Diesem Weibe, das da hülflos und gebrochen, ent- stellt, baar aller Reize der Jugend und der Kraft, vor ihm im Sessel lag -- diesem Weibe, das er nicht liebte, mit dem er kaum Mitleid empfand, das er jetzt fast so etwas -- so etwas wie -- verabscheute -- war's nicht am Besten, diesem Weibe ruhig zu gestehen, wie ... woher er die tausend Mark sich verschafft --? Wer sie ihm gegeben hatte --? Ah! Oder war es doch eine Grausamkeit, eine brutale Grausamkeit, der Wahrheit jetzt, unter diesen Ver- hältnissen, in dieser Stunde, die Ehre zu geben --? Nein! Er brachte es doch nicht über's Herz. Nein! doch nicht! Aber -- einmal mußte es ja doch sein. Einmal ja doch! Und wenn nicht heute, so mor- gen! Dieses verfluchte Aufschieben! Immer und ewig diese überflüssige Rücksicht! Die brutale Rück- sichtslosigkeit gegen Andere und gegen das eigene feige, zimperliche und noch dazu erzegoistische Schonungsgefühl ist das einzige Fortschritts- und Entwicklungsprincip im Leben. So? Wirklich? Also -- also drückte Adam alle zarteren Gedanken die ihm aufstiegen, gewaltsam nieder und fragte noch einmal mit affektirter Ruhe, im Grunde aber nur, um innerlich mit dem letzten Reste seiner Rücksicht und Scheu, auf welche seine Natur ursprünglich allein gestimmt war, fertig zu werden --:
"Woher ich das Geld habe --? Hm!" -- jetzt erfolgte eine letzte, kurze Pause, dann stieß er ton- los, stockend, doch zugleich mit sehr forcirter Be- stimmtheit heraus: "Nun! von meiner -- Braut --"
Dieſem Weibe, das da hülflos und gebrochen, ent- ſtellt, baar aller Reize der Jugend und der Kraft, vor ihm im Seſſel lag — dieſem Weibe, das er nicht liebte, mit dem er kaum Mitleid empfand, das er jetzt faſt ſo etwas — ſo etwas wie — verabſcheute — war's nicht am Beſten, dieſem Weibe ruhig zu geſtehen, wie ... woher er die tauſend Mark ſich verſchafft —? Wer ſie ihm gegeben hatte —? Ah! Oder war es doch eine Grauſamkeit, eine brutale Grauſamkeit, der Wahrheit jetzt, unter dieſen Ver- hältniſſen, in dieſer Stunde, die Ehre zu geben —? Nein! Er brachte es doch nicht über's Herz. Nein! doch nicht! Aber — einmal mußte es ja doch ſein. Einmal ja doch! Und wenn nicht heute, ſo mor- gen! Dieſes verfluchte Aufſchieben! Immer und ewig dieſe überflüſſige Rückſicht! Die brutale Rück- ſichtsloſigkeit gegen Andere und gegen das eigene feige, zimperliche und noch dazu erzegoiſtiſche Schonungsgefühl iſt das einzige Fortſchritts- und Entwicklungsprincip im Leben. So? Wirklich? Alſo — alſo drückte Adam alle zarteren Gedanken die ihm aufſtiegen, gewaltſam nieder und fragte noch einmal mit affektirter Ruhe, im Grunde aber nur, um innerlich mit dem letzten Reſte ſeiner Rückſicht und Scheu, auf welche ſeine Natur urſprünglich allein geſtimmt war, fertig zu werden —:
„Woher ich das Geld habe —? Hm!“ — jetzt erfolgte eine letzte, kurze Pauſe, dann ſtieß er ton- los, ſtockend, doch zugleich mit ſehr forcirter Be- ſtimmtheit heraus: „Nun! von meiner — Braut —“
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0442"n="434"/>
Dieſem Weibe, das da hülflos und gebrochen, ent-<lb/>ſtellt, baar aller Reize der Jugend und der Kraft,<lb/>
vor ihm im Seſſel lag — dieſem Weibe, das er<lb/>
nicht liebte, mit dem er kaum Mitleid empfand, das<lb/>
er jetzt faſt ſo etwas —ſo etwas wie — verabſcheute<lb/>— war's nicht am Beſten, dieſem Weibe ruhig zu<lb/>
geſtehen, wie ... woher er die tauſend Mark ſich<lb/>
verſchafft —? Wer ſie ihm gegeben hatte —? Ah!<lb/>
Oder war es doch eine Grauſamkeit, eine brutale<lb/>
Grauſamkeit, der Wahrheit jetzt, unter dieſen Ver-<lb/>
hältniſſen, in dieſer Stunde, die Ehre zu geben —?<lb/>
Nein! Er brachte es doch nicht über's Herz. Nein!<lb/>
doch nicht! Aber — einmal mußte es ja doch ſein<choice><sic/><corr>.</corr></choice><lb/>
Einmal ja doch! Und wenn nicht heute, ſo mor-<lb/>
gen! Dieſes verfluchte Aufſchieben! Immer und<lb/>
ewig dieſe überflüſſige Rückſicht! Die brutale Rück-<lb/>ſichtsloſigkeit gegen Andere und gegen das eigene<lb/>
feige, zimperliche und noch dazu <hirendition="#g">erzegoiſtiſche</hi><lb/>
Schonungsgefühl iſt das einzige Fortſchritts- und<lb/>
Entwicklungsprincip im Leben. So? Wirklich?<lb/>
Alſo — alſo drückte Adam alle zarteren Gedanken<lb/>
die ihm aufſtiegen, gewaltſam nieder und fragte noch<lb/>
einmal mit affektirter Ruhe, im Grunde aber nur,<lb/>
um innerlich mit dem letzten Reſte ſeiner Rückſicht<lb/>
und Scheu, auf welche ſeine Natur urſprünglich allein<lb/>
geſtimmt war, fertig zu werden —:</p><lb/><p>„Woher ich das Geld habe —? Hm!“— jetzt<lb/>
erfolgte eine letzte, kurze Pauſe, dann ſtieß er ton-<lb/>
los, ſtockend, doch zugleich mit ſehr forcirter Be-<lb/>ſtimmtheit heraus: „Nun! von meiner — Braut —“<lb/></p></div></body></text></TEI>
[434/0442]
Dieſem Weibe, das da hülflos und gebrochen, ent-
ſtellt, baar aller Reize der Jugend und der Kraft,
vor ihm im Seſſel lag — dieſem Weibe, das er
nicht liebte, mit dem er kaum Mitleid empfand, das
er jetzt faſt ſo etwas — ſo etwas wie — verabſcheute
— war's nicht am Beſten, dieſem Weibe ruhig zu
geſtehen, wie ... woher er die tauſend Mark ſich
verſchafft —? Wer ſie ihm gegeben hatte —? Ah!
Oder war es doch eine Grauſamkeit, eine brutale
Grauſamkeit, der Wahrheit jetzt, unter dieſen Ver-
hältniſſen, in dieſer Stunde, die Ehre zu geben —?
Nein! Er brachte es doch nicht über's Herz. Nein!
doch nicht! Aber — einmal mußte es ja doch ſein.
Einmal ja doch! Und wenn nicht heute, ſo mor-
gen! Dieſes verfluchte Aufſchieben! Immer und
ewig dieſe überflüſſige Rückſicht! Die brutale Rück-
ſichtsloſigkeit gegen Andere und gegen das eigene
feige, zimperliche und noch dazu erzegoiſtiſche
Schonungsgefühl iſt das einzige Fortſchritts- und
Entwicklungsprincip im Leben. So? Wirklich?
Alſo — alſo drückte Adam alle zarteren Gedanken
die ihm aufſtiegen, gewaltſam nieder und fragte noch
einmal mit affektirter Ruhe, im Grunde aber nur,
um innerlich mit dem letzten Reſte ſeiner Rückſicht
und Scheu, auf welche ſeine Natur urſprünglich allein
geſtimmt war, fertig zu werden —:
„Woher ich das Geld habe —? Hm!“ — jetzt
erfolgte eine letzte, kurze Pauſe, dann ſtieß er ton-
los, ſtockend, doch zugleich mit ſehr forcirter Be-
ſtimmtheit heraus: „Nun! von meiner — Braut —“
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Conradi, Hermann: Adam Mensch. Leipzig, [1889], S. 434. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/conradi_adam_1889/442>, abgerufen am 27.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.