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Conradi, Hermann: Adam Mensch. Leipzig, [1889].

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gewesen um diese Wahrheiten. Sie hatten ihn so
ganz erfüllt. So ganz. In einer großen Stunde
hatte er sie herausgeschüttelt und aufs Papier gesetzt
mit dem glühenden Enthusiasmus des Triumphators,
der überwunden hat, der wunschlos geworden
ist. Wunschlos! Wunschlos? Oh nein! Nicht wunsch-
los. Denn er hatte ja weitergelebt. Er hatte es
ja nach dieser gewaltigen Vereinheitlichung der Er-
kenntniß doch vermocht, weiterzuleben. Und was
heißt "weiterleben" anderes, als Zeit, Luft, Gelegen-
heit finden, tausend neue Wünsche zu gebären und nach
ihrer Erfüllung zu trachten? Das hatte er gethan.
Und es war ihm auch gar nicht so schwer gewor-
den, das zu thun. Als die Begeisterung der Stunde
vorüber, als das Seherauge sich geschlossen, hatte ihn
die klammernde Nesselwelt der kleinen Alltagspflichten
wieder eng und compromißlüstern gestimmt. Das
"Verrath" an sich zu nennen -- nun! ein Schwärmer
konnte sich diesen tauben, unfruchtbaren Luxus wohl
gestatten. War er aber ein Schwärmer? War er's
geblieben? Kaum. Er war doch in Vielem recht
praktisch, recht positiv geworden. Er hatte doch
wieder Gefallen daran gefunden, tiefinnerste Genug-
thuung, von rothen Frauenlippen reife Küsse zu
pflücken, Frauenreize mit vollendeter Virtuosität,
mit feinster ästhetischer Differenzirtheit zu genießen.
Nein! die Psalmen und Dithyramben, die der große
Lyriker, der Frühling, zu singen wußte, sie tönten
nicht wirkungslos an ihm vorüber. Er verstand die
einfach-üppige, massive Epik des Sommers .. und

geweſen um dieſe Wahrheiten. Sie hatten ihn ſo
ganz erfüllt. So ganz. In einer großen Stunde
hatte er ſie herausgeſchüttelt und aufs Papier geſetzt
mit dem glühenden Enthuſiasmus des Triumphators,
der überwunden hat, der wunſchlos geworden
iſt. Wunſchlos! Wunſchlos? Oh nein! Nicht wunſch-
los. Denn er hatte ja weitergelebt. Er hatte es
ja nach dieſer gewaltigen Vereinheitlichung der Er-
kenntniß doch vermocht, weiterzuleben. Und was
heißt „weiterleben“ anderes, als Zeit, Luft, Gelegen-
heit finden, tauſend neue Wünſche zu gebären und nach
ihrer Erfüllung zu trachten? Das hatte er gethan.
Und es war ihm auch gar nicht ſo ſchwer gewor-
den, das zu thun. Als die Begeiſterung der Stunde
vorüber, als das Seherauge ſich geſchloſſen, hatte ihn
die klammernde Neſſelwelt der kleinen Alltagspflichten
wieder eng und compromißlüſtern geſtimmt. Das
„Verrath“ an ſich zu nennen — nun! ein Schwärmer
konnte ſich dieſen tauben, unfruchtbaren Luxus wohl
geſtatten. War er aber ein Schwärmer? War er's
geblieben? Kaum. Er war doch in Vielem recht
praktiſch, recht poſitiv geworden. Er hatte doch
wieder Gefallen daran gefunden, tiefinnerſte Genug-
thuung, von rothen Frauenlippen reife Küſſe zu
pflücken, Frauenreize mit vollendeter Virtuoſität,
mit feinſter äſthetiſcher Differenzirtheit zu genießen.
Nein! die Pſalmen und Dithyramben, die der große
Lyriker, der Frühling, zu ſingen wußte, ſie tönten
nicht wirkungslos an ihm vorüber. Er verſtand die
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[360/0368] geweſen um dieſe Wahrheiten. Sie hatten ihn ſo ganz erfüllt. So ganz. In einer großen Stunde hatte er ſie herausgeſchüttelt und aufs Papier geſetzt mit dem glühenden Enthuſiasmus des Triumphators, der überwunden hat, der wunſchlos geworden iſt. Wunſchlos! Wunſchlos? Oh nein! Nicht wunſch- los. Denn er hatte ja weitergelebt. Er hatte es ja nach dieſer gewaltigen Vereinheitlichung der Er- kenntniß doch vermocht, weiterzuleben. Und was heißt „weiterleben“ anderes, als Zeit, Luft, Gelegen- heit finden, tauſend neue Wünſche zu gebären und nach ihrer Erfüllung zu trachten? Das hatte er gethan. Und es war ihm auch gar nicht ſo ſchwer gewor- den, das zu thun. Als die Begeiſterung der Stunde vorüber, als das Seherauge ſich geſchloſſen, hatte ihn die klammernde Neſſelwelt der kleinen Alltagspflichten wieder eng und compromißlüſtern geſtimmt. Das „Verrath“ an ſich zu nennen — nun! ein Schwärmer konnte ſich dieſen tauben, unfruchtbaren Luxus wohl geſtatten. War er aber ein Schwärmer? War er's geblieben? Kaum. Er war doch in Vielem recht praktiſch, recht poſitiv geworden. Er hatte doch wieder Gefallen daran gefunden, tiefinnerſte Genug- thuung, von rothen Frauenlippen reife Küſſe zu pflücken, Frauenreize mit vollendeter Virtuoſität, mit feinſter äſthetiſcher Differenzirtheit zu genießen. Nein! die Pſalmen und Dithyramben, die der große Lyriker, der Frühling, zu ſingen wußte, ſie tönten nicht wirkungslos an ihm vorüber. Er verſtand die einfach-üppige, maſſive Epik des Sommers .. und

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Zitationshilfe: Conradi, Hermann: Adam Mensch. Leipzig, [1889], S. 360. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/conradi_adam_1889/368>, abgerufen am 25.11.2024.