchen &#x2014;? Nichts! Rein gar Nichts!<lb/>
Vertrug &#x017F;ich überhaupt die&#x017F;er Aufenthalt in einer<lb/>
Sphäre, die ihr im Grunde ab&#x017F;olut gleichgültig &#x2026;<lb/>
ja! ja! ... ganz be&#x017F;timmt! .. ganz be&#x017F;timmt ab-<lb/>
&#x017F;olut gleichgültig war &#x2014; vertrug er &#x017F;ich überhaupt<lb/>
mit ihrer &#x201A;Weltan&#x017F;chauung&#x2018; &#x2014;? Nein! Sie that es<lb/>
nur ihrem Vater zu Gefallen, wenn &#x017F;ie zeitweilig in<lb/>
die&#x017F;en Krei&#x017F;en verkehrte. Ihr Vater zwang &#x017F;ie<lb/>
allerdings nicht dazu, die&#x017F;en lächerlich leeren Formen-<lb/>
cultus mitzumachen. Aber er &#x017F;ah es im Grunde<lb/>
doch ganz gern. &#x2014; gewiß! &#x201A;ideell&#x2018;, &#x201A;theoreti&#x017F;ch&#x2018; ver-<lb/>
warf er den Humbug ... aber &#x017F;o &#x201E;lebensklug&#x201C;<lb/>
war er immerhin doch noch &#x2014; &#x017F;chien er immerhin<lb/>
doch noch zu &#x017F;ein, daß er &#x017F;ich und &#x017F;einer Re&#x017F;ignation<lb/>
Nichts zu vergeben glaubte, wenn er &#x017F;eine Tochter<lb/>
den Firlefanz bisweilen mitmachen ließ. Hedwig &#x017F;agte<lb/>
&#x017F;ich &#x017F;ehr klar, daß ihr Vater &#x017F;ich nur als Denker be-<lb/>
thätigen konnte, wenn er lebte &#x2014; wollte er aber<lb/>
&#x201A;leben&#x2018;, mußte er mit gewi&#x017F;&#x017F;en Verhältni&#x017F;&#x017F;en klug und<lb/>
prakti&#x017F;ch rechnen &#x2014; &#x017F;on&#x017F;t konnte er eben einpacken.<lb/>
Oder &#x2014; oder war &#x017F;ie heute Abend bloß &#x017F;o übel-<lb/>
launig, &#x017F;o ver&#x017F;timmt, wenig&#x017F;tens &#x017F;o gleichgültig,<lb/>
weil ihr Lydia un&#x017F;ympathi&#x017F;ch? Weil ihr Nachbar<lb/>
&#x017F;ie &#x017F;törte, die&#x017F;er &#x017F;uffi&#x017F;ante Doctor Men&#x017F;ch, der &#x017F;ich<lb/>
ihr neulich &#x017F;o impertinent frech aufgedrängt hatte &#x2014;?<lb/>
Aber nein! Die&#x017F;e Welt war nicht ihre Welt &#x2014; und<lb/>
&#x017F;ie durfte &#x017F;ich mit dem Bewußt&#x017F;ein trö&#x017F;ten, daß &#x017F;ie<lb/>
die&#x017F;elbe nur zuweilen be&#x017F;uchte, um ihre eigene Welt &#x2014;<lb/>
&#x017F;elb&#x017F;tver&#x017F;tändlicher zu finden.</p><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[53/0061] Was hatte ſie in dieſer leichtſinnig phosphorescirenden Welt zu ſuchen —? Nichts! Rein gar Nichts! Vertrug ſich überhaupt dieſer Aufenthalt in einer Sphäre, die ihr im Grunde abſolut gleichgültig … ja! ja! ... ganz beſtimmt! .. ganz beſtimmt ab- ſolut gleichgültig war — vertrug er ſich überhaupt mit ihrer ‚Weltanſchauung‘ —? Nein! Sie that es nur ihrem Vater zu Gefallen, wenn ſie zeitweilig in dieſen Kreiſen verkehrte. Ihr Vater zwang ſie allerdings nicht dazu, dieſen lächerlich leeren Formen- cultus mitzumachen. Aber er ſah es im Grunde doch ganz gern. — gewiß! ‚ideell‘, ‚theoretiſch‘ ver- warf er den Humbug ... aber ſo „lebensklug“ war er immerhin doch noch — ſchien er immerhin doch noch zu ſein, daß er ſich und ſeiner Reſignation Nichts zu vergeben glaubte, wenn er ſeine Tochter den Firlefanz bisweilen mitmachen ließ. Hedwig ſagte ſich ſehr klar, daß ihr Vater ſich nur als Denker be- thätigen konnte, wenn er lebte — wollte er aber ‚leben‘, mußte er mit gewiſſen Verhältniſſen klug und praktiſch rechnen — ſonſt konnte er eben einpacken. Oder — oder war ſie heute Abend bloß ſo übel- launig, ſo verſtimmt, wenigſtens ſo gleichgültig, weil ihr Lydia unſympathiſch? Weil ihr Nachbar ſie ſtörte, dieſer ſuffiſante Doctor Menſch, der ſich ihr neulich ſo impertinent frech aufgedrängt hatte —? Aber nein! Dieſe Welt war nicht ihre Welt — und ſie durfte ſich mit dem Bewußtſein tröſten, daß ſie dieſelbe nur zuweilen beſuchte, um ihre eigene Welt — ſelbſtverſtändlicher zu finden.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/conradi_adam_1889
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/conradi_adam_1889/61
Zitationshilfe: Conradi, Hermann: Adam Mensch. Leipzig, [1889], S. 53. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/conradi_adam_1889/61>, abgerufen am 28.04.2024.