Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Conradi, Hermann: Adam Mensch. Leipzig, [1889].

Bild:
<< vorherige Seite


geben. Die Harpyen der nackten Wirklichkeit, der
lebendigen Lebensverlockung, sitzen mir immer noch
auf den Fersen. Ja! Und hier finde ich den Muth
und vor Allem, denke ich, das Wort, das mich er-
klärt
und mich erlöst!. Zu Vieles und zu Großes
-- zu Gewaltiges und schrankenlos Ueberirdisches,
Uebermenschliches hab' ich gewollt und in
tausend glorreichen Visionen und Stimmungen ge-
ahnt und gedacht .. Aber daß mir die gemeine Welt
mein Fühlen und Nachfühlen und feinstes Hinein-
fühlen in das Getriebe der Ideen plump verleiden
mußte, indem sie mich zu dem Drange des Hand-
werkers erzog
: das Uebermenschliche, Unsagbare
mit den kargen Elementen, mit den lächerlich noth-
dürftigen Werkzeugen, die wir besitzen, festhalten und
bannen zu wollen! Oh! Wie noch in dieser meiner
letzten, meiner heiligsten Stunde der Stachel der
Weltreize in meine zusammenschauernde Seele sticht!
Fassen das Unfaßbare! Oh! Ich hatte eine
Furcht vor der Uebermittelung meiner reinsten
Seelenkräfte an die Strömungen freier, urgeborener
Ideen! Ich hatte eine Furcht -- denn die Sclaven-
kette umschlotterte meine Füße, wenn ich in die Be-
zirke trat, wo die Freiheit athmete und mit kosmi-
schen Reizen um mich warb. Durchschaut -- so
bis auf Kern und Axe hatte ich alles Irdische, alles
irdisch Lockende und Blendende, Betäubende und
Werbende durchschaut -- und doch warf mich immer
und immer wieder der Drang -- die Selbsttäu-
schung
in die Arme einer brutalen Selbstent-

Conradi, Adam Mensch. 23


geben. Die Harpyen der nackten Wirklichkeit, der
lebendigen Lebensverlockung, ſitzen mir immer noch
auf den Ferſen. Ja! Und hier finde ich den Muth
und vor Allem, denke ich, das Wort, das mich er-
klärt
und mich erlöſt!. Zu Vieles und zu Großes
— zu Gewaltiges und ſchrankenlos Ueberirdiſches,
Uebermenſchliches hab' ich gewollt und in
tauſend glorreichen Viſionen und Stimmungen ge-
ahnt und gedacht .. Aber daß mir die gemeine Welt
mein Fühlen und Nachfühlen und feinſtes Hinein-
fühlen in das Getriebe der Ideen plump verleiden
mußte, indem ſie mich zu dem Drange des Hand-
werkers erzog
: das Uebermenſchliche, Unſagbare
mit den kargen Elementen, mit den lächerlich noth-
dürftigen Werkzeugen, die wir beſitzen, feſthalten und
bannen zu wollen! Oh! Wie noch in dieſer meiner
letzten, meiner heiligſten Stunde der Stachel der
Weltreize in meine zuſammenſchauernde Seele ſticht!
Faſſen das Unfaßbare! Oh! Ich hatte eine
Furcht vor der Uebermittelung meiner reinſten
Seelenkräfte an die Strömungen freier, urgeborener
Ideen! Ich hatte eine Furcht — denn die Sclaven-
kette umſchlotterte meine Füße, wenn ich in die Be-
zirke trat, wo die Freiheit athmete und mit kosmi-
ſchen Reizen um mich warb. Durchſchaut — ſo
bis auf Kern und Axe hatte ich alles Irdiſche, alles
irdiſch Lockende und Blendende, Betäubende und
Werbende durchſchaut — und doch warf mich immer
und immer wieder der Drang — die Selbſttäu-
ſchung
in die Arme einer brutalen Selbſtent-

Conradi, Adam Menſch. 23
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <floatingText>
          <body>
            <div n="1">
              <p><pb facs="#f0361" n="353"/><lb/>
geben. Die Harpyen der nackten Wirklichkeit, der<lb/>
lebendigen Lebensverlockung, &#x017F;itzen mir immer noch<lb/>
auf den Fer&#x017F;en. Ja! Und hier finde ich den Muth<lb/>
und vor Allem, denke ich, das Wort, das mich <hi rendition="#g">er-<lb/>
klärt</hi> und mich <hi rendition="#g">erlö&#x017F;t</hi>!. Zu Vieles und zu Großes<lb/>
&#x2014; zu Gewaltiges und &#x017F;chrankenlos Ueberirdi&#x017F;ches,<lb/><hi rendition="#g">Uebermen&#x017F;chliches</hi> hab' ich gewollt und in<lb/>
tau&#x017F;end glorreichen Vi&#x017F;ionen und Stimmungen ge-<lb/>
ahnt und gedacht .. Aber daß mir die gemeine Welt<lb/>
mein Fühlen und Nachfühlen und fein&#x017F;tes Hinein-<lb/>
fühlen in das Getriebe der Ideen plump verleiden<lb/>
mußte, indem &#x017F;ie mich zu dem Drange des <hi rendition="#g">Hand-<lb/>
werkers erzog</hi>: das Uebermen&#x017F;chliche, Un&#x017F;agbare<lb/>
mit den kargen Elementen, mit den lächerlich noth-<lb/>
dürftigen Werkzeugen, die wir be&#x017F;itzen, fe&#x017F;thalten und<lb/>
bannen zu wollen! Oh! Wie noch in die&#x017F;er meiner<lb/>
letzten, meiner heilig&#x017F;ten Stunde der Stachel der<lb/>
Weltreize in meine zu&#x017F;ammen&#x017F;chauernde Seele &#x017F;ticht!<lb/><hi rendition="#g">Fa&#x017F;&#x017F;en das Unfaßbare</hi>! Oh! Ich hatte eine<lb/><hi rendition="#g">Furcht</hi> vor der Uebermittelung meiner rein&#x017F;ten<lb/>
Seelenkräfte an die Strömungen freier, urgeborener<lb/>
Ideen! Ich hatte eine Furcht &#x2014; denn die Sclaven-<lb/>
kette um&#x017F;chlotterte meine Füße, wenn ich in die Be-<lb/>
zirke trat, wo die Freiheit athmete und mit kosmi-<lb/>
&#x017F;chen Reizen um mich warb. <hi rendition="#g">Durch&#x017F;chaut</hi> &#x2014; &#x017F;o<lb/>
bis auf Kern und Axe hatte ich alles Irdi&#x017F;che, alles<lb/>
irdi&#x017F;ch Lockende und Blendende, Betäubende und<lb/>
Werbende durch&#x017F;chaut &#x2014; und doch warf mich immer<lb/>
und immer wieder der Drang &#x2014; die <hi rendition="#g">Selb&#x017F;ttäu-<lb/>
&#x017F;chung</hi> in die Arme einer brutalen <hi rendition="#g">Selb&#x017F;tent-<lb/>
<fw place="bottom" type="sig"><hi rendition="#g">Conradi</hi>, Adam Men&#x017F;ch. 23</fw><lb/></hi></p>
            </div>
          </body>
        </floatingText>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[353/0361] geben. Die Harpyen der nackten Wirklichkeit, der lebendigen Lebensverlockung, ſitzen mir immer noch auf den Ferſen. Ja! Und hier finde ich den Muth und vor Allem, denke ich, das Wort, das mich er- klärt und mich erlöſt!. Zu Vieles und zu Großes — zu Gewaltiges und ſchrankenlos Ueberirdiſches, Uebermenſchliches hab' ich gewollt und in tauſend glorreichen Viſionen und Stimmungen ge- ahnt und gedacht .. Aber daß mir die gemeine Welt mein Fühlen und Nachfühlen und feinſtes Hinein- fühlen in das Getriebe der Ideen plump verleiden mußte, indem ſie mich zu dem Drange des Hand- werkers erzog: das Uebermenſchliche, Unſagbare mit den kargen Elementen, mit den lächerlich noth- dürftigen Werkzeugen, die wir beſitzen, feſthalten und bannen zu wollen! Oh! Wie noch in dieſer meiner letzten, meiner heiligſten Stunde der Stachel der Weltreize in meine zuſammenſchauernde Seele ſticht! Faſſen das Unfaßbare! Oh! Ich hatte eine Furcht vor der Uebermittelung meiner reinſten Seelenkräfte an die Strömungen freier, urgeborener Ideen! Ich hatte eine Furcht — denn die Sclaven- kette umſchlotterte meine Füße, wenn ich in die Be- zirke trat, wo die Freiheit athmete und mit kosmi- ſchen Reizen um mich warb. Durchſchaut — ſo bis auf Kern und Axe hatte ich alles Irdiſche, alles irdiſch Lockende und Blendende, Betäubende und Werbende durchſchaut — und doch warf mich immer und immer wieder der Drang — die Selbſttäu- ſchung in die Arme einer brutalen Selbſtent- Conradi, Adam Menſch. 23

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/conradi_adam_1889
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/conradi_adam_1889/361
Zitationshilfe: Conradi, Hermann: Adam Mensch. Leipzig, [1889], S. 353. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/conradi_adam_1889/361>, abgerufen am 24.11.2024.