Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Conradi, Hermann: Adam Mensch. Leipzig, [1889].

Bild:
<< vorherige Seite

Adam zog die Thür mechanisch hinter sich zu
und blieb dicht an der Schwelle stehen. Mit großen,
starren Augen schaute er auf die friedliche Idylle
hin, die in klaren Linien, in scharfer Plastik vor
ihm lag. Ein Fenster war offen, ein warmer
Nachthauch säuselte flüsternd herein, leise knisterte
das Licht der Lampe.

Adam athmete tief auf. Er nahm den Hut ab
und fuhr sich mit der linken Hand über Augen und
Stirn. Es war ihm, als glitte Etwas von ihm
nieder, fiele von ihm ab, er glaubte, eine wirkliche,
gegenständliche Erleichterung zu verspüren, er war
physisch entlastet, er fühlte sich plötzlich freier und
beweglicher, seine Glieder waren flüssiger geworden.
Der Spuk, vor dem er sich wie ein unmündiger
Knabe gefürchtet, vor dem er gezittert, war zerronnen,
er war gerettet. Ein unendlich wohlthuendes Gefühl
der Geborgenheit kam über den Gefolterten und
Abgehetzten.

Adam stand immer noch dicht an der Schwelle.
Unwillkürlich scheute er sich, durch das Zimmer zu
gehen, er wollte Emmy, die tief und fest zu schlafen
schien, nicht aufwecken, er sog sich fest an dem Bilde,
das sein Auge schaute, sog sich fest mit der heißen,
intimen, ungestümen Dankesinbrunst des Geretteten.
Er fürchtete, durch einen lauten, zu lauten Schritt
die holde Phantasie zu verscheuchen -- und dann,
das wußte er, war er ja wieder ihr verfallen, der
zerschnürenden Furcht -- und ihm, dem zer-
wühlenden Wahnsinn. Nun wurde Emmy unruhig.

27*

Adam zog die Thür mechaniſch hinter ſich zu
und blieb dicht an der Schwelle ſtehen. Mit großen,
ſtarren Augen ſchaute er auf die friedliche Idylle
hin, die in klaren Linien, in ſcharfer Plaſtik vor
ihm lag. Ein Fenſter war offen, ein warmer
Nachthauch ſäuſelte flüſternd herein, leiſe kniſterte
das Licht der Lampe.

Adam athmete tief auf. Er nahm den Hut ab
und fuhr ſich mit der linken Hand über Augen und
Stirn. Es war ihm, als glitte Etwas von ihm
nieder, fiele von ihm ab, er glaubte, eine wirkliche,
gegenſtändliche Erleichterung zu verſpüren, er war
phyſiſch entlaſtet, er fühlte ſich plötzlich freier und
beweglicher, ſeine Glieder waren flüſſiger geworden.
Der Spuk, vor dem er ſich wie ein unmündiger
Knabe gefürchtet, vor dem er gezittert, war zerronnen,
er war gerettet. Ein unendlich wohlthuendes Gefühl
der Geborgenheit kam über den Gefolterten und
Abgehetzten.

Adam ſtand immer noch dicht an der Schwelle.
Unwillkürlich ſcheute er ſich, durch das Zimmer zu
gehen, er wollte Emmy, die tief und feſt zu ſchlafen
ſchien, nicht aufwecken, er ſog ſich feſt an dem Bilde,
das ſein Auge ſchaute, ſog ſich feſt mit der heißen,
intimen, ungeſtümen Dankesinbrunſt des Geretteten.
Er fürchtete, durch einen lauten, zu lauten Schritt
die holde Phantaſie zu verſcheuchen — und dann,
das wußte er, war er ja wieder ihr verfallen, der
zerſchnürenden Furcht — und ihm, dem zer-
wühlenden Wahnſinn. Nun wurde Emmy unruhig.

27*
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0427" n="419"/>
        <p>Adam zog die Thür mechani&#x017F;ch hinter &#x017F;ich zu<lb/>
und blieb dicht an der Schwelle &#x017F;tehen. Mit großen,<lb/>
&#x017F;tarren Augen &#x017F;chaute er auf die friedliche Idylle<lb/>
hin, die in klaren Linien, in &#x017F;charfer Pla&#x017F;tik vor<lb/>
ihm lag. Ein Fen&#x017F;ter war offen, ein warmer<lb/>
Nachthauch &#x017F;äu&#x017F;elte flü&#x017F;ternd herein, lei&#x017F;e kni&#x017F;terte<lb/>
das Licht der Lampe.</p><lb/>
        <p>Adam athmete tief auf. Er nahm den Hut ab<lb/>
und fuhr &#x017F;ich mit der linken Hand über Augen und<lb/>
Stirn. Es war ihm, als glitte Etwas von ihm<lb/>
nieder, fiele von ihm ab, er glaubte, eine wirkliche,<lb/>
gegen&#x017F;tändliche Erleichterung zu ver&#x017F;püren, er war<lb/>
phy&#x017F;i&#x017F;ch entla&#x017F;tet, er fühlte &#x017F;ich plötzlich freier und<lb/>
beweglicher, &#x017F;eine Glieder waren flü&#x017F;&#x017F;iger geworden.<lb/>
Der Spuk, vor dem er &#x017F;ich wie ein unmündiger<lb/>
Knabe gefürchtet, vor dem er gezittert, war zerronnen,<lb/>
er war gerettet. Ein unendlich wohlthuendes Gefühl<lb/>
der Geborgenheit kam über den Gefolterten und<lb/>
Abgehetzten.</p><lb/>
        <p>Adam &#x017F;tand immer noch dicht an der Schwelle.<lb/>
Unwillkürlich &#x017F;cheute er &#x017F;ich, durch das Zimmer zu<lb/>
gehen, er wollte Emmy, die tief und fe&#x017F;t zu &#x017F;chlafen<lb/>
&#x017F;chien, nicht aufwecken, er &#x017F;og &#x017F;ich fe&#x017F;t an dem Bilde,<lb/>
das &#x017F;ein Auge &#x017F;chaute, &#x017F;og &#x017F;ich fe&#x017F;t mit der heißen,<lb/>
intimen, unge&#x017F;tümen Dankesinbrun&#x017F;t des Geretteten.<lb/>
Er fürchtete, durch einen lauten, zu lauten Schritt<lb/>
die holde Phanta&#x017F;ie zu ver&#x017F;cheuchen &#x2014; und dann,<lb/>
das wußte er, war er ja wieder <hi rendition="#g">ihr</hi> verfallen, der<lb/>
zer&#x017F;chnürenden Furcht &#x2014; und <hi rendition="#g">ihm</hi>, dem zer-<lb/>
wühlenden Wahn&#x017F;inn. Nun wurde Emmy unruhig.<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">27*</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[419/0427] Adam zog die Thür mechaniſch hinter ſich zu und blieb dicht an der Schwelle ſtehen. Mit großen, ſtarren Augen ſchaute er auf die friedliche Idylle hin, die in klaren Linien, in ſcharfer Plaſtik vor ihm lag. Ein Fenſter war offen, ein warmer Nachthauch ſäuſelte flüſternd herein, leiſe kniſterte das Licht der Lampe. Adam athmete tief auf. Er nahm den Hut ab und fuhr ſich mit der linken Hand über Augen und Stirn. Es war ihm, als glitte Etwas von ihm nieder, fiele von ihm ab, er glaubte, eine wirkliche, gegenſtändliche Erleichterung zu verſpüren, er war phyſiſch entlaſtet, er fühlte ſich plötzlich freier und beweglicher, ſeine Glieder waren flüſſiger geworden. Der Spuk, vor dem er ſich wie ein unmündiger Knabe gefürchtet, vor dem er gezittert, war zerronnen, er war gerettet. Ein unendlich wohlthuendes Gefühl der Geborgenheit kam über den Gefolterten und Abgehetzten. Adam ſtand immer noch dicht an der Schwelle. Unwillkürlich ſcheute er ſich, durch das Zimmer zu gehen, er wollte Emmy, die tief und feſt zu ſchlafen ſchien, nicht aufwecken, er ſog ſich feſt an dem Bilde, das ſein Auge ſchaute, ſog ſich feſt mit der heißen, intimen, ungeſtümen Dankesinbrunſt des Geretteten. Er fürchtete, durch einen lauten, zu lauten Schritt die holde Phantaſie zu verſcheuchen — und dann, das wußte er, war er ja wieder ihr verfallen, der zerſchnürenden Furcht — und ihm, dem zer- wühlenden Wahnſinn. Nun wurde Emmy unruhig. 27*

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/conradi_adam_1889
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/conradi_adam_1889/427
Zitationshilfe: Conradi, Hermann: Adam Mensch. Leipzig, [1889], S. 419. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/conradi_adam_1889/427>, abgerufen am 25.11.2024.