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Conradi, Hermann: Adam Mensch. Leipzig, [1889].

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noch .. wächst mit jeder Stunde, jeder Minute ...
Was ist denn Gegenwart schließlich Anderes, als
aufgesummte Vergangenheit --?"

"Dann ist es ein Verbrechen, Adam, das ein
Jeder von uns an sich und dem Andern be-
geht, wenn wir noch länger mit einander ver-
kehren --"

"Nimm doch die Sache nicht so tragisch, Hedwig!
Du kommst aus Deiner Sphäre -- ich aus meiner.
Die Lauflinien unseres Lebens haben sich gekreuzt ...
haben sich für uns durch einen Zufall gekreuzt. An
sich war es ja durch die Voraussetzungen -- und
die Vergangenheit ist auch in der Welt der neutralen
Objekte immer Voraussetzung der Gegenwart -- an
sich war es also bedingt, daß wir uns begegneten. Ge-
wisse Neigungen und Tendenzen zogen den Einen
zum Andern hin. Es ist ja Alles nur nothdürftigste
Anpassung in der Welt! Und weil das so ist --
nun, darum mußten wohl jene Neigungen und
Tendenzen schon einmal vorher durch andere Erschei-
nungen, die ihnen einigermaßen Wurzelbedingungen
boten, provocirt und ausgelöst werden. Ich nun
für meine Person -- - aber ich habe Dir ja
schon gesagt, Hedwig, daß ich immer schöne Formen,
merkwürdige Schicksale und eigenartige Charactere
geliebt habe ... Ich konnte nicht anders -- und
ich werde nie anders können. Und wirklich -- Du
darfst es glauben, Hedwig --: meine kleine Emmy
hat einen wundervollen Leib ... ist auch sonst nicht
übel -- nur eben viel geistiges, tieferes, verinner-

noch .. wächſt mit jeder Stunde, jeder Minute ...
Was iſt denn Gegenwart ſchließlich Anderes, als
aufgeſummte Vergangenheit —?“

„Dann iſt es ein Verbrechen, Adam, das ein
Jeder von uns an ſich und dem Andern be-
geht, wenn wir noch länger mit einander ver-
kehren —“

„Nimm doch die Sache nicht ſo tragiſch, Hedwig!
Du kommſt aus Deiner Sphäre — ich aus meiner.
Die Lauflinien unſeres Lebens haben ſich gekreuzt ...
haben ſich für uns durch einen Zufall gekreuzt. An
ſich war es ja durch die Vorausſetzungen — und
die Vergangenheit iſt auch in der Welt der neutralen
Objekte immer Vorausſetzung der Gegenwart — an
ſich war es alſo bedingt, daß wir uns begegneten. Ge-
wiſſe Neigungen und Tendenzen zogen den Einen
zum Andern hin. Es iſt ja Alles nur nothdürftigſte
Anpaſſung in der Welt! Und weil das ſo iſt —
nun, darum mußten wohl jene Neigungen und
Tendenzen ſchon einmal vorher durch andere Erſchei-
nungen, die ihnen einigermaßen Wurzelbedingungen
boten, provocirt und ausgelöſt werden. Ich nun
für meine Perſon — ‒ aber ich habe Dir ja
ſchon geſagt, Hedwig, daß ich immer ſchöne Formen,
merkwürdige Schickſale und eigenartige Charactere
geliebt habe ... Ich konnte nicht anders — und
ich werde nie anders können. Und wirklich — Du
darfſt es glauben, Hedwig —: meine kleine Emmy
hat einen wundervollen Leib ... iſt auch ſonſt nicht
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[263/0271] noch .. wächſt mit jeder Stunde, jeder Minute ... Was iſt denn Gegenwart ſchließlich Anderes, als aufgeſummte Vergangenheit —?“ „Dann iſt es ein Verbrechen, Adam, das ein Jeder von uns an ſich und dem Andern be- geht, wenn wir noch länger mit einander ver- kehren —“ „Nimm doch die Sache nicht ſo tragiſch, Hedwig! Du kommſt aus Deiner Sphäre — ich aus meiner. Die Lauflinien unſeres Lebens haben ſich gekreuzt ... haben ſich für uns durch einen Zufall gekreuzt. An ſich war es ja durch die Vorausſetzungen — und die Vergangenheit iſt auch in der Welt der neutralen Objekte immer Vorausſetzung der Gegenwart — an ſich war es alſo bedingt, daß wir uns begegneten. Ge- wiſſe Neigungen und Tendenzen zogen den Einen zum Andern hin. Es iſt ja Alles nur nothdürftigſte Anpaſſung in der Welt! Und weil das ſo iſt — nun, darum mußten wohl jene Neigungen und Tendenzen ſchon einmal vorher durch andere Erſchei- nungen, die ihnen einigermaßen Wurzelbedingungen boten, provocirt und ausgelöſt werden. Ich nun für meine Perſon — ‒ aber ich habe Dir ja ſchon geſagt, Hedwig, daß ich immer ſchöne Formen, merkwürdige Schickſale und eigenartige Charactere geliebt habe ... Ich konnte nicht anders — und ich werde nie anders können. Und wirklich — Du darfſt es glauben, Hedwig —: meine kleine Emmy hat einen wundervollen Leib ... iſt auch ſonſt nicht übel — nur eben viel geiſtiges, tieferes, verinner-

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Zitationshilfe: Conradi, Hermann: Adam Mensch. Leipzig, [1889], S. 263. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/conradi_adam_1889/271>, abgerufen am 13.05.2024.