"Nun -- wie fühlt sich die gnädige Frau? Mir ist nicht so besonders -- ich weiß nicht, aber --"
Hedwig nahm die Hände von den Augen. Lang- sam wandte sie ihr Gesicht mit den bleichen, über- nächtigten Zügen und dem schweren, verthränten Blick Adam zu. Das arme Weib schien ganz muth- los, ganz "hin" zu sein. Sich im Bette eines fremden Mannes zu finden -- ihm mußte doch auch die Scham in der Seele brennen --
"Mein Lieb --!"
"Das überlebe ich nicht, Adam! Mein armer -- armer Vater --!"
"Nur Muth, Hedwig! Es wird schon schief gehen -- pardon! wollte sagen: es wird sich Alles schon machen. Schlimmsten Fall's -- also -- Du hast ja immer -- hast ja immer an mir Halt und Stütze! Wir werden's schon überstehen. Es wird noch Alles gut werden -- laß nur jetzt den Kopf nicht zu tief hängen, Kind! . Und komm! steh' auf! Du kannst hier ganz ungenirt Toilette machen. Alles Nöthige wirst Du finden. Es wäre ja nicht das erste Mal, daß eine Da -- -- -- man ist für solche Fälle eben vorbereitet, wie es sich geziemt .." Der an- gefügte Nachsatz sollte wie ein harmloser Scherz klingen und war doch eine unwillkürlich beabsichtigte Bos- heit. Der Herr Doctor mußte sich in dieser Richtung leider nur zu oft gehen lassen. Es war beinahe, als ob nur die vasamotorischen Nerven diesen Reflex auslösten, und der Wille nicht einmal die Freiheit mehr besaß, unfrei zu sein.
„Nun — wie fühlt ſich die gnädige Frau? Mir iſt nicht ſo beſonders — ich weiß nicht, aber —“
Hedwig nahm die Hände von den Augen. Lang- ſam wandte ſie ihr Geſicht mit den bleichen, über- nächtigten Zügen und dem ſchweren, verthränten Blick Adam zu. Das arme Weib ſchien ganz muth- los, ganz „hin“ zu ſein. Sich im Bette eines fremden Mannes zu finden — ihm mußte doch auch die Scham in der Seele brennen —
„Mein Lieb —!“
„Das überlebe ich nicht, Adam! Mein armer — armer Vater —!“
„Nur Muth, Hedwig! Es wird ſchon ſchief gehen — pardon! wollte ſagen: es wird ſich Alles ſchon machen. Schlimmſten Fall's — alſo — Du haſt ja immer — haſt ja immer an mir Halt und Stütze! Wir werden's ſchon überſtehen. Es wird noch Alles gut werden — laß nur jetzt den Kopf nicht zu tief hängen, Kind! . Und komm! ſteh' auf! Du kannſt hier ganz ungenirt Toilette machen. Alles Nöthige wirſt Du finden. Es wäre ja nicht das erſte Mal, daß eine Da — — — man iſt für ſolche Fälle eben vorbereitet, wie es ſich geziemt ..“ Der an- gefügte Nachſatz ſollte wie ein harmloſer Scherz klingen und war doch eine unwillkürlich beabſichtigte Bos- heit. Der Herr Doctor mußte ſich in dieſer Richtung leider nur zu oft gehen laſſen. Es war beinahe, als ob nur die vaſamotoriſchen Nerven dieſen Reflex auslöſten, und der Wille nicht einmal die Freiheit mehr beſaß, unfrei zu ſein.
<TEI><text><body><divn="1"><pbfacs="#f0311"n="303"/><lb/><p>„Nun — wie fühlt ſich die gnädige Frau?<lb/>
Mir iſt nicht ſo beſonders — ich weiß nicht, aber —“</p><lb/><p>Hedwig nahm die Hände von den Augen. Lang-<lb/>ſam wandte ſie ihr Geſicht mit den bleichen, über-<lb/>
nächtigten Zügen und dem ſchweren, verthränten<lb/>
Blick Adam zu. Das arme Weib ſchien ganz muth-<lb/>
los, ganz „hin“ zu ſein. Sich im Bette eines<lb/>
fremden Mannes zu finden — ihm mußte doch auch<lb/>
die Scham in der Seele brennen —</p><lb/><p>„Mein Lieb —!“</p><lb/><p>„Das überlebe ich nicht, Adam! Mein armer —<lb/>
armer Vater —!“</p><lb/><p>„Nur Muth, Hedwig! Es wird ſchon ſchief gehen<lb/>— pardon! wollte ſagen: es wird ſich Alles ſchon<lb/>
machen. Schlimmſten Fall's — alſo — Du haſt<lb/>
ja immer — haſt ja immer an mir Halt und<lb/>
Stütze! Wir werden's ſchon überſtehen. Es wird<lb/>
noch Alles gut werden — laß nur jetzt den Kopf<lb/>
nicht <hirendition="#g">zu</hi> tief hängen, Kind! . Und komm! ſteh' auf!<lb/>
Du kannſt hier ganz ungenirt Toilette machen. Alles<lb/>
Nöthige wirſt Du finden. Es wäre ja nicht das<lb/>
erſte Mal, daß eine Da ——— man iſt für ſolche<lb/>
Fälle eben vorbereitet, wie es ſich geziemt ..“ Der an-<lb/>
gefügte Nachſatz ſollte wie ein harmloſer Scherz klingen<lb/>
und war doch eine unwillkürlich beabſichtigte Bos-<lb/>
heit. Der Herr Doctor mußte ſich in dieſer Richtung<lb/>
leider nur zu oft gehen laſſen. Es war beinahe,<lb/>
als ob nur die vaſamotoriſchen Nerven dieſen Reflex<lb/>
auslöſten, und der Wille nicht einmal die Freiheit<lb/>
mehr beſaß, unfrei zu <choice><sic>ſei</sic><corr>ſein</corr></choice>.</p><lb/></div></body></text></TEI>
[303/0311]
„Nun — wie fühlt ſich die gnädige Frau?
Mir iſt nicht ſo beſonders — ich weiß nicht, aber —“
Hedwig nahm die Hände von den Augen. Lang-
ſam wandte ſie ihr Geſicht mit den bleichen, über-
nächtigten Zügen und dem ſchweren, verthränten
Blick Adam zu. Das arme Weib ſchien ganz muth-
los, ganz „hin“ zu ſein. Sich im Bette eines
fremden Mannes zu finden — ihm mußte doch auch
die Scham in der Seele brennen —
„Mein Lieb —!“
„Das überlebe ich nicht, Adam! Mein armer —
armer Vater —!“
„Nur Muth, Hedwig! Es wird ſchon ſchief gehen
— pardon! wollte ſagen: es wird ſich Alles ſchon
machen. Schlimmſten Fall's — alſo — Du haſt
ja immer — haſt ja immer an mir Halt und
Stütze! Wir werden's ſchon überſtehen. Es wird
noch Alles gut werden — laß nur jetzt den Kopf
nicht zu tief hängen, Kind! . Und komm! ſteh' auf!
Du kannſt hier ganz ungenirt Toilette machen. Alles
Nöthige wirſt Du finden. Es wäre ja nicht das
erſte Mal, daß eine Da — — — man iſt für ſolche
Fälle eben vorbereitet, wie es ſich geziemt ..“ Der an-
gefügte Nachſatz ſollte wie ein harmloſer Scherz klingen
und war doch eine unwillkürlich beabſichtigte Bos-
heit. Der Herr Doctor mußte ſich in dieſer Richtung
leider nur zu oft gehen laſſen. Es war beinahe,
als ob nur die vaſamotoriſchen Nerven dieſen Reflex
auslöſten, und der Wille nicht einmal die Freiheit
mehr beſaß, unfrei zu ſein.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Conradi, Hermann: Adam Mensch. Leipzig, [1889], S. 303. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/conradi_adam_1889/311>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.