stand! Das war allerdings sehr peinlich. Und wenn er sich noch wohler und freier gefühlt hätte! Aber holprig und langsam war sein Denken, mühsam vorwärtskriechend und nur ganz obenhin die Dinge des Lebens betastend. Immer beschäftigte ihn nur das Nächste. Alle seine Bewegungen waren schwerfällig, träge, vollzogen sich widerwillig. Eine filzige Zähig- keit und zugleich eine nervöse, unregelmäßige Be- wegungssucht, eine zitternde Unruhe spukten in seinen Gliedern, die wie dicker Brei gern in ihren Lagen ver- harren wollten und diese doch stetig zu wechseln strebten. Seine Hände waren schwammig und aufge- quollen, seine Gesichtslinien an einzelnen Stellen, um Augen und Nase herum, schärfer markirt und zugleich widerlich verwischt. Die Lippen trocken, spröde, auf der Zunge stand ein fader, dürrer, kiesig prickelnder Sand- geschmack, die Stirn brannte von einem pressenden Drucke. Oefter mußte Adam gähnen, aber seine Kiefer schienen alle Biegsamkeit und Spannung verloren zu haben. Die Kopfhaut schmerzte, als wäre sie von einem Heere engzusammenstehender Stecknadeln durchlöchert. Zu jeder Handlung mußte sich Adam besonders zwingen. Alle Reibungen des geistigen und des thatsächlichen, praktischen Kleinlebens reizten ihn mit gesteigerter Intensität. Dabei besaß Nichts ein tieferes Interesse mehr für ihn .. und Alles, was ihn sonst zum Denken, Bedenken, Betrachten heraus- forderte, hatte Wert, Inhalt, Form und Farbe verloren.
Adam wusch sich Gesicht und Hände und schellte.
ſtand! Das war allerdings ſehr peinlich. Und wenn er ſich noch wohler und freier gefühlt hätte! Aber holprig und langſam war ſein Denken, mühſam vorwärtskriechend und nur ganz obenhin die Dinge des Lebens betaſtend. Immer beſchäftigte ihn nur das Nächſte. Alle ſeine Bewegungen waren ſchwerfällig, träge, vollzogen ſich widerwillig. Eine filzige Zähig- keit und zugleich eine nervöſe, unregelmäßige Be- wegungsſucht, eine zitternde Unruhe ſpukten in ſeinen Gliedern, die wie dicker Brei gern in ihren Lagen ver- harren wollten und dieſe doch ſtetig zu wechſeln ſtrebten. Seine Hände waren ſchwammig und aufge- quollen, ſeine Geſichtslinien an einzelnen Stellen, um Augen und Naſe herum, ſchärfer markirt und zugleich widerlich verwiſcht. Die Lippen trocken, ſpröde, auf der Zunge ſtand ein fader, dürrer, kieſig prickelnder Sand- geſchmack, die Stirn brannte von einem preſſenden Drucke. Oefter mußte Adam gähnen, aber ſeine Kiefer ſchienen alle Biegſamkeit und Spannung verloren zu haben. Die Kopfhaut ſchmerzte, als wäre ſie von einem Heere engzuſammenſtehender Stecknadeln durchlöchert. Zu jeder Handlung mußte ſich Adam beſonders zwingen. Alle Reibungen des geiſtigen und des thatſächlichen, praktiſchen Kleinlebens reizten ihn mit geſteigerter Intenſität. Dabei beſaß Nichts ein tieferes Intereſſe mehr für ihn .. und Alles, was ihn ſonſt zum Denken, Bedenken, Betrachten heraus- forderte, hatte Wert, Inhalt, Form und Farbe verloren.
Adam wuſch ſich Geſicht und Hände und ſchellte.
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0309"n="301"/>ſtand! Das war allerdings <hirendition="#g">ſehr</hi> peinlich. Und<lb/>
wenn er ſich noch wohler und freier gefühlt hätte!<lb/>
Aber holprig und langſam war ſein Denken, mühſam<lb/>
vorwärtskriechend und nur ganz obenhin die Dinge<lb/>
des Lebens betaſtend. Immer beſchäftigte ihn nur das<lb/>
Nächſte. Alle ſeine Bewegungen waren ſchwerfällig,<lb/>
träge, vollzogen ſich widerwillig. Eine filzige Zähig-<lb/>
keit und zugleich eine nervöſe, unregelmäßige Be-<lb/>
wegungsſucht, eine zitternde Unruhe ſpukten in ſeinen<lb/>
Gliedern, die wie dicker Brei gern in ihren Lagen ver-<lb/>
harren wollten und dieſe doch ſtetig zu wechſeln<lb/>ſtrebten. Seine Hände waren ſchwammig und aufge-<lb/>
quollen, ſeine Geſichtslinien an einzelnen Stellen, um<lb/>
Augen und Naſe herum, ſchärfer markirt und zugleich<lb/>
widerlich verwiſcht. Die Lippen trocken, ſpröde, auf der<lb/>
Zunge ſtand ein fader, dürrer, kieſig prickelnder Sand-<lb/>
geſchmack, die Stirn brannte von einem preſſenden<lb/>
Drucke. Oefter mußte Adam gähnen, aber ſeine Kiefer<lb/>ſchienen alle Biegſamkeit und Spannung verloren zu<lb/>
haben. Die Kopfhaut ſchmerzte, als wäre ſie von einem<lb/>
Heere engzuſammenſtehender Stecknadeln durchlöchert.<lb/>
Zu jeder Handlung mußte ſich Adam beſonders<lb/>
zwingen. Alle Reibungen des geiſtigen und des<lb/>
thatſächlichen, praktiſchen Kleinlebens reizten ihn mit<lb/>
geſteigerter Intenſität. Dabei beſaß Nichts ein<lb/>
tieferes Intereſſe mehr für ihn .. und Alles, was<lb/>
ihn ſonſt zum Denken, Bedenken, Betrachten heraus-<lb/>
forderte, hatte Wert, Inhalt, Form und Farbe<lb/>
verloren.</p><lb/><p>Adam wuſch ſich Geſicht und Hände und ſchellte.</p><lb/></div></body></text></TEI>
[301/0309]
ſtand! Das war allerdings ſehr peinlich. Und
wenn er ſich noch wohler und freier gefühlt hätte!
Aber holprig und langſam war ſein Denken, mühſam
vorwärtskriechend und nur ganz obenhin die Dinge
des Lebens betaſtend. Immer beſchäftigte ihn nur das
Nächſte. Alle ſeine Bewegungen waren ſchwerfällig,
träge, vollzogen ſich widerwillig. Eine filzige Zähig-
keit und zugleich eine nervöſe, unregelmäßige Be-
wegungsſucht, eine zitternde Unruhe ſpukten in ſeinen
Gliedern, die wie dicker Brei gern in ihren Lagen ver-
harren wollten und dieſe doch ſtetig zu wechſeln
ſtrebten. Seine Hände waren ſchwammig und aufge-
quollen, ſeine Geſichtslinien an einzelnen Stellen, um
Augen und Naſe herum, ſchärfer markirt und zugleich
widerlich verwiſcht. Die Lippen trocken, ſpröde, auf der
Zunge ſtand ein fader, dürrer, kieſig prickelnder Sand-
geſchmack, die Stirn brannte von einem preſſenden
Drucke. Oefter mußte Adam gähnen, aber ſeine Kiefer
ſchienen alle Biegſamkeit und Spannung verloren zu
haben. Die Kopfhaut ſchmerzte, als wäre ſie von einem
Heere engzuſammenſtehender Stecknadeln durchlöchert.
Zu jeder Handlung mußte ſich Adam beſonders
zwingen. Alle Reibungen des geiſtigen und des
thatſächlichen, praktiſchen Kleinlebens reizten ihn mit
geſteigerter Intenſität. Dabei beſaß Nichts ein
tieferes Intereſſe mehr für ihn .. und Alles, was
ihn ſonſt zum Denken, Bedenken, Betrachten heraus-
forderte, hatte Wert, Inhalt, Form und Farbe
verloren.
Adam wuſch ſich Geſicht und Hände und ſchellte.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Conradi, Hermann: Adam Mensch. Leipzig, [1889], S. 301. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/conradi_adam_1889/309>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.