Adam wischte mit dem Taschentuche die Sternchen- zeichnungen von seinen Kneifergläsern, die der Regen dort aufgemalt hatte.
"Wo wollen Sie Platz nehmen, Herr Doctor --? Vielleicht hier auf dem Sopha, mein Fräulein --?"
"Ja! Bitte, Hedwig! Uebrigens mein Lieblings- platz -- nicht wahr, Herr Engler? Haben so manches Glas hier geschluckt .. in angenehmster Ge- sellschaft .. tempi passati! Nun müssen wir halt vernünftig werden. -- Aber schöne Stunden waren's doch --!"
Der Wirth schmunzelte. Er warf einen kurzen, scharfen Blick auf Hedwig. Und er sah sehr nach- denklich aus -- als zählte er im Geiste alle die Damen zusammen, mit denen sein lieber Stammgast, der Herr Doctor Mensch, schon bei ihm eingekehrt war und hier in dieser traulichen Ecke gesessen .. getrunken .. geplaudert .. gekost .. und wohl auch einmal geküßt hatte. Aber diese Dame da -- die sah doch gar nicht danach aus, daß sie -- hm! .. Nee! so'n blasses, ernstes, mageres Frauen- zimmer -- ohne Feuer und Leben -- Herr Engler konnte sich keinen Vers darauf machen ... Der Herr Doctor hatte doch sonst einen besseren Geschmack be- wiesen! Was ihm nur heute eingefallen war? Ja! Als er noch mit der Dame da drüben ... mit der Dame, die heute Abend am ander'n Ende des Zimmers an dem runden Marmortischchen mit dem eleganten Herrn zusammensaß -- -- ja! als der Herr Doctor Mensch noch mit diesem amusanten Dämchen ver-
Adam wiſchte mit dem Taſchentuche die Sternchen- zeichnungen von ſeinen Kneifergläſern, die der Regen dort aufgemalt hatte.
„Wo wollen Sie Platz nehmen, Herr Doctor —? Vielleicht hier auf dem Sopha, mein Fräulein —?“
„Ja! Bitte, Hedwig! Uebrigens mein Lieblings- platz — nicht wahr, Herr Engler? Haben ſo manches Glas hier geſchluckt .. in angenehmſter Ge- ſellſchaft .. tempi passati! Nun müſſen wir halt vernünftig werden. — Aber ſchöne Stunden waren's doch —!“
Der Wirth ſchmunzelte. Er warf einen kurzen, ſcharfen Blick auf Hedwig. Und er ſah ſehr nach- denklich aus — als zählte er im Geiſte alle die Damen zuſammen, mit denen ſein lieber Stammgaſt, der Herr Doctor Menſch, ſchon bei ihm eingekehrt war und hier in dieſer traulichen Ecke geſeſſen .. getrunken .. geplaudert .. gekoſt .. und wohl auch einmal geküßt hatte. Aber dieſe Dame da — die ſah doch gar nicht danach aus, daß ſie — hm! .. Nee! ſo'n blaſſes, ernſtes, mageres Frauen- zimmer — ohne Feuer und Leben — Herr Engler konnte ſich keinen Vers darauf machen ... Der Herr Doctor hatte doch ſonſt einen beſſeren Geſchmack be- wieſen! Was ihm nur heute eingefallen war? Ja! Als er noch mit der Dame da drüben ... mit der Dame, die heute Abend am ander'n Ende des Zimmers an dem runden Marmortiſchchen mit dem eleganten Herrn zuſammenſaß — — ja! als der Herr Doctor Menſch noch mit dieſem amuſanten Dämchen ver-
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Adam wiſchte mit dem Taſchentuche die Sternchen-
zeichnungen von ſeinen Kneifergläſern, die der Regen
dort aufgemalt hatte.
„Wo wollen Sie Platz nehmen, Herr Doctor —?
Vielleicht hier auf dem Sopha, mein Fräulein —?“
„Ja! Bitte, Hedwig! Uebrigens mein Lieblings-
platz — nicht wahr, Herr Engler? Haben ſo
manches Glas hier geſchluckt .. in angenehmſter Ge-
ſellſchaft .. tempi passati! Nun müſſen wir halt
vernünftig werden. — Aber ſchöne Stunden waren's
doch —!“
Der Wirth ſchmunzelte. Er warf einen kurzen,
ſcharfen Blick auf Hedwig. Und er ſah ſehr nach-
denklich aus — als zählte er im Geiſte alle die
Damen zuſammen, mit denen ſein lieber Stammgaſt,
der Herr Doctor Menſch, ſchon bei ihm eingekehrt
war und hier in dieſer traulichen Ecke geſeſſen ..
getrunken .. geplaudert .. gekoſt .. und wohl auch
einmal geküßt hatte. Aber dieſe Dame da —
die ſah doch gar nicht danach aus, daß ſie —
hm! .. Nee! ſo'n blaſſes, ernſtes, mageres Frauen-
zimmer — ohne Feuer und Leben — Herr Engler
konnte ſich keinen Vers darauf machen ... Der Herr
Doctor hatte doch ſonſt einen beſſeren Geſchmack be-
wieſen! Was ihm nur heute eingefallen war? Ja!
Als er noch mit der Dame da drüben ... mit der
Dame, die heute Abend am ander'n Ende des Zimmers
an dem runden Marmortiſchchen mit dem eleganten
Herrn zuſammenſaß — — ja! als der Herr Doctor
Menſch noch mit dieſem amuſanten Dämchen ver-
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Conradi, Hermann: Adam Mensch. Leipzig, [1889], S. 271. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/conradi_adam_1889/279>, abgerufen am 25.11.2024.
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