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Conradi, Hermann: Adam Mensch. Leipzig, [1889].

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Adam ging langsam die Treppen hinunter. Das
Gehen wurde ihm schwer. Er fühlte sich doch noch
recht unbehaglich, so unruhig, schwül, wie charpie-
zerzupft. Wie ein Träumender ging er langsam
durch das Leben der Straße. Er konnte sich nicht
in das Treiben der Dinge um ihn herum hinein-
fühlen. Alles gurgelte hohl und dumpf an ihm
vorüber, huschte und flirrte wie Schatten an
ihm vorbei. Eine dicke, unerklärliche, nur matt
transparente Schicht trennte ihn von Allem, was
ihn umgab .. eine Schicht, die er fast physio-
logisch als eine schwankende, gallertartige, milchweiße
Substanz wahrnahm. Er war ganz auf sich ange-
wiesen, auf sich zurückgedrängt, in sich hineingeschoben.
Das Alles, was da vor ihm, neben ihm, hinter ihm
geschah, hatte keine Beziehungen zu ihm, ging ihn
nichts an, das Alles verstand er nicht. Und nach
einer halben Stunde ging er wiederum sehr lang-
sam
die Treppe zu Irmers Wohnung hinauf. In
seinen Schläfen stach und zerrte es heftig. Nun
stand er schwer athmend oben und hatte das blanke,
messinggelbe Namensschild vor sich und daneben den
kleinen, weißen, flachausgehöhlten Porzellanknopf der
elektrischen Klingel. Pfui! Wie der Kerl mit seiner ein-
gedrückten Glatze grinste! Adam stand vor der Entschei-
dung. Er horchte einen Augenblick gespannt, ob er hin-
ter dieser Thür verdächtige, auffällige Geräuschzeichen
wahrnähme. Es war Alles todtenstill. Das stimmte
ihn noch ernster, schwerer, machte ihn noch muthloser,
erfüllte ihn mit bangen Ahnungen, Erwartungen,

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Adam ging langſam die Treppen hinunter. Das
Gehen wurde ihm ſchwer. Er fühlte ſich doch noch
recht unbehaglich, ſo unruhig, ſchwül, wie charpie-
zerzupft. Wie ein Träumender ging er langſam
durch das Leben der Straße. Er konnte ſich nicht
in das Treiben der Dinge um ihn herum hinein-
fühlen. Alles gurgelte hohl und dumpf an ihm
vorüber, huſchte und flirrte wie Schatten an
ihm vorbei. Eine dicke, unerklärliche, nur matt
transparente Schicht trennte ihn von Allem, was
ihn umgab .. eine Schicht, die er faſt phyſio-
logiſch als eine ſchwankende, gallertartige, milchweiße
Subſtanz wahrnahm. Er war ganz auf ſich ange-
wieſen, auf ſich zurückgedrängt, in ſich hineingeſchoben.
Das Alles, was da vor ihm, neben ihm, hinter ihm
geſchah, hatte keine Beziehungen zu ihm, ging ihn
nichts an, das Alles verſtand er nicht. Und nach
einer halben Stunde ging er wiederum ſehr lang-
ſam
die Treppe zu Irmers Wohnung hinauf. In
ſeinen Schläfen ſtach und zerrte es heftig. Nun
ſtand er ſchwer athmend oben und hatte das blanke,
meſſinggelbe Namensſchild vor ſich und daneben den
kleinen, weißen, flachausgehöhlten Porzellanknopf der
elektriſchen Klingel. Pfui! Wie der Kerl mit ſeiner ein-
gedrückten Glatze grinſte! Adam ſtand vor der Entſchei-
dung. Er horchte einen Augenblick geſpannt, ob er hin-
ter dieſer Thür verdächtige, auffällige Geräuſchzeichen
wahrnähme. Es war Alles todtenſtill. Das ſtimmte
ihn noch ernſter, ſchwerer, machte ihn noch muthloſer,
erfüllte ihn mit bangen Ahnungen, Erwartungen,

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[323/0331] Adam ging langſam die Treppen hinunter. Das Gehen wurde ihm ſchwer. Er fühlte ſich doch noch recht unbehaglich, ſo unruhig, ſchwül, wie charpie- zerzupft. Wie ein Träumender ging er langſam durch das Leben der Straße. Er konnte ſich nicht in das Treiben der Dinge um ihn herum hinein- fühlen. Alles gurgelte hohl und dumpf an ihm vorüber, huſchte und flirrte wie Schatten an ihm vorbei. Eine dicke, unerklärliche, nur matt transparente Schicht trennte ihn von Allem, was ihn umgab .. eine Schicht, die er faſt phyſio- logiſch als eine ſchwankende, gallertartige, milchweiße Subſtanz wahrnahm. Er war ganz auf ſich ange- wieſen, auf ſich zurückgedrängt, in ſich hineingeſchoben. Das Alles, was da vor ihm, neben ihm, hinter ihm geſchah, hatte keine Beziehungen zu ihm, ging ihn nichts an, das Alles verſtand er nicht. Und nach einer halben Stunde ging er wiederum ſehr lang- ſam die Treppe zu Irmers Wohnung hinauf. In ſeinen Schläfen ſtach und zerrte es heftig. Nun ſtand er ſchwer athmend oben und hatte das blanke, meſſinggelbe Namensſchild vor ſich und daneben den kleinen, weißen, flachausgehöhlten Porzellanknopf der elektriſchen Klingel. Pfui! Wie der Kerl mit ſeiner ein- gedrückten Glatze grinſte! Adam ſtand vor der Entſchei- dung. Er horchte einen Augenblick geſpannt, ob er hin- ter dieſer Thür verdächtige, auffällige Geräuſchzeichen wahrnähme. Es war Alles todtenſtill. Das ſtimmte ihn noch ernſter, ſchwerer, machte ihn noch muthloſer, erfüllte ihn mit bangen Ahnungen, Erwartungen, 21*

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Zitationshilfe: Conradi, Hermann: Adam Mensch. Leipzig, [1889], S. 323. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/conradi_adam_1889/331>, abgerufen am 12.05.2024.