mit der Zeit immermehr gefeit glaubte. Ich habe ja doppelt .. Doppeltes verloren. Ich mache Ihnen keinen Vorwurf. In dieser langen, schlaflosen Leidensnacht, die ich hinter mir habe -- möge Ihnen das Schicksal solche Nächte ersparen, Herr Doctor! -- in dieser Nacht ist mir auch wieder so Manches eingefallen, was Sie gestern Abend in unserem Gespräche geäußert .. da ist mir erst klar geworden, wie Sie Verschiedenes eigentlich gemeint haben. Vieles wird so verständlicher. Was zwischen Ihnen und meinem armen Kinde sonst noch vor- gefallen ist -- das mögen Sie vor sich selber ver- antworten .. beide .. gegenseitig. Ich will wenigstens versuchen, Herr Doctor, Ihnen zu vertrauen. Man urtheilt ja immer nur aus der Enge bestimmter, vorliegender Verhältnisse heraus. Wenn Hedwig von mir gehen will -- und sie hats ja bewiesen, daß sie 's kann -- -- ich muß mein Kind ziehen lassen -- ich habe nicht das Recht zu verlangen, daß es bei einer Ruine, die man nur studiren, aber nicht anbeten soll, wie Sie gestern Abend sagten, Herr Doctor -- daß es da noch mehr ver- kümmern soll, als es vielleicht schon ist. Ich bin heute Nacht, als ich .. beim Ausbruch des Ge- witters .. nach meiner Tochter rief -- und sie nicht kam -- und ich dann entdecken mußte, daß sie mich verlassen hatte -- -- -- nachher dann -- da habe ich -- da kamen dann Stunden, wo ich um Vieles wieder menschlicher geworden bin, wenn ich so sagen darf ... Auch mein Trost in der
mit der Zeit immermehr gefeit glaubte. Ich habe ja doppelt .. Doppeltes verloren. Ich mache Ihnen keinen Vorwurf. In dieſer langen, ſchlafloſen Leidensnacht, die ich hinter mir habe — möge Ihnen das Schickſal ſolche Nächte erſparen, Herr Doctor! — in dieſer Nacht iſt mir auch wieder ſo Manches eingefallen, was Sie geſtern Abend in unſerem Geſpräche geäußert .. da iſt mir erſt klar geworden, wie Sie Verſchiedenes eigentlich gemeint haben. Vieles wird ſo verſtändlicher. Was zwiſchen Ihnen und meinem armen Kinde ſonſt noch vor- gefallen iſt — das mögen Sie vor ſich ſelber ver- antworten .. beide .. gegenſeitig. Ich will wenigſtens verſuchen, Herr Doctor, Ihnen zu vertrauen. Man urtheilt ja immer nur aus der Enge beſtimmter, vorliegender Verhältniſſe heraus. Wenn Hedwig von mir gehen will — und ſie hats ja bewieſen, daß ſie 's kann — — ich muß mein Kind ziehen laſſen — ich habe nicht das Recht zu verlangen, daß es bei einer Ruine, die man nur ſtudiren, aber nicht anbeten ſoll, wie Sie geſtern Abend ſagten, Herr Doctor — daß es da noch mehr ver- kümmern ſoll, als es vielleicht ſchon iſt. Ich bin heute Nacht, als ich .. beim Ausbruch des Ge- witters .. nach meiner Tochter rief — und ſie nicht kam — und ich dann entdecken mußte, daß ſie mich verlaſſen hatte — — — nachher dann — da habe ich — da kamen dann Stunden, wo ich um Vieles wieder menſchlicher geworden bin, wenn ich ſo ſagen darf ... Auch mein Troſt in der
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mit der Zeit immermehr gefeit glaubte. Ich habe
ja doppelt .. Doppeltes verloren. Ich mache Ihnen
keinen Vorwurf. In dieſer langen, ſchlafloſen
Leidensnacht, die ich hinter mir habe — möge
Ihnen das Schickſal ſolche Nächte erſparen, Herr
Doctor! — in dieſer Nacht iſt mir auch wieder
ſo Manches eingefallen, was Sie geſtern Abend in
unſerem Geſpräche geäußert .. da iſt mir erſt klar
geworden, wie Sie Verſchiedenes eigentlich gemeint
haben. Vieles wird ſo verſtändlicher. Was zwiſchen
Ihnen und meinem armen Kinde ſonſt noch vor-
gefallen iſt — das mögen Sie vor ſich ſelber ver-
antworten .. beide .. gegenſeitig. Ich will wenigſtens
verſuchen, Herr Doctor, Ihnen zu vertrauen. Man
urtheilt ja immer nur aus der Enge beſtimmter,
vorliegender Verhältniſſe heraus. Wenn Hedwig
von mir gehen will — und ſie hats ja bewieſen,
daß ſie 's kann — — ich muß mein Kind ziehen
laſſen — ich habe nicht das Recht zu verlangen,
daß es bei einer Ruine, die man nur ſtudiren,
aber nicht anbeten ſoll, wie Sie geſtern Abend
ſagten, Herr Doctor — daß es da noch mehr ver-
kümmern ſoll, als es vielleicht ſchon iſt. Ich bin
heute Nacht, als ich .. beim Ausbruch des Ge-
witters .. nach meiner Tochter rief — und ſie
nicht kam — und ich dann entdecken mußte, daß
ſie mich verlaſſen hatte — — — nachher dann —
da habe ich — da kamen dann Stunden, wo ich
um Vieles wieder menſchlicher geworden bin, wenn
ich ſo ſagen darf ... Auch mein Troſt in der
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Conradi, Hermann: Adam Mensch. Leipzig, [1889], S. 333. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/conradi_adam_1889/341>, abgerufen am 22.11.2024.
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