verworrenen Lebens. Nun wollte er nach Hause gehen, endlich nach Hause, auf dem kürzesten Wege. Er bog in eine schmale Gasse ein, die an ihrem Ende breiter wurde. Da links war eine Lücke, wenigstens eine Art von Lücke, eine auffällige Unterbrechung. Ein Haus wurde abgerissen. Einen wüsten Schutthaufen gab's, grauschwarz nahm sich's in der falben Monddämmerung aus, Balkenköpfe ragten aus dem massiven Wirrwarr mit den stumpfen Grenzen ihrer plumpen Formen heraus, verschiedene wie geschundene Mauerreste standen herum, herab- faserndes Rohrwerk lugte aus einer verwinkelten Hausecke. Und da war auch noch eine Tapete sichtbar, eine grünschwarze Tapete. Adam war über die Barriere, in deren Mitte eine trübe, verschlafene Oelfunzel blinzelte, geklettert und versuchte, sich so weit als möglich der Wand zu nähern. Es war ihm ein ungestümes Zucken, ein nervöses Prickeln in den Fingern, es trieb und zwang ihn unwiderstehlich, die Tapete zu betasten. Aber der Schutt war zu hoch und zu rissig, zu klüftig, er mußte umkehren. Und da kam ihm der Ge- danke: wie sieht die Tapete in deinem Arbeits- zimmer aus --? Er besann sich, besann sich, er konnte sich der Farbe nicht erinnern. Der Gedanke, die dumme, einfältige Frage hatte ihn gepackt und ließ ihn nicht wieder los. Sie keilte sich fest in seinem Gehirne. Er dachte nichts anderes mehr, er fragte sich nur immer und immer wieder nach der Tapete in seinem Arbeitszimmer ... wie sie aus-
verworrenen Lebens. Nun wollte er nach Hauſe gehen, endlich nach Hauſe, auf dem kürzeſten Wege. Er bog in eine ſchmale Gaſſe ein, die an ihrem Ende breiter wurde. Da links war eine Lücke, wenigſtens eine Art von Lücke, eine auffällige Unterbrechung. Ein Haus wurde abgeriſſen. Einen wüſten Schutthaufen gab's, grauſchwarz nahm ſich's in der falben Monddämmerung aus, Balkenköpfe ragten aus dem maſſiven Wirrwarr mit den ſtumpfen Grenzen ihrer plumpen Formen heraus, verſchiedene wie geſchundene Mauerreſte ſtanden herum, herab- faſerndes Rohrwerk lugte aus einer verwinkelten Hausecke. Und da war auch noch eine Tapete ſichtbar, eine grünſchwarze Tapete. Adam war über die Barrière, in deren Mitte eine trübe, verſchlafene Oelfunzel blinzelte, geklettert und verſuchte, ſich ſo weit als möglich der Wand zu nähern. Es war ihm ein ungeſtümes Zucken, ein nervöſes Prickeln in den Fingern, es trieb und zwang ihn unwiderſtehlich, die Tapete zu betaſten. Aber der Schutt war zu hoch und zu riſſig, zu klüftig, er mußte umkehren. Und da kam ihm der Ge- danke: wie ſieht die Tapete in deinem Arbeits- zimmer aus —? Er beſann ſich, beſann ſich, er konnte ſich der Farbe nicht erinnern. Der Gedanke, die dumme, einfältige Frage hatte ihn gepackt und ließ ihn nicht wieder los. Sie keilte ſich feſt in ſeinem Gehirne. Er dachte nichts anderes mehr, er fragte ſich nur immer und immer wieder nach der Tapete in ſeinem Arbeitszimmer ... wie ſie aus-
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verworrenen Lebens. Nun wollte er nach Hauſe
gehen, endlich nach Hauſe, auf dem kürzeſten Wege.
Er bog in eine ſchmale Gaſſe ein, die an ihrem
Ende breiter wurde. Da links war eine Lücke,
wenigſtens eine Art von Lücke, eine auffällige
Unterbrechung. Ein Haus wurde abgeriſſen. Einen
wüſten Schutthaufen gab's, grauſchwarz nahm ſich's
in der falben Monddämmerung aus, Balkenköpfe
ragten aus dem maſſiven Wirrwarr mit den ſtumpfen
Grenzen ihrer plumpen Formen heraus, verſchiedene
wie geſchundene Mauerreſte ſtanden herum, herab-
faſerndes Rohrwerk lugte aus einer verwinkelten
Hausecke. Und da war auch noch eine Tapete
ſichtbar, eine grünſchwarze Tapete. Adam war
über die Barrière, in deren Mitte eine trübe,
verſchlafene Oelfunzel blinzelte, geklettert und
verſuchte, ſich ſo weit als möglich der Wand zu
nähern. Es war ihm ein ungeſtümes Zucken, ein
nervöſes Prickeln in den Fingern, es trieb und
zwang ihn unwiderſtehlich, die Tapete zu betaſten.
Aber der Schutt war zu hoch und zu riſſig, zu klüftig,
er mußte umkehren. Und da kam ihm der Ge-
danke: wie ſieht die Tapete in deinem Arbeits-
zimmer aus —? Er beſann ſich, beſann ſich, er
konnte ſich der Farbe nicht erinnern. Der Gedanke,
die dumme, einfältige Frage hatte ihn gepackt und
ließ ihn nicht wieder los. Sie keilte ſich feſt in
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fragte ſich nur immer und immer wieder nach der
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Conradi, Hermann: Adam Mensch. Leipzig, [1889], S. 415. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/conradi_adam_1889/423>, abgerufen am 25.11.2024.
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