nein! Das war doch Unsinn. Hatte er Frau Lange gegenüber denn nur ein Fünkchen von Recht zu dieser Bitte? Und dann --: wollte er seine Beziehungen zu Hedwig nicht aufdecken, mußte er es sich gefallen lassen, daß Lydia annahm, selbst wenn er äußerlich noch so glaubwürdige Ausflüchte versuchte --: er selber sei der eigentlich Bedürftige -- und in diesem Lichte durfte er unter keiner Bedingung vor ihr stehen, am Allerwenigsten, wenn er an seinen Hoffnungen, sie noch einmal als seine -- nun! eben als seine "Gattin" zu sehen, festhielt -- was ja in seiner Absicht lag. Wie also aus der schweine- mäßig impertinenten Zwickmühle herauskommen? Es war wieder 'nmal rein zum Verzweifeln. Donner und Doria! Jetzt ging Adam ein Talglicht auf. Er wollte doch -- jawohl! und jetzt stand's unwider- ruflich fest -- er wollte doch die gnädige Frau um die Lumperei anrempeln. Er wollte ein Märchen von einer Arbeiterfamilie, die am "Abgrunde ihres socialen Verderbens stände" -- die "ein Opfer unglücklichster Verhältnisse geworden wäre" -- und zweifellos "zu Grunde ginge", wenn sich im letzten Augenblicke nicht noch ein "Menschenfreund" ihrer annähme -- also ein derartiges pikantes Märchen wollte er erfinden -- er konnte von seinem Talente zum Komödianten die exakte Durchführung der Rolle ruhig erwarten -- und vor Lydia als freiwilliger Advokat der Armuth auftreten --: erstens würde, calculirte der Herr Doctor, die Thatsache der Noth als solche ihr weiches Herz rühren und sie zum Herausrücken der Summe
nein! Das war doch Unſinn. Hatte er Frau Lange gegenüber denn nur ein Fünkchen von Recht zu dieſer Bitte? Und dann —: wollte er ſeine Beziehungen zu Hedwig nicht aufdecken, mußte er es ſich gefallen laſſen, daß Lydia annahm, ſelbſt wenn er äußerlich noch ſo glaubwürdige Ausflüchte verſuchte —: er ſelber ſei der eigentlich Bedürftige — und in dieſem Lichte durfte er unter keiner Bedingung vor ihr ſtehen, am Allerwenigſten, wenn er an ſeinen Hoffnungen, ſie noch einmal als ſeine — nun! eben als ſeine „Gattin“ zu ſehen, feſthielt — was ja in ſeiner Abſicht lag. Wie alſo aus der ſchweine- mäßig impertinenten Zwickmühle herauskommen? Es war wieder 'nmal rein zum Verzweifeln. Donner und Doria! Jetzt ging Adam ein Talglicht auf. Er wollte doch — jawohl! und jetzt ſtand's unwider- ruflich feſt — er wollte doch die gnädige Frau um die Lumperei anrempeln. Er wollte ein Märchen von einer Arbeiterfamilie, die am „Abgrunde ihres ſocialen Verderbens ſtände“ — die „ein Opfer unglücklichſter Verhältniſſe geworden wäre“ — und zweifellos „zu Grunde ginge“, wenn ſich im letzten Augenblicke nicht noch ein „Menſchenfreund“ ihrer annähme — alſo ein derartiges pikantes Märchen wollte er erfinden — er konnte von ſeinem Talente zum Komödianten die exakte Durchführung der Rolle ruhig erwarten — und vor Lydia als freiwilliger Advokat der Armuth auftreten —: erſtens würde, calculirte der Herr Doctor, die Thatſache der Noth als ſolche ihr weiches Herz rühren und ſie zum Herausrücken der Summe
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nein! Das war doch Unſinn. Hatte er Frau Lange
gegenüber denn nur ein Fünkchen von Recht zu
dieſer Bitte? Und dann —: wollte er ſeine
Beziehungen zu Hedwig nicht aufdecken, mußte er
es ſich gefallen laſſen, daß Lydia annahm, ſelbſt
wenn er äußerlich noch ſo glaubwürdige Ausflüchte
verſuchte —: er ſelber ſei der eigentlich Bedürftige
— und in dieſem Lichte durfte er unter keiner
Bedingung vor ihr ſtehen, am Allerwenigſten, wenn
er an ſeinen Hoffnungen, ſie noch einmal als ſeine —
nun! eben als ſeine „Gattin“ zu ſehen, feſthielt — was
ja in ſeiner Abſicht lag. Wie alſo aus der ſchweine-
mäßig impertinenten Zwickmühle herauskommen?
Es war wieder 'nmal rein zum Verzweifeln. Donner
und Doria! Jetzt ging Adam ein Talglicht auf.
Er wollte doch — jawohl! und jetzt ſtand's unwider-
ruflich feſt — er wollte doch die gnädige Frau um die
Lumperei anrempeln. Er wollte ein Märchen von
einer Arbeiterfamilie, die am „Abgrunde ihres ſocialen
Verderbens ſtände“ — die „ein Opfer unglücklichſter
Verhältniſſe geworden wäre“ — und zweifellos „zu
Grunde ginge“, wenn ſich im letzten Augenblicke nicht
noch ein „Menſchenfreund“ ihrer annähme — alſo
ein derartiges pikantes Märchen wollte er erfinden —
er konnte von ſeinem Talente zum Komödianten die
exakte Durchführung der Rolle ruhig erwarten — und
vor Lydia als freiwilliger Advokat der Armuth
auftreten —: erſtens würde, calculirte der Herr
Doctor, die Thatſache der Noth als ſolche ihr weiches
Herz rühren und ſie zum Herausrücken der Summe
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Conradi, Hermann: Adam Mensch. Leipzig, [1889], S. 370. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/conradi_adam_1889/378>, abgerufen am 22.11.2024.
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