als sie sich unvermuthet Adam gegenübersah. Der hatte sich erhoben und verneigte sich unendlich passiv. Er freute sich im Stillen 'n Bein aus, daß er sich vollkommen beherrscht hatte.
"Nun darfst Du Deinen Willen haben, liebe Tante --" wandte sich Herr Quöck großmüthig zu Frau Möbius, die sich auch sofort nach dem Speise- zimmer kehrte.
"Darf ich bitten --?" lud der Wirth seine Gäste ein.
Adam saß zur Rechten Herrn Quöcks, diesem zur Linken Herr Referendar Oettinger. Neben letz- terem Frau Lydia, also Adam schräg gegenüber. Seine rechte Nachbarin war Fräulein Irmer. Frau Möbius, die kleine, purzlige Frau mit dem harm- losen Gesicht -- der goldene Kneifer, den sie bald aufsetzte, bald wieder von dem Rücken der scharfge- falteten Nase herunterholte, nahm diesem Gesicht nichts von seiner blasigen Teigheit -- Frau Mö- bius rundete die kleine Gesellschaft liebenswürdig ab.
Adam war vollständig ein Opfer der Situation geworden. Die Atmosphäre berührte ihn außer- ordentlich sympathisch, stimmte ihn überaus einheit- lich. Die Gegenwart Fräulein Irmers dünkte ihn ausnehmend pikant, kam ihm wie das Vorspiel eines interessanten Abenteuers vor -- eines Abenteuers, das ihm ein tüchtiges Maß bunter Reize zuwerfen mußte. Da stand etwas bevor, das ihn mit einer köstlichen Unruhe erfüllte. Und Frau Lydia? Sie coquettirte doch ein klein Wenig mit ihm. Auch das schmeichelte ihm. Seine Beziehungen zu ihr
als ſie ſich unvermuthet Adam gegenüberſah. Der hatte ſich erhoben und verneigte ſich unendlich paſſiv. Er freute ſich im Stillen 'n Bein aus, daß er ſich vollkommen beherrſcht hatte.
„Nun darfſt Du Deinen Willen haben, liebe Tante —“ wandte ſich Herr Quöck großmüthig zu Frau Möbius, die ſich auch ſofort nach dem Speiſe- zimmer kehrte.
„Darf ich bitten —?“ lud der Wirth ſeine Gäſte ein.
Adam ſaß zur Rechten Herrn Quöcks, dieſem zur Linken Herr Referendar Oettinger. Neben letz- terem Frau Lydia, alſo Adam ſchräg gegenüber. Seine rechte Nachbarin war Fräulein Irmer. Frau Möbius, die kleine, purzlige Frau mit dem harm- loſen Geſicht — der goldene Kneifer, den ſie bald aufſetzte, bald wieder von dem Rücken der ſcharfge- falteten Naſe herunterholte, nahm dieſem Geſicht nichts von ſeiner blaſigen Teigheit — Frau Mö- bius rundete die kleine Geſellſchaft liebenswürdig ab.
Adam war vollſtändig ein Opfer der Situation geworden. Die Atmoſphäre berührte ihn außer- ordentlich ſympathiſch, ſtimmte ihn überaus einheit- lich. Die Gegenwart Fräulein Irmers dünkte ihn ausnehmend pikant, kam ihm wie das Vorſpiel eines intereſſanten Abenteuers vor — eines Abenteuers, das ihm ein tüchtiges Maß bunter Reize zuwerfen mußte. Da ſtand etwas bevor, das ihn mit einer köſtlichen Unruhe erfüllte. Und Frau Lydia? Sie coquettirte doch ein klein Wenig mit ihm. Auch das ſchmeichelte ihm. Seine Beziehungen zu ihr
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als ſie ſich unvermuthet Adam gegenüberſah. Der
hatte ſich erhoben und verneigte ſich unendlich paſſiv.
Er freute ſich im Stillen 'n Bein aus, daß er ſich
vollkommen beherrſcht hatte.
„Nun darfſt Du Deinen Willen haben, liebe
Tante —“ wandte ſich Herr Quöck großmüthig zu
Frau Möbius, die ſich auch ſofort nach dem Speiſe-
zimmer kehrte.
„Darf ich bitten —?“ lud der Wirth ſeine Gäſte ein.
Adam ſaß zur Rechten Herrn Quöcks, dieſem
zur Linken Herr Referendar Oettinger. Neben letz-
terem Frau Lydia, alſo Adam ſchräg gegenüber.
Seine rechte Nachbarin war Fräulein Irmer. Frau
Möbius, die kleine, purzlige Frau mit dem harm-
loſen Geſicht — der goldene Kneifer, den ſie bald
aufſetzte, bald wieder von dem Rücken der ſcharfge-
falteten Naſe herunterholte, nahm dieſem Geſicht
nichts von ſeiner blaſigen Teigheit — Frau Mö-
bius rundete die kleine Geſellſchaft liebenswürdig ab.
Adam war vollſtändig ein Opfer der Situation
geworden. Die Atmoſphäre berührte ihn außer-
ordentlich ſympathiſch, ſtimmte ihn überaus einheit-
lich. Die Gegenwart Fräulein Irmers dünkte ihn
ausnehmend pikant, kam ihm wie das Vorſpiel eines
intereſſanten Abenteuers vor — eines Abenteuers,
das ihm ein tüchtiges Maß bunter Reize zuwerfen
mußte. Da ſtand etwas bevor, das ihn mit einer
köſtlichen Unruhe erfüllte. Und Frau Lydia? Sie
coquettirte doch ein klein Wenig mit ihm. Auch
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Conradi, Hermann: Adam Mensch. Leipzig, [1889], S. 47. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/conradi_adam_1889/55>, abgerufen am 28.11.2024.
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